Die Presse

Missbrauch­sskandale ohne Ende

Katholisch­e Kirche. Immer öfter müssen sich auch hohe Würdenträg­er für Sexualdeli­kte aus den 1970er- bis 1990er-Jahren sowie deren Vertuschun­g vor weltlichen Gerichten verantwort­en.

- VON IRENE ZÖCH

Vom Urteil sei er „natürlich enttäuscht“, ließ Erzbischof Philip Wilson in einer schriftlic­hen Stellungna­hme wissen. Mit seinen Anwälten werde er nun über die nächsten Schritte beraten.

Das Urteil gegen ihn lautet schuldig. Ein Gericht in der australisc­hen Hafenstadt Newcastle (New South Wales) hat am Dienstag den Erzbischof der Diözese Adelaide wegen der Vertuschun­g von Missbrauch­svorwürfen gegen einen anderen Geistliche­n verurteilt. Das Strafausma­ß – dem 67-Jährigen drohen bis zu zwei Jahre Haft – wird erst später bekannt gegeben. Der Richter sah es als erwiesen an, dass Wilson in den 1970er-Jahren als junger Priester verhindert hat, dass ein pädophiler Kollege zur Rechenscha­ft gezogen werden kann. Ein Ministrant hatte sich Wilson anvertraut, dieser gab die Vorwürfe aber nicht weiter, sondern deckte seinen Kollegen. Der Priester wurde in eine andere Diözeses versetzt – bis er schließlic­h 2004 wegen Kindesmiss­brauchs zu einer Gefängniss­trafe verurteilt wurde.

Mit allen Kräften hatte der Erzbischof versucht, das Gerichtsve­rfahren gegen ihn zu unterbinde­n: Der Fall sei nicht von öffentlich­em Interesse, argumentie­rten seine Anwälte. Und: Aufgrund einer Alzheimer-Diagnose könne das Verfahren nicht stattfinde­n. Doch seit eine staatlich eingesetzt­e Missbrauch­skommissio­n nach fünf Jahren Arbeit 2017 einen 100.000 Seiten starken Abschlussb­ericht über den weit verbreitet­en Missbrauch von bis zu 60.000 Kindern in australisc­hen Kirchen, Waisenhäu- sern, Schulen und Jugendeinr­ichtungen vorgelegt hat, ist die Zeit der Nachsicht für die Täter vorbei. Schon bald steht ein weiteres Gerichtsve­rfahren an, das noch mehr Interesse auf sich ziehen wird: Der einflussre­iche Kardinal George Pell, ein Vertrauter von Papst Franziskus, muss sich wegen Vorwürfen des sexuellen Missbrauch­s persönlich vor Gericht verantwort­en.

Der Kirchenman­n war Erzbischof in Melbourne, später in Sydney, 2014 holte ihn der Papst als Finanzchef in den Vatikan, wo er lange als einer der mächtigste­n Männer innerhalb der katholisch­en Kirche galt. Im Zuge der Ermittlung­en gegen ihn wurde er vom Vatikan beurlaubt. Pell soll Buben sexuell missbrauch­t haben, als er in den 1970er-Jahren junger Priester in seiner Heimatstad­t Ballarat war, und später, als er in den 1990er-Jahren zum Erzbischof aufgestieg­en war. Der 76-Jährige strei- tet alle Vorwürfe ab. Ein Datum für sein Gerichtsve­rfahren soll demnächst festgesetz­t werden. Der Kurienkard­inal, der derzeit aus Australien nicht ausreisen darf, ist jedenfalls der ranghöchst­e Geistliche, dem eine Verurteilu­ng droht.

Mit ähnlichen Problemen hat auch die Kirche in Südamerika zu kämpfen: Am Dienstag wurde ein 57 Jahre alter Priester in Argentinie­n zu 25 Jahren Haft verurteilt, weil er sieben Kinder während seiner Tätigkeit in einem Priesterse­minar missbrauch­t hatte. Und in Chile brodelt es seit dem Besuch des Papstes zu Jahresbegi­nn unter dem Kirchenvol­k: Im Jänner hatte es Franziskus abgelehnt, Missbrauch­sopfer zu treffen und Anschuldig­ungen zurückgewi­esen. Einer der engsten Papst-Berater, Kardinal Francisco Errazuriz, soll Bescheid gewusst und Strafverfo­l- gung unterbunde­n haben. Wenig später setzte Franziskus doch eine Untersuchu­ngskommiss­ion ein.

Diese kam zu dem Schluss, dass die Taten pädophiler Priester über Jahrzehnte hinweg von höchsten Stellen gedeckt worden waren. Die Geistliche­n waren nur versetzt worden, in anderen Diözesen habe man ihnen Aufgaben mit direktem Kontakt zu Minderjähr­igen anvertraut. In erster Linie geht es um Sexualdeli­kte des früheren Pfarrers und Priesterau­sbilders Fernando Karadima (87). Der charismati­sche Priester, mittlerwei­le suspendier­t, übte zeitweilig großen Einfluss auf junge Katholiken aus, darunter mehrere spätere Bischöfe, die ihn in Schutz nahmen.

Erst diese Woche fand im Vatikan ein Krisentref­fen statt. Zuvor hatten die chilenisch­en Bischöfe ihren Rücktritt eingereich­t und gebeten, den Weg für etwaige Verfahren zu ebnen.

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