Die Presse

Die Wölfe schießen oder die Schafherde­n schützen?

Wo Fake News und Dummheit herrschen, haben Sachargume­nte und wissenscha­ftliche Freiheit das Nachsehen.

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

E in

durchziehe­nder Wolf tötete in Salzburg in kaum zwei Wochen 18 Schafe. Möglicherw­eise, denn der DNA-Nachweis für die Täterschaf­t steht noch aus. Heftig wird nun diskutiert, ob man den Wolf töten oder aber die Schafe schützen soll. Ganz so, als wären wir das erste Land Europas mit Wölfen. Interessen­vertreter wollen eher schießen. Sie behaupten, der Herdenschu­tz würde ohnehin nicht funktionie­ren. Das ist objektiv falsch. Positive Beispiele und entspreche­ndes Know-how gibt es in Deutschlan­d, in der Schweiz und in vielen anderen Ländern.

Klar: Wenn ein durchziehe­nder Wolf auf ungeschütz­te Schafe trifft, lernt er, dass sie einfache Beute sind und wird damit zum „Problemwol­f“. Individuel­l identifizi­ert, darf er dann sogar im Einklang mit der europäisch­en Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie abgeschoss­en werden. Ich gebe nur zu bedenken, dass der Übeltäter nicht als „Problemwol­f“kam, er wurde durch fehlenden Herdenschu­tz in Salzburg erst dazu gemacht.

Wie also in Zukunft die Schäden an Weidetiere­n minimieren? Ist es sinnvoll, Wölfe regelmäßig zu bejagen, oder soll man eher darauf setzen, dass sich Rudel bilden, die dann dafür sorgen, dass sich die lokalen Wolfsdicht­en in Grenzen halten? So versucht man es etwa in Deutschlan­d. Durch Herdenschu­tz kann man diesen Wölfen den „Schafskorb“so hoch hängen, dass sie nur noch Wildtiere erbeuten und diese Traditione­n auch an ihre Nachkommen weitergebe­n. So funktionie­ren nämlich Wolfsfamil­ien.

Bisher gab es auch kaum gesicherte­s Wissen zur Wirksamkei­t der Wolfsbejag­ung. Dies änderte sich 2014 mit einer Studie von Robert Wielgus und Kaylie Peebles von der Washington State University/USA. Sie analysiert­en von 1987 bis 2012 in Idaho, Montana und Wyoming erhobene Daten zu Wolfsbejag­ung und zu den Verlusten an Weidetiere­n. Mit der Wolfsdicht­e stieg die Zahl der gerissenen Weidetiere. No na. Ergänzend muss man aber anmerken, dass US-Farmer kaum auf Herdenschu­tz setzen. Wesentlich

interessan­ter war der Zusammenha­ng mit der Wolfsbejag­ung: Man sollte meinen, dass umso weniger Nutztiere den Wölfen zum Opfer fallen, je stärker diese im Jahr zuvor bejagt werden. Das Ergebnis war aber genau umgekehrt: Je stärker die Wölfe bejagt wurden, desto mehr Schafe und Rinder verloren die Farmer im Jahr darauf – außer, man schoss jährlich mehr als 25 Prozent der Wölfe in der Gegend, was aber auf die Dauer kaum zu bewerkstel­ligen ist. Die Bejagung stimuliert­e offenbar die Vermehrung und damit den Nahrungsbe­darf der Wölfe und störte ihre Sozialstru­ktur und ihr „natürliche­s“Jagdverhal­ten. Dies ist ein starker, auch auf Europa übertragba­rer Hinweis darauf, dass die regelmäßig­e Bejagung von Wölfen kontraprod­uktiv sein kann. Was die Entfernung definierte­r „Problemtie­re“nicht ausschließ­t.

Die Studie hatte übrigens Folgen für Robert Wielgus. Aufgrund der anhaltende­n Proteste der Farmer wurde der Wissenscha­ftler gerade eben von seiner Uni gefeuert. Wo Fake News und blanke Dummheit herrschen, haben Sachargume­nte und wissenscha­ftliche Freiheit das Nachsehen. (Noch) Nicht an unseren Unis. Dort wirken mehr oder weniger „angepasste“Experten, einschließ­lich solcher, die gelegentli­ch den Positionen der mächtigen Verbände von Landwirtsc­haft und Jagd widersprec­hen. Es ist zu hoffen, dass es so bleibt. Der Wolf sollte hierzuland­e nicht auch noch zum Testfall für die akademisch­e Freiheit werden.

 ??  ?? VON KURT KOTRSCHAL
VON KURT KOTRSCHAL

Newspapers in German

Newspapers from Austria