Komplexe Kriegsspiele
Im Atomzeitalter ist Abschreckung immer mehr zum russischen Roulette geworden. Doch der Rüstungswettlauf geht weiter.
Abseits aller aktueller und vergangener atomarer Ultimaten und Drohgebärden werden die nuklearen Planspiele zunehmend komplexer. Ob der wissenschaftliche Fortschritt den innewohnenden Irrwitz solcher Strategien bannen kann, bleibt allerdings fraglich.
Die improvisierte Abschreckung ist dabei so alt wie der Krieg selbst. Nur im Atomzeitalter gleicht sie mehr einem russischen Roulette: Denn jede Drohung ist nur dann glaubwürdig, wenn sie sich jederzeit realisieren lässt. Der technische Fortschritt stellte strategische Entscheidungsgrundlagen zunehmend auf einer wissenschaftlichen Basis, doch wurden sie dadurch verlässlicher?
Der „absolute Krieg“, den Clausewitz im 19. Jahrhundert beschrieben hatte, bildete den Ausgang für die späteren industrialisierten Schlachten, die bewusst zivile Ziele ins Visier nahmen. Der Zweite Weltkrieg („totaler Krieg“) war mit gezielten Flächenbombardements auf ganze Städte ein Vorspiel zum späteren MAD-Konzept (Mutually Assured Destruction = Wechselseitig zugesicherte Ver- nichtung) des Kalten Krieges. Die Grundidee jedoch war, basierend auf den spieltheoretischen Überlegungen des sogenannten NashEquilibriums, dass ein atomarer Erstschlag nie zum vollständigen Sieg führen kann, weil der Gegner immer noch genug Kapazitäten hätte, um einen vernichtenden Gegenschlag auszuführen.
Damit entstand ein „Gleichgewicht des Schreckens“, das jedoch von Anfang an fehlerhaft war. So setzte es etwa voraus, dass Gegner stets „rational“handeln würden oder dass es nur zwei Antagonisten und nicht mehrere gäbe. Die intensive Aufrüstung mit immer effektiveren Atomwaffen (etwa atomar bestückten Hyperschallraketen) trotz bereits vorhandener Overkillkapazitäten ist ein Indiz dafür, dass das MAD-Konzept nie wirklich aufgegeben wurde.
Superintelligenz wird längst für die militärische Forschung und Entwicklung genutzt, allen voran für die Atomrüstung. So forschen die USA an Schiffen, die feindliche U-Boote aus Tausenden Meilen Entfernung anvisieren können; die Chinesen arbeiten an Drohnen, die mittels „Schwarmin- telligenz“quasi im Rudel jagen; die Russen wiederum experimentieren an einer atomar bestückten Unterwasserdrohne, die die Weltmeere selbstständig durchqueren kann.
Die enorme Rechenleistung von Supercomputern in Verbindung mit künstlicher Intelligenz bewirkt ein kleiner werdendes Zeitfenster für Entscheidungen von unglaublicher Tragweite. Edward Geist von der US-Denkfabrik Rand wies darauf hin, dass künstliche Intelligenz die Militärs dazu verleite, schneller entscheiden zu müssen, was die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges um ein Vielfaches erhöhe.
Allerdings gibt es auch Forscher, die in künstlicher Intelligenz eine mögliche Kraft der Vernunft erblicken – ähnlich wie der Supercomputer im 1983 erschienenen Film „War Games“: Vor der Entscheidung, einen thermonuklearen Krieg auszulösen, kam er zu dem Schluss, dass die einzige Art, diesen Krieg zu gewinnen, darin bestünde, ihn gar nicht zu spielen.