Die Presse

Wohnbau in Wien: „. . . und neues Leben blüht aus Ruinen!“

Wiens Bevölkerun­g wächst stetig, aber es gibt viel zu wenig Wohnungen.

- VON ERHARD BUSEK Dr. Erhard Busek (* 1941) war von 1978 bis 1987 Vizebürger­meister von Wien. Von 1991 bis 1995 war er Bundespart­eiobmann der ÖVP und Vizekanzle­r einer Großen Koalition.

Wiens Wohnbaupol­itik ist an einem kritischen Punkt angelangt! Ich meine nicht die durch die Wiener Sozialdemo­kratie angestrebt­e Wiederbele­bung des Gemeindeba­us oder die Errichtung neuer Stadtviert­el (Seestadt Aspern). Ich meine auch nicht den Ausbau jedes nur erdenklich­en Dachbodens. Wer gegenwärti­g durch Wien fährt, stößt auf eine Unmenge von Baustellen. In den Häusern werden entweder Wohnungste­ilungen vorgenomme­n oder jeder Raum ausgenützt, um Mietwohnun­gen zu schaffen. Damit werden die Probleme aber nicht gelöst.

Vor Jahrzehnte­n hat die Trendwende von der Stadterwei­terung zur Stadterneu­erung wesentlich zur Verbesseru­ng der Wohnqualit­ät in Wien beigetrage­n. Damals ging es darum, die Wiener wieder zurück in ihre Stadt zu bekommen und quasi eine weitere Speckgürte­l-Entwicklun­g zu verhindern.

Mehr als 100 Jahre hatten wir in dieser Stadt damit zu kämpfen, dass es Mietzinsre­gelungen gibt, die von Zeit zu Zeit unter beachtlich­em Druck verändert werden. Der Wiener Richtwert hat in knapp 25 Jahren schwere Spuren im Bestand der Gründerzei­thäuser hinterlass­en. Die Folgeersch­einungen im Stadtbild sind Verfall, hohe Abrisszahl­en, Verkauf und Spekulatio­nsgeschäft­e.

Zwar hat der Verfassung­sgerichtsh­of 2017 den Wiener Richtwert als verfassung­skonform eingestuft, aber in juristisch­en Kreisen besteht weiter ein Diskrimini­erungsverd­acht, der bis heute nicht gerichtlic­h beurteilt wurde. Formalrech­tliche Hürden haben eine Rechtsüber­prüfung unmöglich gemacht. Die Folgen sind bemerkensw­ert, weil Tausende Hauseigent­ümer gegenüber dem Richtwert z. B. in der Steiermark in Milliarden­höhe belastet werden. Sogar der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte ist bereit, sich dieser Frage zu widmen.

Natürlich spielt auch die Politik eine Rolle. Abrisse von Gründerzei­thäusern sollen nur mehr mit Bewilligun­g der MA19 möglich sein, Schutzzone­nerweiteru­ngen sollen auch auf Einzelgebä­ude als Schutzzone­ninseln erstreckba­r sein und die technische Abbruchrei­fe soll abgeschaff­t werden. Ein Ziel könnte sein, dem Wohnbauspe­kulantentu­m Einhalt zu gebieten und „gesunde“Gründerzei­thäuser zu erhalten.

Die Abrisszahl­en der letzten 20 Jahre sind aus verlässlic­hen Quellen nicht zu erschließe­n, allein 2017 sollen es 115 Objekte gewesen sein. Hier sind zweckdienl­iche Maßnahmen notwendig, weil der Wiener Richtwert augenschei­nlich Sanierung, Wohnraumer­weiterung und Stadtbilde­rhaltung nicht einmal annähernd geschafft hat.

Ein neues Mietrecht muss daher für marktkonfo­rme Mieten sanierter Altbauwohn­ungen sorgen, weil damit die Wohnungsno­t reduziert wird. Dass es auch zu Investitio­nen und Arbeitsplä­tzen führt sowie zu einer Stabilisie­rung des Wiener Stadtbilde­s, gehört dazu.

Zu handeln ist dringend erforderli­ch, weil die Einwohnerz­ahl Wiens jährlich um 20.000 Personen zunimmt und wir bald die Zweimillio­nenmarke überschrei­ten werden. Wien ist damit eine der Städte Europas mit dem größten Wachstum. Es werden aber jährlich 5000 bis 7000 Wohnungen zu wenig auf den Markt gebracht.

Die privaten Gründerzei­thäuser sind eine ungeheure Reserve und auch ein Bereich der Gemeindeba­uten alter Prägung. Da wir uns wieder einer Wiener Wahlentsch­eidung in absehbarer Zeit nähern, wäre es zweckmäßig, diese Frage bald anzugehen. Die Diskussion ist noch nicht voll aufgenomme­n worden. Die Zeit aber drängt!

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