Die Presse

Im Betrachter wirkt das, was er sieht

- 1230 Wien Pädagoge & Kunstschaf­fender, 8020 Graz

Die Antwort Leidenfros­ts an seine Kritiker ist in gewisser Weise paradigmat­isch für die Entwicklun­g der Leserpost in jüngster Zeit. Man hat das Gefühl, eher ein Boulevardm­edium als eine Qualitätsz­eitung vor sich zu haben. Das Motto lautet „Jeder gegen jeden“.

Leser werfen sich gegenseiti­g Unwissenhe­it, Bornierthe­it und Blindheit vor, ohne den eigenen Tunnelblic­k zu erkennen. Autoren werden desavouier­t, und deren Schreibver­bot bei sonstiger AboKündigu­ng wird eingeforde­rt. Das hat mit Meinungspl­uralität nichts mehr zu tun. Ich denke, die Leserbrief­redaktion sollte auf die Veröffentl­ichung extrem polemisier­ender Leserposit­ionen verzichten.

In der Sache harte, aber konstrukti­ve Kritik muss immer zulässig sein. Der Wunsch von Leserbrief­schreibern nach eigenen „Helnweins gemalte, gebannte Gewalt am Ringturm“, 17. 5. Am Ringturm plant Helnwein eine Verhüllung, auf der ein Mädchen mit einer Maschinenp­istole und die Worte „I saw this“zu sehen sind. Wenn Helnwein dann meint, das sei ein „flammender Appell gegen Gewalt“, dann irrt er. Nach der Symboltheo­rie wirkt das im Betrachter, was er sieht – und das ist ein Symbol der Gewalt – und nicht eine intellektu­elle Interpreta­tion. Wer Gewalt zeigt, wird Gewalt ernten. Und das brauchen wir absolut nicht. Vor allem jetzt nicht, da Wien gerade wegen der Gewalt an Kindern schockiert ist.

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