Im Betrachter wirkt das, was er sieht
Die Antwort Leidenfrosts an seine Kritiker ist in gewisser Weise paradigmatisch für die Entwicklung der Leserpost in jüngster Zeit. Man hat das Gefühl, eher ein Boulevardmedium als eine Qualitätszeitung vor sich zu haben. Das Motto lautet „Jeder gegen jeden“.
Leser werfen sich gegenseitig Unwissenheit, Borniertheit und Blindheit vor, ohne den eigenen Tunnelblick zu erkennen. Autoren werden desavouiert, und deren Schreibverbot bei sonstiger AboKündigung wird eingefordert. Das hat mit Meinungspluralität nichts mehr zu tun. Ich denke, die Leserbriefredaktion sollte auf die Veröffentlichung extrem polemisierender Leserpositionen verzichten.
In der Sache harte, aber konstruktive Kritik muss immer zulässig sein. Der Wunsch von Leserbriefschreibern nach eigenen „Helnweins gemalte, gebannte Gewalt am Ringturm“, 17. 5. Am Ringturm plant Helnwein eine Verhüllung, auf der ein Mädchen mit einer Maschinenpistole und die Worte „I saw this“zu sehen sind. Wenn Helnwein dann meint, das sei ein „flammender Appell gegen Gewalt“, dann irrt er. Nach der Symboltheorie wirkt das im Betrachter, was er sieht – und das ist ein Symbol der Gewalt – und nicht eine intellektuelle Interpretation. Wer Gewalt zeigt, wird Gewalt ernten. Und das brauchen wir absolut nicht. Vor allem jetzt nicht, da Wien gerade wegen der Gewalt an Kindern schockiert ist.