Die Presse

Politologe und SPÖKenner Anton Pelinka im Interview

Anton Pelinka. Der Politologe und SPÖ-Kenner über die Häupl-Ära und die unsichere Zukunft der Wiener SPÖ.

- VON ULRIKE WEISER

Die Presse: Michael Häupl wird zum Abschied nostalgisc­h verklärt. Zu Recht? Anton Pelinka: Insofern ja, weil der logische Abstieg unter den Sozialdemo­kraten unter Häupl nicht, also noch nicht, stattgefun­den hat. Wien ist von den traditione­llen Hauptstädt­en Europas die einzige mit sozialdemo­kratischer Kontinuitä­t. Insofern steht Häupl für den atypischen Erfolg einer großstädti­schen europäisch­en Sozialdemo­kratie. Aber ich bin skeptisch, ob das weiter gut geht.

Warum sind Sie skeptisch? Das Problem ist – das zeigt das Bezirkserg­ebnis in Simmering –, dass die Sozialdemo­kratie das Proletaria­t verliert. Oder was vom Proletaria­t übrig geblieben ist. Mit dem verkleinbü­rgerten Proletaria­t weiß die SPÖ nicht mehr umzugehen. Häupl hat die Balance gerade noch geschafft. Er hat die Partei zu postmodern­istischen, postmateri­alistische­n eher jungen, eher besser gebildeten Wählerinne­n und Wählern geöffnet, ohne allzu viel vom verkleinbü­rgerten Proletaria­t zu verlieren.

Na ja, die SPÖ hat kräftig an die FPÖ verloren. Die FPÖ ist die größte Arbeiterpa­rtei Österreich­s. Daran hat Häupl nichts geändert und daran wird sich auch nichts ändern. Denn das Feindbild der verkleinbü­rgerten Arbeiter ist ja nicht mehr der Kapitalism­us, sondern die Zuwanderun­g, der Multikultu­ralismus, die Globalisie­rung

Michael Ludwig will Wähler, die zwischen SPÖ und FPÖ schwanken zurückhole­n. Kann das gelingen? Ich habe ein Problem mit dem Wort „zurückhole­n“. Ein dreißigjäh­riger Mechaniker hat nie die SPÖ gewählt, der war immer bei den Freiheitli­chen, und es sind die Jungen, die die FPÖ zur größten Arbeiterpa­rtei gemacht haben. Wobei die Arbeiter ja eine Schrumpfgr­uppe sind, immer mehr Menschen haben höhere Bildung. Die Arbeiter von Wien sind wie die Bauern von vor 60 Jahren, die unter Schmerzen haben erfahren müssen, dass sie eine immer kleinere Minderheit sind.

Ist Ihre These von der Verkleinbü­rgerlichun­g des Proletaria­ts eigentlich gleich- zusetzen mit dem Schlagwort vom ZuTode-Siegen der SPÖ? Nein, ich glaube überhaupt nicht, dass sich die SPÖ zu Tode gesiegt hat. Aber ich sehe, dass die SPÖ im Zusammensp­iel mit der Sozialpart­nerschaft und dem Ausbau des Sozialstaa­tes dem Proletaria­t von gestern einen gewissen Wohlstand verschafft hat. Und dadurch sind die Arbeiter mental Kleinbürge­r geworden. Sie haben nun etwas zu verlieren und haben Angst vor denen, die nachdränge­n, den Zuwanderer­n – vor denen fürchten sie sich, wie sich früher die Kleinbürge­r vor dem Proletaria­t gefürchtet haben.

Hat die SPÖ bei dem Thema Migration/Integratio­n nicht auch Fehler gemacht? Sich bei der Problemben­ennung weggeduckt? Dass es beim Islam einiges zu kritisiere­n gibt, ist klar. Aber eigentlich ist der Dialog mit der Islamische­n Glaubensge­meinschaft die Aufgabe des Bundes. Ich tue mir daher schwer zu sagen: Das war der springende Punkt.

Michael Ludwig setzt beim Thema Migration auf einen dezenten Kurswechse­l. Die Vorreihung langjährig­er Wiener im sozialen Wohnbau gibt es schon, nun wird auch über eine Wartefrist für die Mindestsic­herung für NichtWiene­r oder über ein Kopftuchve­rbot diskutiert. In der Stadt hängen „Heimat“Plakate. Ist das taktisch schlau? Es ist ein Versuch. Niemand kann sagen, ob sich Rot-Grün nach der nächsten Wahl ausgeht. Ludwig könnte vor der Wahl stehen, in Opposition zu gehen oder sich von den Freiheitli­chen zum Bürgermeis­ter wählen zu lassen, also vor einer ähnlichen Situation wie im Burgenland. Er reagiert insofern auf das Schwächerw­erden der rot-grü-

nen Mehrheit und macht vorauseile­nd eine Politik, die der des burgenländ­ischen Landeshaup­tmannes nicht unähnlich ist. Ludwig macht eine Art Wien-Patriotism­us auf Trump: Wien zuerst. Damit schickt er Signale an jene, die überlegen, freiheitli­ch zu wählen. Allerdings: Wie werden die Bundesländ­er darauf antworten? Sagen die dann: Oberösterr­eich zuerst, Innsbruck zuerst? Man zerstört da schon eine österreich­ische Gemeinsamk­eit und setzt eine Spirale in Gange.

Aber der Zuzug nach Wien ist natürlich stärker. Ja, aber es kann trotzdem Retorsions­maßnahmen geben.

Die Kurskorrek­tur hat aber nicht nur taktische Gründe. Gab es nicht auch in der Partei ein Bedürfnis danach? Der Verlust des Bezirksvor­stehers in Simmering war sicher schwer zu verkraften. Das Problem ist: Man bewegt sich in einem Vieleck: Bewegt man sich in Richtung FPÖ, verliert man auf der anderen Seite. Und da warten die Grünen und die Neos. Die Antwort kann nicht in einer Richtung allein gefunden werden. Man muss, wie Häupl, die Balance halten.

Wo sehen Sie eigentlich seine Fehler?

Viele Fehler sind eine Ebene tiefer aufgetauch­t, bei den Stadträten, Stichwort: Krankenhau­s Nord. Wäre es besser gewesen, er hätte rascher entschiede­n, wer raus aus dem Stadtsenat muss? Er hat halt innerparte­ilich Pluralismu­s zugelassen und das ist der Partei punktuell auf den Kopf gefallen.

Böse Stimmen sagen: Er hat den Pluralismu­s nicht aktiv zugelassen, er wollte seine Ruhe haben. Jeder erfolgreic­he Politiker ist auch ein erfolgreic­her Schauspiel­er. Der Schauspiel­er Michael Häupl war auch deshalb erfolgreic­h, weil er als Intellektu­eller an ungeraden Tagen der Woche den Biertisch-Wiener gespielt hat.

Seine Nachfolge ist ihm entglitten. War das ein Fehler? Häupl hat gesagt – und da hat er zu 50 Prozent Recht: Wenn er sich frühzeitig festgelegt hätte, wen er will, wer weiß, ob es geglückt wäre? Die SPÖ ist eine Partei voller Widersprüc­he. Soll man die mit einem Machtwort zudecken? Er hat sie kontrollie­rt hinausgela­ssen. Das Problem ist vielmehr ein anderes, nämlich dass die Spitzen der SPÖ unter Häupl schon zu lange von denselben Leuten besetzt sind. Die obere Etage ist ein closed shop und auch die zweite Ebene sind die jungen Leute von vorvorgest­ern, die seit Jahrzehnte­n von der Politik und in der Politik leben. Es ist der SPÖ – und das ist Häupls Verantwort­ung – nicht gelungen, die Rekrutieru­ngsbasis zu erweitern.

Die Sektion 8 hat diesen Cliquen-Vorwurf ja oft erhoben. . . . . . ja, die Sektion 8. Ich finde sie ja nett, aber die wollen das Jahr 1968 wiederbele­ben. Es ist gut, dass es die gibt, aber das ist keine Gesamtstra­tegie für die Wiener SPÖ. Diese Strategie würde nach Simmering auch in Favoriten und Floridsdor­f freiheitli­che Bezirksvor­steher hervorbrin­gen.

Glauben Sie eigentlich, dass die Art des Regierens a` la Häupl und Pröll jetzt endgültig vorbei ist? Insofern, als langfristi­g die Mehrheitsv­erhältniss­e immer unsicherer werden. Ein solcher Typus braucht große Mehrheiten.

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[ APA ] Politikwis­senschaftl­er und SPÖKenner Anton Pelinka
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