Und jetzt, bitte: Diabolisches Gelächter
Literatur. So heftig, so leise, so ausgelassen, so ernst: Mit Philip Roth ist ein Berserker der Literatur gestorben, ein hohnlachender Komödiant, der aber auch anders konnte. Ein Nachruf und fünf Lieblingsbücher.
Vor ein paar Jahren habe ich einem Kollegen „Portnoys Beschwerden“geliehen. Wie immer unverlangt und mit den Worten: „Das musst du lesen!“So ist es ja meistens: Man verborgt Bücher nicht, weil man danach gefragt oder gebeten wird. Man empfiehlt, was man selbst liest und liebt, drängt es dem anderen auf, man hofft auf Gleichklang. In diesem Fall ist die Empfehlung nicht gut angekommen: Mein Kollege hat den Roman gehasst.
Als Roth-Fan muss man mit solchen Reaktionen rechnen. „Portnoys Beschwerden“ist wirklich heftige Kost: unfassbar dreist, umwerfend komisch, ehrlich, schamlos, ein Buch, das keine Kompromisse eingeht und alle vor den Kopf stößt. Es ist das vierte und vielleicht ausgelassenste Werk des 1933 in Newark geborenen Philip Roth und handelt vom Aufwachsen und den sexuellen Sehnsüchten und Nöten eines jungen Mannes in einer jüdischen Familie.
Philip Roth verklärt nichts
In einer der irritierendsten Passagen erinnert sich der Ich-Erzähler an seine erste sexuelle Erfahrung – mit einem Mädchen, das sich bereit erklärt hat, mehreren Buben im Hinterzimmer einen runterzuholen. Nicht gerade ein intimes Setting. Und siehe, es klappt nicht, er kann und kann nicht zum Höhepunkt kommen, das Mädchen wird schon ungeduldig, die anderen Buben auch. Und als es dann unerwarteter Weise doch noch klappt, hat er sich gerade aufgesetzt und das Sperma spritzt ihm direkt ins Auge. Es brennt! Wie Feuer! In dieser Sekunde stellt der Protagonist sich vor, was passieren wird. Er wird sich einen Hund besorgen, nach Hause gehen, die klassisch überfürsorgliche jüdische Mutter wird die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Das geht nicht, wird sie rufen, viel zu unhygienisch, weg mit dem Tier! Dann wird er, halb triumphierend, halb Mitleid heischend, seiner Mutter erklären – und sein Argument wird vernichtend sein: Das geht nicht anders. Das ist mein Blindenhund.
Ja, so war Philip Roth. So hohnlachend und exaltiert, so entlarvend und komisch und damit auch befreiend. Aber er konnte auch anders, ganz anders, und es wäre klüger gewesen, „Goodbye, Columbus“zum Einstieg in die Roth-Lektüre zu empfehlen. In dessen Mittelpunkt steht ebenfalls ein junger Mann, auch hier geht es um sexuelle Erfahrungen, um erste Bindungen, aber der Ton ist behutsam, die Erzählung prescht nicht vor, sondern tastet sich an diese Liebe eines Sommers heran.
Doch das Sanfte, es ist ohne das Forsche nicht zu haben, das Präzise nicht ohne das Schonungslose. Man muss sich schon auch trauen, genau hinzuschauen, auf sich selbst, auf die anderen: Philip Roth war ein manischer Beobachter seiner Umgebung, er nahm von jeder kleinen Bewegung und Geste Notiz. Über 50 Bücher hat er geschrie- ben, durchaus unterschiedlich in Stil und Attitüde, aber in keinem wird man ihn dabei ertappen, dass er etwas weichgezeichnet hätte oder verklärt.
Auch und gerade nicht das Alter. „Demütigung“etwa handelt von einem Schauspieler Mitte 60 – und so unverblümt und auch sich selbst entblößend hat kaum einer die unausgesetzten Kränkungen geschildert, die mit dem Verlust von kreativer Potenz, Attraktivität, Zukunft einhergehen. Und ja: Auch hier ging es wieder um Sex bzw. um Sex, den der Schauspieler gern hätte. Philip Roth wurde immer wieder Sexismus vorgeworfen, bei all den jungen Frauen, die in seinen Büchern von alten Männern begehrt werden, doch das ist verkehrt. Sehnsüchte sind Sehnsüchte. Wünsche sind Wünsche, so verkehrt sie wirken mögen. Warum sollte man sie verleugnen?
„Demütigung“erschien 2010. Ein Jahr später kam „Nemesis“heraus. Wir schreiben das Jahr 1944, eine Polio-Epidemie sucht New Jersey heim. Was für ein trauriges, rührendes Buch! Wie vorsichtig und einfühlsam Philip Roth das Leben mit dieser Bedrohung beschreibt – etwa die Kinder, wie sie zögern: Was ist stärker, die Angst vor der Gefahr da draußen? Vor der Eisernen Lunge? Oder die Lust, den eigenen vier Wänden wenigstens einen Nachmittag lang zu entkommen, sich mit Gefährten im Spiel zu vergessen? Auch wenn die Eltern es untersagt haben?
Zwei Jahre später entschied sich Philip Roth, nichts mehr zu publizieren. Auf den Monitor seines PCs klebte er einen gelben Zettel: „Der Kampf mit dem Schreiben ist vorbei.“In einem seiner raren Interviews meinte er, er fühle sich wie aus einem Gefängnis entlassen, er staune, was ihm nun, als freiem Leser, so alles begegne. Ansonsten ordne er seinen Nachlass, damit seine Lebensgeschichte später „wenigstens korrekt“aufgezeichnet werde.
Der Nobelpreis-Favorit
Jeden Oktoberbeginn haben wir in der Redaktion gerätselt, wer wohl diesmal den Nobelpreis erhalten werde – und dann überlegt, wie wir am besten die Aufgaben verteilen: Wer schreibt den Murakami, wer die Atwood, den Adonis? Wer schreibt den Philip Roth? Und dann haben wir noch schnell in unseren Büchern geblättert. Philip Roth, der ewige Favorit, wird den Nobelpreis nicht mehr bekommen. Was für ein Versäumnis, sagen manche; da gibt es doch bessere, sagen die anderen – diejenigen, die nicht „Team Roth“sind. Und denen vielleicht nur irgendwann jemand die falschen Werke empfohlen hat.
Philip Roth ist im Alter von 85 Jahren gestorben, sein Herz hat versagt. Um wie viel lieber hätten wir eine Nobelpreis-Würdigung geschrieben.