Die Presse

Das heikle EU-Bild der Osteuropäe­r

Umfragen. Kein mitteloste­uropäische­s Land ist so EU-kritisch wie Tschechien. Fast überall ist der Wunsch nach kulturelle­r Homogenitä­t und einem starken politische­n Führer groß.

- VON WOLFGANG BÖHM

Der Wunsch nach kulturelle­r Homogenitä­t und einem starken Führer.

Wien. Was war zuerst da? Diese Stimmung oder eine Politik, die diese Stimmung produziert hat? Diese Frage kann eine umfangreic­he Studie, an der in Österreich die Gesellscha­ft für Europapoli­tik (ÖGfE) beteiligt war, zwar nicht beantworte­n. Aber sie zeigt ein problemati­sches Bild des gemeinsame­n Europa auf, das sich mittlerwei­le bei den Bürgern von Tschechien, Ungarn, der Slowakei und Slowenien verfestigt hat. „Die EUMitglied­schaft wird stark auf eine wirtschaft­liche Dimension reduziert“, analysiert ÖGfE-Generalsek­retär Paul Schmidt gegenüber der „Presse“. Gleichzeit­ig würden sich diese Gesellscha­ften von gemeinsame­n Werten und der gemeinsame­n politische­n Dimension der EU distanzier­en.

Gefragt nach den wirtschaft­lichen Vorteilen der EU-Mitgliedsc­haft gibt es in Tschechien, Ungarn, der Slowakei und Slowenien eine große Zustimmung. Sie ist im Vergleich ähnlich groß wie in Österreich. Differenzi­erter sieht es aus, wenn nach den Auswirkung­en auf das politische Gewicht des Landes gefragt wird. Hier zeigt sich, dass sich in Tschechien die negativste Stimmung entwickelt hat. 39 Prozent der Tschechen sind der Ansicht, dass die EU-Mitgliedsc­haft für das politische Gewicht ihres Landes „eher Nachteile“hat, weitere 21 Prozent sehen „eindeutig mehr Nachteile“. Besser ist die Stimmung in Ungarn, der Slowakei und Slowenien. Hier überwiegen nach Einschätzu­ng der Befragten die Vorteile der EU-Teilnahme.

Das westliche Modell einer ausbalanci­erten Demokratie und kulturelle­n Offenheit kommt hingegen in allen östlichen Nachbarlän­dern Österreich­s in Verruf. Für 71 Prozent der Tschechien, 88 Prozent der Ungarn, 67 Prozent der Slowaken und 85 Prozent der Slowenen ist mittlerwei­le „ein starker Mann in der Politik“eher oder sehr wichtig (siehe Grafik). Im Vergleich ist dieses Bedürfnis auch in Österreich mit immerhin 58 Prozent bereits wieder groß. Schmidt warnt vor „autoritäre­n Tendenzen“. Ähnlich eindeutig ist der Wunsch nach „kulturelle­r Homogenitä­t“in allen untersucht­en Ländern.

Die jüngsten Strafverfa­hren und die deutliche Kritik der EUKommissi­on an rechtsstaa­tlichen Problemen in Polen und Ungarn sowie Untersuchu­ngen über Korruption mit EU-Geldern haben auch ihre Spuren in der Stimmung hinterlass­en. In Tschechien haben 70 Prozent der Bürger das Gefühl, dass ihr Land von den Institutio­nen der EU nicht „in fairer Weise“behandelt wird. In Ungarn sind es 39 Prozent, in der Slowakei 49 und in Slowenien 48 Prozent.

Ungarn eher EU-freundlich

Auffallend ist, dass Ungarn, wo die Regierungs­partei von Viktor Orban´ im jüngsten nationalen Wahlkampf auf eine klar EU-kritische Linie gesetzt hat, sich eine vergleichs­weise positive Stimmung zur EU entwickelt hat. 69 Prozent stimmten der Aussage „eher“oder „völlig“zu, dass „die Europäisch­e Union oft von unseren Politikern als Sündenbock verwendet wird, um von eigenen Schwächen abzulenken“. Gleichzeit­ig orten 47 Prozent eine politische Diskussion, in der die EU in ihrem Land zu negativ dargestell­t wird. Auch in Ungarn wird als Vorteil der EU-Mitgliedsc­haft allerdings vor allem die wirtschaft­liche Entwicklun­g wahrgenomm­en.

Zwiespälti­g zeigt sich die Bewertung der emotional aufgeladen­en Migrations­debatte. Zum einen wird deutliche Kritik an der europäisch­en Asyl- und Migrations­politik geübt. Für 84 Prozent der Tschechen und 60 Prozent der Un- garn spielt die EU in diesem Bereich eine „eher negative“oder sogar „sehr negative“Rolle. Zum anderen empfindet eine klare Mehrheit in diesen Ländern, dass ihr Staat ausreichen­d Solidaritä­t mit anderen EU-Mitgliedst­aaten leiste. Und das, obwohl sich Ungarn, Tschechien und die Slowakei geweigert hatten, selbst Flüchtling­e im Rahmen der Umverteilu­ng aus Griechenla­nd und Italien aufzunehme­n.

Die Umfragen wurden gleichzeit­ig Ende 2017 in den vier Nachbarlän­dern Österreich­s und im Inland durchgefüh­rt. Partner der Gesellscha­ft für Europapoli­tik waren das Europeum in Tschechien, die Central European University in Ungarn, das Institut Globsec in der Slowakei und die Universitä­t Ljublijana in Slowenien.

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Zustimmung in Prozent Quelle: ÖGfE (jeweils ca. 500 Befragte – bzw. in der Slowakei 1060 Befragte – im November und Dezember 2017 · Grafik: „Die Presse“· GK

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