Hotzenplotz ist zurück
Kinderbuch. Als postume Sensation von Otfried Preußler wird „Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ab heute verkauft. Was wirklich dahintersteckt, warum eine unsichtbare Figur fehlt – und das Beste darin nicht vom Autor ist.
Postum erscheint ein vierter Band der Serie von Otfried Preußler.
Wenn Kinder in Singapur oder Brasilien sich für Bratwürste und Sauerkraut interessieren, ist ein vom Böhmerwald nach Bayern abgewanderter Autor daran schuld. Öfters hat Otfried Preußler Fanpost von Kindern aus aller Welt bekommen, die ihn nach dem Rezept für das Lieblingsessen von Kasperl und Seppel gefragt haben. Auch eine singende Kaffeemühle kennt man wohl vor allem von seinem „Räuber Hotzenplotz“. Er gehört neben „Die kleine Hexe“, „Das kleine Gespenst“und „Der kleine Wassermann“zu den bekanntesten Büchern des 2013 verstorbenen Autors.
Kein Wunder, dass ein neues „Hotzenplotz“-Buch mit dem Namen Otfried Preußler darauf solches Aufsehen erregt, dass zur Befriedigung allgemeiner Ungeduld sogar das Erscheinungsdatum vorverlegt wurde. So verkündet jedenfalls Preußlers Stammverlag Thienemann. Seit heute ist „Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“im Handel. Der Verlag bewirbt es als postume Sensation.
Was hat es wirklich auf sich mit der Geschichte? Vor einem Jahr fand Preußlers Tochter Susanne Preußler-Bitsch in einem „Ideen und Fragmente“betitelten Ordner ihres Vaters ein „Hotzenplotz“-Stück „Die Fahrt zum Mond“fürs Kasperltheater. Entstanden ist es 1967, zwischen dem ersten und dem zweiten der insgesamt drei Hotzenplotz-Bände. Der Räuber ist darin aus dem Spritzenhaus ausgerissen, Kasperl und Seppel ziehen wieder mit dem Handwagen aus, um ihm eine Falle zu stellen – diesmal nicht mit einer angeblichen Goldkiste, sondern einer angeblichen Mondrakete. Sie wollen zum Mond, verkünden sie möglichst laut im Wald, denn „das weiß doch jedes Kind, dass der Mond durch und durch aus purem Siiiiilber ist“.
Das Taschentuch ist hier nicht verknotet
Räuber „sind oft gar nicht so dumm, wie sie manchmal aussehen“, heißt es in Band eins. Der Mondraketen-Hotzenplotz ist so dumm, gleich lässt er sich in die Röhre stopfen, festbinden, und das wars auch schon. Keine köstlichen Verwicklungen. Seppel wird nicht für Kasperl gehalten, Hotzenplotz nicht für den Wachtmeister Dimpflmoser, die Kristall- kugel nicht (vom Dackel Wasti) für einen Kürbis. Keiner wird von einem unvergesslichen Bösewicht wie dem großen Zauberer Petrosilius Zwackelmann eingesperrt. Nie purzeln Recht und Unrecht durcheinander wie im dritten Band von 1973 – wo der Wachtmeister den Hotzenplotz verfolgt, weil er ihm seine ehrliche Reue nicht glaubt.
Der Plot taugt gut für lockeres Kasperltheater, wie vom Autor gedacht; als vierter „Hotzenplotz“-Band, wie er nun verkauft wird, ist er ein für Preußler rufschädigender Etikettenschwindel. Es liegt nicht nur an der Handlung, auch am Ton. Otfried Preußler steht als Autor drauf, nur teilweise ist er drin. Seine Tochter hat das Bühnenstück zur Geschichte vervollständigt, manchmal mit bekannten Formeln aus dem alten Buch (was noch das Beste ist), meist aber mit farblosen, vielleicht als respektvolle Zurückhaltung gedachten Sätzen.
Eine unsichtbare, aber entscheidende Figur fehlt hier – der verschmitzte, in typischer 1960er-Jahre-Manier die Kinder anredende Erzähler, der etwa am Kapitelende neben dem Bild eines Taschentuch-Knotens anmerkt: „Denn Knoten im Taschentuch sind oft schon recht nützlich gewesen.“Eine leicht rhythmisierte Schärfe haben seine Sätze immer wieder, können sich pfeffrig aufladen wie Hotzenplotz’ Pfefferpistole. Nichts davon hier. Dem Räuber fehlt es auch an Fleisch, er grunzt und knurrt nicht, lacht nicht dröhnend, patscht sich nicht auf die Schenkel. Auf der Kasperlbühne hätte Hotzenplotz das sowieso getan, auch ohne Re- gieanweisung. In einer Geschichte hingegen hätte Preußler es geschildert. Kurzum, der Text hätte die Einfälle und Eingriffe eines begabteren und mutigeren Autors gebraucht.
Dazu kommt eine peinliche Pointe: Kurz vor Erscheinen musste der ThienemannVerlag bekannt geben, dass das Stück „Die Fahrt zum Mond“keineswegs die postume Erstentdeckung ist, für die offenbar sowohl der Verlag als auch Preußlers Tochter sie gehalten hatten. In zwei Sammelbänden Ende der 1960er-Jahre war sie bereits publiziert.
Bilder, originaltreu und doch originell
Und doch: Ehrlich ausgeschildert, ist die neue „Hotzenplotz“-Bearbeitung für Fans auch kein Schaden. Das liegt am meisten am Teil, der gar nicht von Preußler ist, den Bildern. Thorsten Saleina hat die Figuren nah am Originalstil (von F. J. Tripp) und doch originell gezeichnet. Alle sind weniger eckig und spitznasig, ihren Charakter haben sie sich trotzdem ebenso erhalten wie ihre Tracht. Ein schönes Wiedersehen – fast zu schade für nur ein neues „Hotzenplotz“-Buch.
Und wer weiß schon genau, wie der neue „Hotzenplotz“wirken wird? „Ich wünsche jedem Kind, dass es ein paar Mal am rechten Ort und zur rechten Stunde die rechte Geschichte erzählt bekommt, dass ihm das rechte Buch in die Hand gerät. Ein Bild nur möge sich darin finden, das es in diesem einen, bestimmten, unwiederbringlichen Augenblick gerade brauchen kann“, schrieb Preußler drei Jahre vor seinem Tod. Auch dieser „Hotzenplotz“verwandelt sich vielleicht in manchen Betten, manchen Augenblicken plötzlich zum „rechten Buch“.