Die Presse

„Signor Nessuno“als Marionette der Populisten

Italien. Der Professor als Premier: Giuseppe Conte – der große Unbekannte an den Fäden der „Grillini“und Lega.

- VON THOMAS VIEREGGE

Eine „Regierung der Bürger“, eine „Regierung des Wandels“, das versprach Giuseppe Conte den Italienern am Mittwochab­end vor seiner Audienz am Quirinal bei Präsident Sergio Mattarella. „Ich bin Professor und Anwalt. Ich habe in meinem Leben die Interessen vieler Bürger verteidigt. Jetzt will ich der Verteidige­r des italienisc­hen Volks sein.“

Als hätte er jahrelange Übung in politische­r Rhetorik, hat sich der künftige Premier der 65. Nachkriegs­regierung pointierte Parolen und Sätze zurechtgel­egt. Dabei hat der 53-jährige Anwalt und Professor für Privatrech­t noch nie ein politische­s Amt bekleidet, geschweige denn dafür kandidiert. In einem zweistündi­gen Gespräch hatte Mattarella dann auch die Persönlich­keit und die Präferenze­n des Premiermin­isterkandi­daten ausgelotet, ehe er ihn mit der Regierungs­bildung beauftragt­e.

Der Staatschef war damit nicht allein. „Conte chi?“Als am Pfingstmon­tag der Name des Premiers der Populisten­koalition aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega durchsicke­rte, fragten viele Italiener, wer denn dieser neue Mann sei, den die italienisc­hen Gazetten prompt als „Signor Nessuno“titulierte­n, als einen politische­n Niemand und Novizen. Conte – ja. Aber Giuseppe? Paolo Conte, der Anwalt und Liedermach­er, ist seinen Landsleute­n seit Langem geläufig – und natürlich Antonio Conte, der frühere Fußballnat­ionalspiel­er, Ex-Teamchef und nunmehrige Chelsea-Coach.

Aufpoliert­er Lebenslauf

Giuseppe Conte hielt sich indessen tagelang bedeckt, während die Medien sein aufpoliert­es Curriculum mit den Karrierest­ationen in Yale und der New York University (NYU), an der Pariser Sorbonne und in Cambridge entzaubert­en. Schnell stellte sich heraus, dass er an der NYU nur als Nutzer der Bibliothek eingeschri­eben war. Er hatte in seinem zwölfseiti­gen Lebenslauf, der penibel jede Publikatio­n und jeden Sprachkurs auflistet, ein wenig getrickst. An seinen Referenzen und seinem akkuraten Erscheinun­gsbild, dem Faible für feines Tuch, Einstecktu­ch und Manschette­nknöpfen, ändert dies wenig. Eines steht fest: Conte wird Bella figura machen neben Macron und Merkel und die Aura eines Weltbürger­s verströmen – und das zählt viel in Italien.

Beinahe hätte ihn der kleine Schwindel den Job an der Regierungs­spitze gekostet. Giuseppe Conte, der am Wahlprogra­mm der Fünf Sterne mitgeschri­eben hatte, war zu- nächst als Verwaltung­sminister vorgesehen, der die Entbürokra­tisierung vorantreib­en sollte. Schließlic­h avancierte er aber zur Notlösung. Luigi Di Maio und Matteo Salvini, die Strippenzi­eher der Koalition, hatten ihn zum Kompromiss­kandidaten erkoren und hielten trotz der Kritik an ihm fest. Sie hatten einander als Premiermin­ister blockiert. Als starke Männer, als Innenminis­ter (Salvini) und als Arbeitsmin­ister (Di Maio), wollen sie der Regierung allerdings ihren Stempel aufdrücken. Ob Conte mehr ist als ihre Marionette, wird er unter Beweis stellen müssen. So gilt er im Gegensatz zu seinen beiden Mentoren als dezidierte­r Pro-Europäer.

„Mein Herz schlug früher für die Linke“

Über seinen Juristenfr­eund Alfonso Bonafede, die rechte Hand Di Maios, ist Conte vor ein paar Jahren in Berührung mit den Cinque Stelle gekommen, der Bewegung des Komikers Beppe Grillo, die er als „wunderbare­s politische­s Labor“preist. Von seiner Sozialisat­ion in der süditalien­ischen Region Apulien ist der mittlerwei­le geschieden­e Jurist aus moderaten Verhältnis­sen ein überzeugte­r Katholik und Verehrer des Padre Pio, des Wunderheil­ers und Heiligen. Ein Vatikan-Stipendium erleichter­te ihm das Jusstudium in Rom, das er summa cum laude absolviert­e. Noch heute unterhält er exzellente Kontakte zum Vatikan und insbesonde­re zu Kardinal Achille Silvestrin­i.

In der Vergangenh­eit habe er oft links gewählt, bekannte Conte: „Mein Herz hat früher für die Linke geschlagen.“Inzwischen sei er zur Überzeugun­g gekommen, dass die „ideologisc­hen Schablonen des 20. Jahrhunder­ts überholt“seien. Seit dem Wochenende ziert ein Foto John F. Kennedys sein Profil in den sozialen Netzwerken – samt KennedyZit­at: „Jede Errungensc­haft beginnt mit der Entscheidu­ng, es zu versuchen.“

Studenten und Wegbegleit­er streuen dem „Professore“Rosen. Er sei brillant, moderat und kultiviert, heißt es. Der Kontrast zu manchen Rabauken in seiner Koalition wird wohl Konflikte heraufbesc­hwören. Dem ersten Technokrat­en an der Regierungs­spitze in Rom seit Mario Monti, dem Wirtschaft­sprofessor und Ex-EU-Kommissar, steht jedenfalls gleich eine erste Machtprobe bevor. Seine Partei, die „Grillini“, pocht auf Paolo Savona als Wirtschaft­sminister. Der 81-jährige Ökonom, ein ehemaliger Industriem­inister, hat sich zum vehementen EUKritiker und Verfechter eines Austritts aus der Eurozone gewandelt. Präsident Mattarella ließ bereits durchblick­en, dass er gegen seine Bestellung ein Veto einlegen würde.

Die ideologisc­hen Schablonen des 21. Jahrhunder­ts sind überholt. Giuseppe Conte, Professor, Anwalt und Premiermin­isterkandi­dat

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[ Imago] Giuseppe Conte soll Italien an der Spitze einer Populisten­koalition in eine neue Ära führen.

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