„Signor Nessuno“als Marionette der Populisten
Italien. Der Professor als Premier: Giuseppe Conte – der große Unbekannte an den Fäden der „Grillini“und Lega.
Eine „Regierung der Bürger“, eine „Regierung des Wandels“, das versprach Giuseppe Conte den Italienern am Mittwochabend vor seiner Audienz am Quirinal bei Präsident Sergio Mattarella. „Ich bin Professor und Anwalt. Ich habe in meinem Leben die Interessen vieler Bürger verteidigt. Jetzt will ich der Verteidiger des italienischen Volks sein.“
Als hätte er jahrelange Übung in politischer Rhetorik, hat sich der künftige Premier der 65. Nachkriegsregierung pointierte Parolen und Sätze zurechtgelegt. Dabei hat der 53-jährige Anwalt und Professor für Privatrecht noch nie ein politisches Amt bekleidet, geschweige denn dafür kandidiert. In einem zweistündigen Gespräch hatte Mattarella dann auch die Persönlichkeit und die Präferenzen des Premierministerkandidaten ausgelotet, ehe er ihn mit der Regierungsbildung beauftragte.
Der Staatschef war damit nicht allein. „Conte chi?“Als am Pfingstmontag der Name des Premiers der Populistenkoalition aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega durchsickerte, fragten viele Italiener, wer denn dieser neue Mann sei, den die italienischen Gazetten prompt als „Signor Nessuno“titulierten, als einen politischen Niemand und Novizen. Conte – ja. Aber Giuseppe? Paolo Conte, der Anwalt und Liedermacher, ist seinen Landsleuten seit Langem geläufig – und natürlich Antonio Conte, der frühere Fußballnationalspieler, Ex-Teamchef und nunmehrige Chelsea-Coach.
Aufpolierter Lebenslauf
Giuseppe Conte hielt sich indessen tagelang bedeckt, während die Medien sein aufpoliertes Curriculum mit den Karrierestationen in Yale und der New York University (NYU), an der Pariser Sorbonne und in Cambridge entzauberten. Schnell stellte sich heraus, dass er an der NYU nur als Nutzer der Bibliothek eingeschrieben war. Er hatte in seinem zwölfseitigen Lebenslauf, der penibel jede Publikation und jeden Sprachkurs auflistet, ein wenig getrickst. An seinen Referenzen und seinem akkuraten Erscheinungsbild, dem Faible für feines Tuch, Einstecktuch und Manschettenknöpfen, ändert dies wenig. Eines steht fest: Conte wird Bella figura machen neben Macron und Merkel und die Aura eines Weltbürgers verströmen – und das zählt viel in Italien.
Beinahe hätte ihn der kleine Schwindel den Job an der Regierungsspitze gekostet. Giuseppe Conte, der am Wahlprogramm der Fünf Sterne mitgeschrieben hatte, war zu- nächst als Verwaltungsminister vorgesehen, der die Entbürokratisierung vorantreiben sollte. Schließlich avancierte er aber zur Notlösung. Luigi Di Maio und Matteo Salvini, die Strippenzieher der Koalition, hatten ihn zum Kompromisskandidaten erkoren und hielten trotz der Kritik an ihm fest. Sie hatten einander als Premierminister blockiert. Als starke Männer, als Innenminister (Salvini) und als Arbeitsminister (Di Maio), wollen sie der Regierung allerdings ihren Stempel aufdrücken. Ob Conte mehr ist als ihre Marionette, wird er unter Beweis stellen müssen. So gilt er im Gegensatz zu seinen beiden Mentoren als dezidierter Pro-Europäer.
„Mein Herz schlug früher für die Linke“
Über seinen Juristenfreund Alfonso Bonafede, die rechte Hand Di Maios, ist Conte vor ein paar Jahren in Berührung mit den Cinque Stelle gekommen, der Bewegung des Komikers Beppe Grillo, die er als „wunderbares politisches Labor“preist. Von seiner Sozialisation in der süditalienischen Region Apulien ist der mittlerweile geschiedene Jurist aus moderaten Verhältnissen ein überzeugter Katholik und Verehrer des Padre Pio, des Wunderheilers und Heiligen. Ein Vatikan-Stipendium erleichterte ihm das Jusstudium in Rom, das er summa cum laude absolvierte. Noch heute unterhält er exzellente Kontakte zum Vatikan und insbesondere zu Kardinal Achille Silvestrini.
In der Vergangenheit habe er oft links gewählt, bekannte Conte: „Mein Herz hat früher für die Linke geschlagen.“Inzwischen sei er zur Überzeugung gekommen, dass die „ideologischen Schablonen des 20. Jahrhunderts überholt“seien. Seit dem Wochenende ziert ein Foto John F. Kennedys sein Profil in den sozialen Netzwerken – samt KennedyZitat: „Jede Errungenschaft beginnt mit der Entscheidung, es zu versuchen.“
Studenten und Wegbegleiter streuen dem „Professore“Rosen. Er sei brillant, moderat und kultiviert, heißt es. Der Kontrast zu manchen Rabauken in seiner Koalition wird wohl Konflikte heraufbeschwören. Dem ersten Technokraten an der Regierungsspitze in Rom seit Mario Monti, dem Wirtschaftsprofessor und Ex-EU-Kommissar, steht jedenfalls gleich eine erste Machtprobe bevor. Seine Partei, die „Grillini“, pocht auf Paolo Savona als Wirtschaftsminister. Der 81-jährige Ökonom, ein ehemaliger Industrieminister, hat sich zum vehementen EUKritiker und Verfechter eines Austritts aus der Eurozone gewandelt. Präsident Mattarella ließ bereits durchblicken, dass er gegen seine Bestellung ein Veto einlegen würde.
Die ideologischen Schablonen des 21. Jahrhunderts sind überholt. Giuseppe Conte, Professor, Anwalt und Premierministerkandidat