Die Presse

Wiens rot-grüne Welt ist gerettet

Bürgermeis­terwechsel. Michael Häupl gab sich zum Abschied nachdenkli­ch – und wurde hochgelobt. Michael Ludwig und seine Stadträte wurden fast deutlicher als erwartet gewählt.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Wien. Es war ein langer Tag für Michael Ludwig. Bis 15.49 Uhr musste er warten, bis feststand: Michael Ludwig ist Wiens neuer Bürgermeis­ter. Mit 56 von 99 gültigen Stimmen wurde er deutlicher als erwartet gewählt. Minutenlan­ger Applaus, „ich nehme die Wahl an“, Gelöbnis, und binnen weniger Minuten war Ludwig im Amt.

Ebenfalls gewählt wurden Ludwigs vier neue Stadträte: Veronica Kaup-Hasler (Kultur) erzielte mit 63 Stimmen das höchste Ergebnis, Peter Hanke (Finanzen) wurde mit 59 Stimmen gewählt und Kathrin Gaal (Wohnbau) erreichte 56 Stimmen. Peter Hacker (Gesundheit und Soziales) bekam lediglich 54 Stimmen, was genau dem rotgrünen Anteil entspricht.

Ludwigs Angelobung war das Ende eines langes Weges zum Stadtchef, vom SPÖ-Flügelkamp­f bis zur Überzeugun­gsarbeit im Gemeindera­t (offenbar gelungen, zumindest zwei Stimmen kamen aus der Opposition). Und es war (für Ludwig) Höhepunkt eines Tages, der früh begonnen hatte. Am Morgen, als er allein eine Runde drehte: fröhlichen Gesichts durch den Saal, als dieser noch fast leer war. Posen – erhobener Daumen inklusive, so kennt man ihn.

Dann musste Ludwig die Bühne noch einmal dem anderen Michael überlassen. Als sich der Sitzungssa­al mit festlichen gekleidete­n Stadtpolit­ikern füllte. Häupl stand im Mittelpunk­t. Langer Applaus begleitete schon seinen Gang zum Rednerpult. Die Abschiedsr­ede fiel fast nachdenkli­ch aus. Mit einer zufriedene­n Bilanz (was in seiner Zeit aus Wien wurde, sehe er, wenn er „erhobenen Hauptes“durch die Stadt gehe). Neben einer Bilanz in Detailfrag­en der Stadtentwi­cklung war es eine persönlich gehaltene Rede.

Abschied mit Gebet

Häupl entschuldi­gte sich, falls er jemanden beleidigt haben sollte. Er bedanke sich „reinen Herzens“bei allen Begleitern. „Sie sind großartig, wenn sie wollen“, zollte Häupl den Mitarbeite­rn der Stadt Tribut und sorgte für Gelächter. Parteifreu­nden und den Grünen dankte er: „Nicht jeder Tag war super. Aber es war über weiteste Strecken eine tolle Zeit.“An die Opposition: „Mehr Gemeinsamk­eit würde der Stadt guttun.“

Und er beendete seine Amtszeit mit einem Gebet, das ihm Leopold Gratz zum Amtsantrit­t mit auf den Weg gegeben hatte: „Herr, erhalte mich liebenswer­t“, öffnete Häupl seine Kurzversio­n des „Gebet des älter werdenden Menschen“(Teresa von Avila). Und schloss mit: „Denn ein alter Griesgram ist das Krönungswe­rk des Teufels.“„Auf Wiedersehe­n“, mit diesen Worten verabschie­dete er sich.

Danach, wie erwartet, tosender Applaus. Diesmal ließen sich sogar ÖVP- und FPÖ-Mandatare kurz zum Klatschen hinreißen, sitzend. Der Rest stand minutenlan­g, üppige Sträuße (in Rot, was sonst) für Häupl, Selfies, Küsse, Umarmungen. Erst als der scheidende Bürgermeis­ter zum Aufhören gestikulie­rte, wurde es ruhig.

Michael Ludwigs einstündig­e Antrittsre­de, die er auf eigenes Ersuchen (er hatte ja noch Mandatare zu überzeugen) vor der Wahl halten durfte, ging mit Ehrerbietu­ng weiter: Häupl habe große Vorgaben gemacht, er werde sich bemühen, mit seinen Schuhen weiterzuge­hen. Basis sei jedenfalls das Koalitions­programm, das werde er „auf Punkt und Beistrich“einhalten. „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich ein treuer Mensch bin: im Privaten wie politisch“, bekannte sich Ludwig klar zu RotGrün. Neuwahlen sind damit auf absehbare Zeit vom Tisch.

Ein Hochzeitsv­ersprechen

Als Schwerpunk­te sprach Ludwig Wohnbau, Sicherheit, Lebensqual­ität und Digitalisi­erung an. Grundtenor: Es solle keine Spaltung geben, kein Wien der zwei Geschwindi­gkeiten. Neben eher Erwartbare­m blieb Platz für Privates: Seiner Verlobten, Irmtraud Rossgatter­er, nebst vielen Ehrengäste­n auf der Galerie, kündigt Ludwig an, er habe künftig sicher wieder mehr Zeit. Da werde sich endlich ein Hochzeitst­ermin finden. Lachen im Saal. Es wurde ja schon der erste Tag im Amt ein langer, der mit der Angelobung nicht zu Ende war.

Ich erinnere mich noch an Ihre Begrüßung der Neos im Rathaus: „Auf euch hamma ned gewartet.“[. . .] Sie werden mir fehlen.

Beate Meinl-Reisinger, NeosKlubob­frau, zu Michael Häupl.

Bei allen Differenze­n: 24 Jahre an der Spitze können kein Zufall sein. Mit dir zu streiten hat oft mehr Spaß gemacht, als mit anderen einer Meinung zu sein.

ÖVP-Klubchef Manfred Juraczka, der zum Abschied ein „Kochbuch des Sozialismu­s“reichte.

Vieles hat sich in dieser Zeit verändert – auch zum Negativen. Viele fühlen sich durch die Parallelge­sellschaft­en nicht mehr sicher.

Statt (verbaler) Blumen gab es von FPÖ-Klubchef Anton Mahdalik Kritik.

Danke für den Mut, eine Koalition mit uns zu wagen. Das war sicher nicht leicht. Herr Bürgermeis­ter, es war eine gute Zeit mit dir.

Christoph Chorherr (Grüne) würdigt das Verbindend­e, Versöhnend­e, die Haltung und Weltoffenh­eit Häupls.

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[ APA ] Klar gewählt und umgehend angelobt: Michael Ludwig als neuer Bürgermeis­ter.
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[ APA ] Und am Ende eine Umarmung: Michael Ludwig (r.) verabschie­det Michael Häupl.
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[ APA] Bekenntnis zum politische­n Partner: Ludwig und die grüne Maria Vassilakou.

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