Wie sich Häupls Wien verjüngte
Jugendkultur. Die Jungen in Wien sind seit dem Amtsantritt von Michael Häupl im Jahr 1994 nicht nur mehr, sondern auch deutlich sichtbarer geworden.
Wer in Wien ausgehen will, muss nicht lang suchen. Für alle Sparten der Jugendkultur gibt es das geeignete Eck: Da ist der Donaukanal für die Hipster, der Gürtel für die Alternativen, die Hochglanzclubs der Inneren Stadt für Sprosse aus besserem Haus.
Das war nicht immer so. Im Jahr 1994, als Michael Häupl Bürgermeister wurde, herrschte am Donaukanal gähnende Leere. Der Gürtel war Hauptverkehrsader für Pendler und Platz von Prostituierten, von den kleinen Clubs unter den Stadtbahnbögen keine Spur. Einzig das Bermudadreieck im ersten Bezirk gab es schon als Ausgehviertel sowie ein paar Pioniere der Wiener Lokalszene wie das U4. Dann waren da auch noch die Heurigen in der Vorstadt, aber die gab es schon immer.
Das war dem jungen Michael Häupl offenbar zu wenig. „Wien darf nicht verwech- selbar mit dem Zentralfriedhof werden“, kritisierte er das fehlende Jugendprogramm der eigenen Partei. Bei Häupls Amtsantritt war Wien mit einem Durchschnittsalter von 40,7 Jahren das älteste Bundesland Österreichs. Mittlerweile ist Wien beliebt bei den Jungen: Seit 2015 hat Wien im Bundesländervergleich den jüngsten Altersdurchschnitt. Er liegt zwar immer noch bei 40,2 Jahren, ist aber im Gegensatz zum Rest Österreichs leicht gesunken. Das ist wohl auch dem Zustrom junger Flüchtlinge geschuldet. Mit rund 200.000 Studierenden ist Wien außerdem die größte Universitätsstadt des deutschsprachigen Raums.
Eine Jugendszene in Wien gab es natürlich auch schon in den Neunzigern, erklärt der Jugendforscher Philipp Ikrath. Sie war relativ übersichtlich: Es gab Grunge, Punk und Techno. Ikrath nennt sie die klassischen Ju- gendkulturszenen, von der jeder schon gehört hat. In dieser Form gebe es diese Szenen nicht mehr. Jugendkultur ist heute viel zersplitterter, es gibt zahllose Subgruppen.
Was nichts daran ändert, dass die Jugend in Wien viel sichtbarer geworden ist. „Eventisierung“nennt Ikrath das Phänomen. Während es Anfang der Neunziger einige jugendkulturelle Lokale gegeben hat, führen heute Veranstaltungen wie das Popfest am Karlsplatz oder den Gürtelnightwalk (eine Art Nacht der offenen Tür der Lokale am Gürtel) dazu, dass Jugendkultur viel mehr als früher im öffentlichen Raum stattfindet. Dass Wiens Jugend sichtbarer ist, daran habe auch die Stadtpolitik ihren Anteil, glaubt Ikrath. Tatsächlich hat sich seit Beginn der Ära Häupl einiges verändert.
Der Wiener Gürtel wurde als Fokusgebiet der Stadt und dank EU-Gelder zu einer der wichtigsten Ausgehmeilen der Stadt. Am Donaukanal eröffnete auf Initiative der Stadt 1995 das Szenelokal Flex als erstes von vielen. Heute streiten sich Gastronomen dort um die heiß begehrten Flächen.
Das Museumsquartier als Kulturstätte und sommerlicher Treffpunkt der jungen Wiener eröffnete 2001. Ab 1995 fahren 22 Busse jede Nacht durch Wien, seit 2010 zumindest am Wochenende auch die U-Bahn. Nicht alles kann sich Michael Häupl in den Lebenslauf schreiben. Viele Projekte, darunter auch die Neugestaltung von Museumsquartier und Donaukanal, wurden schon vor seinem Amtsantritt begonnen. Dass die heute nicht mehr wegzudenkenden Kulturzentren WUK und Arena gemeinschaftlich genutzt werden, erkämpfte die Jugend schon in den Siebzigern. Dass Wien zum Friedhof wird, hat Häupl zumindest erfolgreich verhindert.