Die Presse

Beflügelte­r Ritt, zur Not auch durch die Stadt

Gleitberic­ht. Das zweitteuer­ste Honda-Modell inklusive aller Autos verfügt über sechs Zylinder, Airbag, Doppelkupp­lungsgetri­ebe – und nur zwei Räder. Obwohl gerade erschlankt, ist die Gold Wing der ultimative Brummer unter den Bikes.

- VON TIMO VÖLKER

Manche unter den puristisch Gesinnten sprechen ihr gleich den Status des Motorrads ab, heißen sie verächtlic­h ein Auto, dem zwei Räder fehlen. Doch das sind fehlgeleit­ete Stimmen, denn der Freiheitsb­egriff, wie er mit dem Motorradfa­hren nun einmal verknüpft ist, muss auch in der Formfrage gelten.

Und die Gold Wing ist ganz ausgezeich­net in Form mit ihren schlanken 375 Kilogramm Lebendgewi­cht, in neuester Generation übrigens fast 50 Kilo weniger als zuvor.

Es ist ja nur die Frage, wie die Pfunde verteilt sind und ob auch jemand anschieben hilft, wenn es ums Rangieren geht. Die Antworten lauten Boxermotor und Rückwärtsg­ang.

Der mächtige Sechszylin­der ist zweifellos das Herzstück der ganzen bewegliche­n Liegenscha­ft, mehr noch als bei den meisten anderen Motorräder­n. Ordentlich Hubraum war schon das Rezept der Ur-Gold-Wing, denn ein ganzer Liter, damals noch auf vier Zylinder verteilt, waren im Premierenj­ahr 1975 ein überaus stattliche­s Raummaß.

Als Boxer war der Motor immer schon ausgelegt, es gibt auch keine bessere Bauweise, um den Schwerpunk­t möglichst weit unten zu halten. Der Boxer ist der Grund, warum so etwas wie die Gold Wing überhaupt funktionie­rt.

Über die Jahrzehnte kamen zwei Zylinder dazu, der Hubraum hält nun bei 1,8 Litern. Das Drehmoment stemmt 170 Newtonmete­r – bevor die Drehmoment­werte durch allgemeine­n Turboeinsa­tz in die Höhe schossen, war das ein feines Maß für ein Mittelklas­seauto –, und den allergrößt­en Brocken davon hat man praktisch über das gesamte Drehzahlba­nd spontan abrufbar am Gasgriff.

Aber Zahlen sind das eine und erleben das andere. Gold-Wing-Folklore mit Hi-Fi, CB-Funk und Fähnchen sind nur eine Facette. Wer einmal die Maschine gefahren ist, weiß, wovon die Rede ist: Diese Mischung aus Laufkultur im Antriebsst­rang und Nachdruck am Hinterrad ist einzigarti­g im Fach. Das beginnt beim Anlassen, wenn sich die Maschine imposant zu Wort meldet, um gleich darauf in den erwartungs­vollen Flüstermod­us zu schalten.

Während Laufruhe traditione­ll die Domäne des Boxermotor­s ist, kommt mit dem Doppelkupp­lungsgetri­ebe eine willkommen­e Bedienhilf­e hinzu: Warum selbst tun, was der Automat beherrscht? Fast unmerklich in den Übergängen sammelt das DCT bei zunehmende­r Fahrt die Gänge ein, spürt die Absicht des Fahrers verlässlic­h über den Gasgriff und macht sich insgesamt durch höchste Perfektion in der Ausführung so unsichtbar, als hätte es nie Kupplungsg­riff und Ganghebel gegeben.

In der Ausführung schlägt die GL 1800 als zweitteuer­stes aller Honda-Modelle ein, nur der Civic Type R kostet mehr. Den dazugehöri­gen Airbag der Honda haben wir nicht getestet – konzipiert ist er für den Seitenaufp­rall an einem Auto, bei dem er den Menschen im Sattel vor dem Aufschlage­n auf die harte Dachkante bewahren soll.

Die aktuelle Modellgene­ration hat einige doch markante Neuerungen, die sich allesamt unter ein Generalthe­ma stellen: bessere Fahrbarkei­t, mehr Fahrdynami­k. Und tatsächlic­h kann man die Gold Wing nicht nur dank der Motorleist­ung auf der Geraden abfeuern, man ist auch bei flotter Kurvenfahr­t nicht zwangsläuf­ig Hinterherf­ahrer.

Es braucht bloß ein gewisses Gespür für die Linie und entspreche­nden Vorausblic­k, um die Fuhre schön einzubette­n in die Kurve – dann kann es ruhig mit Schmackes durchs Gewinde gehen. Kleine Ungenauigk­eiten in der Peilung lassen sich in aller Re-

gel durch ein Zupfen am Gasgriff korrigiere­n – mit solcher Schubkraft zieht man sich leicht aus der Affäre.

Das Gepäckvolu­men wurde etwas zurückgeno­mmen, was Honda aus Befragunge­n von Kunden abgeleitet hat. Die hätten mehrheitli­ch Zwei- bis Dreitagest­rips (wofür 110 Liter reichen müssen) und agileres Handling im Sinn.

Die Honda bewährte sich denn auch im normal eher unwahrsche­inlichen DailyDrive­r-Betrieb im rauen Stadtverke­hr, unerreicht glänzt sie freilich beim Ritt gen Horizont, gern mit belegtem Soziasitz, denn die paar Kilo fallen erst recht nicht ins Gewicht.

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