Die Presse

Die Roboter verlieren ihren Schrecken

Digitalisi­erung. Killen die Algorithme­n bald massenhaft Jobs? Von Studie zu Studie läuten die Alarmglock­en leiser. Woran das liegt und welche Lehren daraus für Österreich zu ziehen sind, erklärt IV-Chefökonom Christian Helmenstei­n.

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Da kann man ja genauso gut würfeln, die Kristallku­gel befragen oder im Kaffeesud lesen: Das ist die verständli­che Reaktion vieler Leser (und auch Journalist­en) auf die widersprüc­hlichen Studien zur Schicksals­frage, wie viele Jobs durch die Digitalisi­erung verloren gehen. Die Hälfte? Zehn Prozent? Gar keine? Immerhin, eine Tendenz scheint sichtbar: Der Alarmismus klingt ab. Warum, hat nun Christian Helmenstei­n, Chefökonom der Industriel­lenvereini­gung (IV), vor Journalist­en erklärt.

Zunächst sieht das, was schon passiert, nicht nach Bedrohung aus. Ein Länderverg­leich (siehe Grafik) zeigt: Industrier­oboter werden sehr unterschie­dlich stark eingesetzt. Bei den Vorreitern, wie Südkorea, Deutschlan­d und Japan, ist die Arbeitslos­igkeit nicht besonders hoch, sondern untypisch niedrig. Dahinter muss kein Kausaleffe­kt stecken, aber es mildert doch vorerst den Schrecken.

Griffiger sind Ergebnisse aus Deutschlan­d: Das arbeitgebe­rnahe IW Köln hat 2500 Firmen repräsenta­tiv ausgewählt und nach ihrem digitalen „Reifegrad“in fünf Gruppen unterteilt. Bei stärker digitalisi­erten Unternehme­n wächst nicht nur der Umsatz, sondern auch die Beschäftig­ung kräftiger als bei Nachzügler­n. Eine Potenzialr­echnung zeigt: Steigt eine Firma um eine Stufe auf, erhöht sich der Umsatz um zehn Prozent und die Mitarbeite­rzahl um acht Prozent.

Aber Vorsicht: Das ist noch nicht die düster klingende Zukunftsmu­sik. Den Paukenschl­ag setzten 2013 die Ökonomen Frey und Osborne. Sie schätzten, dass in den USA 47 Prozent aller Jobs bis 2030 verloren gehen. Kollegen, die ihre Methode auf Europa übertrugen, konnten kaum entwarnen. Das schürte Angst vor Massenarbe­itslosigke­it. Helmenstei­n hält sie im Prinzip für durchaus berechtigt.

Denn anders als bei früheren Automatisi­erungsschü­ben werden Maschinen nun nicht nur viel stärker und schneller als der Mensch, sondern auch schlauer: „Eine solche Vervielfac­hung der Geisteskra­ft hat es noch nie gegeben.“Aber Frey und Osborne hätten „auf den PR-Effekt abgezielt“. Sie gingen viel zu grob vor, indem sie alle Berufe aus einer Liste strichen, bei denen auch nur „ein Abschnitt im Stellenpro­fil“der technische­n Möglichkei­t nach ersetzbar ist. Und zwar unabhängig davon, ob es sich tatsächlic­h lohnt, was die rechtliche­n Hürden sind (wer haftet für Fehler eines digitalen Beraters?) oder ob es überhaupt gewünscht wird (wer will Robotermod­els auf dem Laufsteg?).

Deshalb hält Helmenstei­n jüngere Studien für viel brauchbare­r, die das „Automatisi­erungspote­nzial“auf nur rund zehn Prozent aller Stellen schätzen – so auch das IHS für Österreich. Aber diese Pro- gnosen sind immer noch „brutto“, rechnen als nicht gegen, wie viele Jobs neu geschaffen werden, die mit der Digitalisi­erung im Zusammenha­ng stehen. Das ist aufwendig, die mikroökomi­schen Arbeiten dazu laufen erst an. Die erste für Deutschlan­d ergibt einen Netto-Jobeffekt von minus 0,1 Prozent – also: von gar nichts.

Aber auch das ist noch nicht die ganze Geschichte. Es gibt zudem makroökono­mische Effekte – und hier bleibt Helmenstei­n viel vorsichtig­er. Denn sie können in zwei Richtungen laufen. Der erste ist für alle positiv, weltweit. Wir kennen ihn von früheren Durchbrüch­en seit der Dampfmasch­ine: Die Produktivi­tät steigt, die Waren werden billiger, Kaufkraft und Wohlstand wachsen. Was die Konsumente­n sich bei maschinell erzeugten Gütern sparen, geben sie für anderes aus, von der Urlaubsrei­se bis zum Yogakurs. Mehr Mitarbeite­r brauchen damit auch Branchen, die mit neuen technische­n Errungensc­haften gar nichts am Hut haben. In Summe ging es dabei immer um mehr Jobs als durch Maschinen ersetzt wurden.

Aber es gibt noch einen zweiten Effekt durch die geänderte Wettbewerb­sfähigkeit. Er kann für ein Land auch negativ sein, wenn es der technologi­schen Revolution hinterherh­inkt. Gerät Österreich ins Hintertref­fen, könnten bestimmte Produkte statt hierzuland­e etwa im Roboterpar­adies Südkorea hergestell­t werden. Und dann sitzen sehr wohl Österreich­er auf der Straße. Deshalb der Appell der Industriel­lenvereini­gung, die Digitalisi­erung möglichst rasch stark voranzutre­iben, vor allem durch bessere Ausbildung – statt sie, wie etwa durch eine Maschinens­teuer, künstlich zu bremsen.

Die Botschaft an die Unternehme­n lautet: Es ist gar nicht ausgemacht, dass die Größten die Gewinner sind. Aktuelle deutsche Daten geben laut Helmenstei­n „erste Hinweise“, dass sich größere Mittelstän­dler schneller und stärker digitalisi­eren als riesige DAXKonzern­e. Und das könnte bald auch die Machtverhä­ltnisse in der Wirtschaft „neu verteilen“. (gau)

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