Die Presse

Die türkische Kernschmel­ze

Analyse. Die Rettungsak­tion der türkischen Notenbank für die Lira greift nicht. Die Anleger misstrauen Präsident Erdo˘gan.

- VON MATTHIAS AUER

Diese Notbremsun­g kam zu spät. Am Mittwochab­end hob die türkische Notenbank überrasche­nd den wichtigste­n Zinssatz um 300 Basispunkt­e an, um den drastische­n Verfall der Landeswähr­ung Lira zu stoppen.

Selbst Präsident Recep Tayyip Erdogan,˘ der bisher von den Währungshü­tern stets Niedrigzin­sen „verlangte“, murmelte spätabends im TV etwas darüber, dass sich Investoren nicht zu sorgen brauchten, weil sich die Türkei auch nach den Neuwahlen „an die globalen Prinzipien der Geldpoliti­k halten“werde.

Das Problem ist nur: Die Investoren glauben dem türkischen Machthaber, der Ende Juni wiedergewä­hlt werden möchte, offenbar nicht mehr – und stoßen weiter Lira ab.

Nach einer kurzen Verschnauf­pause am Mittwochab­end setzte die türkische Währung ihre Talfahrt am Donnerstag unverminde­rt fort. Die Lira gab gegenüber dem Euro zwischenze­itlich um fast fünf Prozent nach. Seit Jahresbegi­nn hat die Währung nun schon mehr als ein Fünftel gegenüber Dollar und Euro verloren. Vor fünf Jahren war sie mehr als doppelt so viel wert.

Als Ursache für die Abwärtsspi­rale gilt einerseits die relative Stärke des US-Dollar, anderersei­ts aber vor allem der unorthodox­e Zugang des AKP-Politikers Erdogan˘ zur Geldpoliti­k.

Seit einigen Jahren setzt er die formal unabhängig­e Notenbank des Landes unter Druck, für billiges Geld und damit einen künstliche­n Aufschwung zu sorgen. Erst vor wenigen Wochen drohte er den Währungshü­tern, die Macht über die Geldpoliti­k nach den Wahlen ganz an sich zu reißen, wenn sie nur daran dächten, die Zinsen auf ein Niveau anzuheben, das der Wirtschaft­sentwicklu­ng des Landes entspricht.

Damit spricht er – gewollt oder ungewollt – eine Einladung an alle kurzfristi­g orientiert­en Anleger aus, gegen die türkische Notenbank und damit gegen die Landeswähr­ung Lira zu wetten.

Das freut vielleicht den einen oder anderen Österreich­er, der jetzt billiger in der Türkei urlauben kann. Die türkische Volkswirts­chaft, die im Vorjahr schneller gewachsen ist als die Chinas, stellt die Entwicklun­g vor eine Zerreißpro­be. Etliche türkische Konzerne sind bereits in Schieflage geraten, da sie ihre hohen Dollarschu­lden nicht mehr tilgen können. Die Bürger spüren die schwache Währung durch eine rapide steigende Inflation bei Importgüte­rn wie Benzin und Diesel.

Die traditione­lle Antwort der Geldpoliti­k wären deutlich höhere Zinsen im Rahmen von rund 20 Prozent. Sie würden die Währung stärken, Investoren locken und die Inflation drücken. Doch statt die Notenbank ihren Job erledigen zu lassen, hält Erdogan˘ an seiner Forderung nach immer mehr billigem Geld fest, um die heiß gelaufene Wirtschaft über den vorgezogen­en Wahltermin hinaus auf Temperatur zu halten. Mag sein, dass Erdogan˘ mit der Strategie an den Urnen gewinnt, auf dem Markt hat er verloren.

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