Die türkische Kernschmelze
Analyse. Die Rettungsaktion der türkischen Notenbank für die Lira greift nicht. Die Anleger misstrauen Präsident Erdo˘gan.
Diese Notbremsung kam zu spät. Am Mittwochabend hob die türkische Notenbank überraschend den wichtigsten Zinssatz um 300 Basispunkte an, um den drastischen Verfall der Landeswährung Lira zu stoppen.
Selbst Präsident Recep Tayyip Erdogan,˘ der bisher von den Währungshütern stets Niedrigzinsen „verlangte“, murmelte spätabends im TV etwas darüber, dass sich Investoren nicht zu sorgen brauchten, weil sich die Türkei auch nach den Neuwahlen „an die globalen Prinzipien der Geldpolitik halten“werde.
Das Problem ist nur: Die Investoren glauben dem türkischen Machthaber, der Ende Juni wiedergewählt werden möchte, offenbar nicht mehr – und stoßen weiter Lira ab.
Nach einer kurzen Verschnaufpause am Mittwochabend setzte die türkische Währung ihre Talfahrt am Donnerstag unvermindert fort. Die Lira gab gegenüber dem Euro zwischenzeitlich um fast fünf Prozent nach. Seit Jahresbeginn hat die Währung nun schon mehr als ein Fünftel gegenüber Dollar und Euro verloren. Vor fünf Jahren war sie mehr als doppelt so viel wert.
Als Ursache für die Abwärtsspirale gilt einerseits die relative Stärke des US-Dollar, andererseits aber vor allem der unorthodoxe Zugang des AKP-Politikers Erdogan˘ zur Geldpolitik.
Seit einigen Jahren setzt er die formal unabhängige Notenbank des Landes unter Druck, für billiges Geld und damit einen künstlichen Aufschwung zu sorgen. Erst vor wenigen Wochen drohte er den Währungshütern, die Macht über die Geldpolitik nach den Wahlen ganz an sich zu reißen, wenn sie nur daran dächten, die Zinsen auf ein Niveau anzuheben, das der Wirtschaftsentwicklung des Landes entspricht.
Damit spricht er – gewollt oder ungewollt – eine Einladung an alle kurzfristig orientierten Anleger aus, gegen die türkische Notenbank und damit gegen die Landeswährung Lira zu wetten.
Das freut vielleicht den einen oder anderen Österreicher, der jetzt billiger in der Türkei urlauben kann. Die türkische Volkswirtschaft, die im Vorjahr schneller gewachsen ist als die Chinas, stellt die Entwicklung vor eine Zerreißprobe. Etliche türkische Konzerne sind bereits in Schieflage geraten, da sie ihre hohen Dollarschulden nicht mehr tilgen können. Die Bürger spüren die schwache Währung durch eine rapide steigende Inflation bei Importgütern wie Benzin und Diesel.
Die traditionelle Antwort der Geldpolitik wären deutlich höhere Zinsen im Rahmen von rund 20 Prozent. Sie würden die Währung stärken, Investoren locken und die Inflation drücken. Doch statt die Notenbank ihren Job erledigen zu lassen, hält Erdogan˘ an seiner Forderung nach immer mehr billigem Geld fest, um die heiß gelaufene Wirtschaft über den vorgezogenen Wahltermin hinaus auf Temperatur zu halten. Mag sein, dass Erdogan˘ mit der Strategie an den Urnen gewinnt, auf dem Markt hat er verloren.