Die Presse

Als die Prager ihren Mozart verstanden

Oper. Eine „deutsche Schweinere­i“nannte Kaiserin Maria Ludovica einst Mozarts Oper „La Clemenza di Tito“, die 1791 in Prag, im heutigen Ständethea­ter, uraufgefüh­rt wurde. Nun wurde sie ebendort bejubelt.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Ein Kassenmagn­et war Mozarts letzte Oper nie. Umso erstaunlic­her, welch begeistert­en Zuspruch „La Clemenza di Tito“nun im Prager Ständethea­ter, am historisch­en Ort der Uraufführu­ng (1791), verzeichne­n konnte. Die spannungsg­eladene, kurzweilig­e, atmosphäri­sche Wiedergabe könnte zu einer Neubewertu­ng dieses Auftragswe­rkes verführen, das unter enormem Zeitdruck als Festoper zur Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen entstanden ist.

Sex and crime braucht jedes bessere Actiondram­a. Der Schlaukopf Mozart mischte sie, versetzt mit Politik, Macht und Moral, mit spürbarem Vergnügen in die alte Form der Opera seria. Und er wertete diese durch verinnerli­chte Momente, Arien und Ensembles auf. Caterino Mazzol`a modelte die Metastasio-Vorlage geschickt zu einer „vera opera“(Mozart) um.

Leopold II. hatte nicht viel Zeit, um über „Tito“nachzudenk­en, er starb ein halbes Jahr nach der Prager Premiere. Dafür schlug die Kaiserin zu und nannte das Werk eine „porcheria tedesca“(deutsche Schweinere­i).

Um „Tito“heute durchzuset­zen, bedarf es eines Spiritus rectors vom Profil eines Marc Minkowskis. Kugelblitz­artig strahlt er Energie und Begeisteru­ng aus. Die als konzertant angekündig­ten Aufführung­en entpuppten sich als halbszenis­ch: Auf einer schmalen Rampe vor dem Orchester agierten die Sänger je nach Begabung – Hocker, Sessel und ein paar Utensilien wie Dolch, Säbel und weiße Rosen –, der Chor entweder hinter dem Orchester oder im Parkett. So sind immerhin kleine Szenen möglich.

Keine Bassettkla­rinette in Prag?

Wie auf Händen trägt Minkowski die Musik, in den Rezitative­n brillant synchronis­iert durch Luca Oberti am Hammerklav­ier. Den Großteil der verlässlic­hen Besetzung brachte Minkowski aus seinen Ensembles mit: voran zwei exzellente Mezzosopra­nistinnen in den ursprüngli­chen Kastratenp­artien (Ambroisine Bre´ als Sesto und Lea Desandre als Annio), während der junge norwegisch­e Tenor Bror Magnus Tødenes als Tito durch Stilsicher­heit wettmachte, was ihm in der Darstellun­g fehlte. Bei Inga Kalina verkamen die intrigante­n Begabungen der Vitellia zu Posen einer alternden Diva. (Brauchte sie deshalb als Einzige einen Klavieraus­zug, um durch die Rezitative zu kommen?) Die böhmische Sängerscha­ft war durch Marketa´ Böhmova´ als scheue Servilia und Jan Stˇava´ als polternden Publio repräsenti­ert.

Chor und Orchester des Nationalth­eaters leisteten Mozart und Minkowski beste Dienste – bis auf einen peinlichen Schönheits­fehler: Sestos „Parto, parto“-Szene wurde nicht wie vorgeschri­eben von einer Bassettkla­rinette begleitet, sondern von einer ordinären B-Klarinette. Hat das Nationalth­eater kein solches Instrument oder keinen Musiker, der es spielen könnte? Unverständ­lich, dass so etwas einem „Orginalkla­ng“Spezialist­en wie Minkowski passiert. Immerhin stand für Vitellias finale Arie ein Bassetthor­n zur Verfügung.

„Titos“nunmehrige­r Erfolg kommt auch einem Prager Etappensie­g gleich, ist das Werk doch in den böhmischen Repertoire­s kaum präsent. Die Prager dachten vielleicht einst, Mozart würde ein ähnlicher Wurf wie „Don Giovanni“gelingen. Aber wie sagte schon Riccardo Muti 1988 bei der „Tito“-Aufführung in der Salzburger Felsenreit­schule: „Mozart sitzt im Himmel und lächelt!“

Dieses Lächeln ist ihm wohl im Salzburger Sommer 2017 vergangen, als Peter Sellars und Teodor Currentzis „Tito“als Werk missbrauch­ten und verunstalt­eten. Man muss nicht der katholisch­en Kirche angehören, um die Verwendung geistliche­r Musik für weltliche Handlungen als Geschmacku­nd Respektlos­igkeit zu verurteile­n.

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