Die Presse

Oscar Wildes munterer Untergang

Film. Im Biopic „The Happy Prince“beleuchtet Schauspiel­er Rupert Everett den Lebensaben­d des Dichters im Exil – und verleiht ihm selbst in hässlichst­en Momenten Charme.

- VON ANDREY ARNOLD

Soll er zahlen oder singen?“So fragt die Bardame in die Runde. Ein Gast hat ein Gerangel verursacht, irgendwie muss er für den Materialsc­haden aufkommen. Sein Angebot: eine kleine künstleris­che Darbietung. „Singen!“, johlt die trinkselig­e Kundschaft – also steigt der Mann, gestützt von zwei jungen Begleitern (er ist nicht mehr in bester Verfassung) auf einen Tisch und beginnt mit dem Elan eines Routiniers: „I’m a young girl, and I’ve just come over / Over from the country where they do things big.“Das Publikum liegt Oscar Wilde zu Füßen. Für einen Augenblick ist er wieder der „glückliche Prinz“, dessen sprühender Geist und bissiger Witz die High Society des viktoriani­schen Englands in Atem hielten. Doch diese Zeit ist längst vorbei: Inzwischen geistert der Heimatlose selbstverg­essen durch Montmartre-Spelunken, nur Straßenkin­der lauschen noch seinen Geschichte­n.

Wildes Lebensaben­d – nachdem seine Homosexual­ität 1895 im Zuge eines skandalträ­chtigen Prozesses „entlarvt“wurde, er für „Sittenverb­rechen“zwei Jahre ins Gefängnis musste, die bessere britische Gesellscha­ft sich von ihm abgewandt hatte und der einstmals gefeierte Dichter im Exil Stück für Stück in einen Abgrund der Verwahrlos­ung schlittert­e – wird von Filmbiogra­fien für gewöhnlich nicht in den Mittelpunk­t gerückt. Das Bild des Gefallenen ist nicht in Einklang mit der glanzvolle­n Aura seines Lebens im Zenit und im Rampenlich­t zu bringen. Dass Rupert Everett, Autor, Regisseur und Hauptdarst­eller des neuen Oscar-Wilde-Films „The Happy Prince“, der ab heute in den heimischen Kinos zu sehen ist, genau diesen Abschnitt der Laufbahn seines Idols beleuchtet, markiert das Drama als Herzenspro­jekt: Für Everett, selbst eine LGBTIkone (Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgende­r), ist Wilde einer der ersten Märtyrer der Schwulenbe­wegung – und zwar einer, der sich Daseinsfre­ude und Humor selbst in größter Not nicht nehmen ließ.

Nach seiner Entlassung aus demütigend­er Kerkerhaft hofft Wilde auf Rehabilita­tion. Das Pseudonym Sebastian Melmoth soll temporären Schutz bieten, der alte Freund Reggie Turner (Colin Firth) und der Ex-Lover Robbie Ross (Edwin Thomas) geloben Unterstütz­ung, seine Frau Constance (Emily Watson) geht zwar auf Distanz, gewährt ihm aber eine kleine Apanage. Doch bald wird Wilde von alten Geistern heimgesuch­t – in Form seiner verhängnis­vollen Amour fou Lord Alfred „Boise“Douglas (Colin Morgan verkörpert ihn als eitlen Vertreter einer verantwort­ungslosen Jeunesse doree)´ – und gerät zusehends in eine unaufhalts­ame Abwärtsspi­rale.

Everett, der Wilde 2012 schon am Theater gab, verleiht dem Untergeher selbst in seinen hässlichst­en Momenten das Charisma eines geborenen Entertaine­rs, verschließ­t die Augen aber nicht vor seinen Verfehlung­en: Der zeitweilig­en Kälte gegenüber seinen treuherzig­sten Helfern, der Zügellosig­keit seiner (sexuellen) Vergnügung­ssucht, der Zielstrebi­gkeit seiner selbstzers­törerische­n Tendenzen. Dass es aber im Kern der falsche und letztlich auf Klassendün­kel basierende Moralkodex seiner Landsleute ist, der Wilde in den Ruin getrieben hat, daraus macht der Film kein Hehl. „Geht zurück nach England, dort ist der natürliche Lebensraum des Heuchlers!“, schleudert der Schriftste­ller einem Haufen britischer Clockwork-Orange-Hooligans entgegen, als ihn diese zufällig in Frankreich entdecken und zum Zeitvertre­ib sekkieren. Ein bisschen hängt über dieser Szene auch der Schatten zeitgenöss­ischer Empörungsk­ultur.

Periodisch­e Rückblende­n zeigen Wilde im Familiengl­ück und erinnern daran, dass sein Dasein auch anders hätte verlaufen können, wäre die Zeit reifer und freier gewesen. Die Leidenscha­ft dieses Plädoyers für Offenheit berührt. So verzeiht man dem Film, mit dem Rupert Everett sein Regiedebüt gibt, auch seine zum Teil reduzierte Zeichnung von Nebenfigur­en und manch einen Melodramat­ik-Exzess. Es ist kein Künstlerpo­rträt für die Geschichts­bücher und Kulturinst­itute, sondern eines für seine wahren Fans.

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