Oscar Wildes munterer Untergang
Film. Im Biopic „The Happy Prince“beleuchtet Schauspieler Rupert Everett den Lebensabend des Dichters im Exil – und verleiht ihm selbst in hässlichsten Momenten Charme.
Soll er zahlen oder singen?“So fragt die Bardame in die Runde. Ein Gast hat ein Gerangel verursacht, irgendwie muss er für den Materialschaden aufkommen. Sein Angebot: eine kleine künstlerische Darbietung. „Singen!“, johlt die trinkselige Kundschaft – also steigt der Mann, gestützt von zwei jungen Begleitern (er ist nicht mehr in bester Verfassung) auf einen Tisch und beginnt mit dem Elan eines Routiniers: „I’m a young girl, and I’ve just come over / Over from the country where they do things big.“Das Publikum liegt Oscar Wilde zu Füßen. Für einen Augenblick ist er wieder der „glückliche Prinz“, dessen sprühender Geist und bissiger Witz die High Society des viktorianischen Englands in Atem hielten. Doch diese Zeit ist längst vorbei: Inzwischen geistert der Heimatlose selbstvergessen durch Montmartre-Spelunken, nur Straßenkinder lauschen noch seinen Geschichten.
Wildes Lebensabend – nachdem seine Homosexualität 1895 im Zuge eines skandalträchtigen Prozesses „entlarvt“wurde, er für „Sittenverbrechen“zwei Jahre ins Gefängnis musste, die bessere britische Gesellschaft sich von ihm abgewandt hatte und der einstmals gefeierte Dichter im Exil Stück für Stück in einen Abgrund der Verwahrlosung schlitterte – wird von Filmbiografien für gewöhnlich nicht in den Mittelpunkt gerückt. Das Bild des Gefallenen ist nicht in Einklang mit der glanzvollen Aura seines Lebens im Zenit und im Rampenlicht zu bringen. Dass Rupert Everett, Autor, Regisseur und Hauptdarsteller des neuen Oscar-Wilde-Films „The Happy Prince“, der ab heute in den heimischen Kinos zu sehen ist, genau diesen Abschnitt der Laufbahn seines Idols beleuchtet, markiert das Drama als Herzensprojekt: Für Everett, selbst eine LGBTIkone (Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender), ist Wilde einer der ersten Märtyrer der Schwulenbewegung – und zwar einer, der sich Daseinsfreude und Humor selbst in größter Not nicht nehmen ließ.
Nach seiner Entlassung aus demütigender Kerkerhaft hofft Wilde auf Rehabilitation. Das Pseudonym Sebastian Melmoth soll temporären Schutz bieten, der alte Freund Reggie Turner (Colin Firth) und der Ex-Lover Robbie Ross (Edwin Thomas) geloben Unterstützung, seine Frau Constance (Emily Watson) geht zwar auf Distanz, gewährt ihm aber eine kleine Apanage. Doch bald wird Wilde von alten Geistern heimgesucht – in Form seiner verhängnisvollen Amour fou Lord Alfred „Boise“Douglas (Colin Morgan verkörpert ihn als eitlen Vertreter einer verantwortungslosen Jeunesse doree)´ – und gerät zusehends in eine unaufhaltsame Abwärtsspirale.
Everett, der Wilde 2012 schon am Theater gab, verleiht dem Untergeher selbst in seinen hässlichsten Momenten das Charisma eines geborenen Entertainers, verschließt die Augen aber nicht vor seinen Verfehlungen: Der zeitweiligen Kälte gegenüber seinen treuherzigsten Helfern, der Zügellosigkeit seiner (sexuellen) Vergnügungssucht, der Zielstrebigkeit seiner selbstzerstörerischen Tendenzen. Dass es aber im Kern der falsche und letztlich auf Klassendünkel basierende Moralkodex seiner Landsleute ist, der Wilde in den Ruin getrieben hat, daraus macht der Film kein Hehl. „Geht zurück nach England, dort ist der natürliche Lebensraum des Heuchlers!“, schleudert der Schriftsteller einem Haufen britischer Clockwork-Orange-Hooligans entgegen, als ihn diese zufällig in Frankreich entdecken und zum Zeitvertreib sekkieren. Ein bisschen hängt über dieser Szene auch der Schatten zeitgenössischer Empörungskultur.
Periodische Rückblenden zeigen Wilde im Familienglück und erinnern daran, dass sein Dasein auch anders hätte verlaufen können, wäre die Zeit reifer und freier gewesen. Die Leidenschaft dieses Plädoyers für Offenheit berührt. So verzeiht man dem Film, mit dem Rupert Everett sein Regiedebüt gibt, auch seine zum Teil reduzierte Zeichnung von Nebenfiguren und manch einen Melodramatik-Exzess. Es ist kein Künstlerporträt für die Geschichtsbücher und Kulturinstitute, sondern eines für seine wahren Fans.