Die Presse

Ein Abenteuer mit Beethoven

Konzerthau­s. Elisabeth Leonskaja spielte die drei letzten Klavierson­aten an einem pausenlose­n, ungemein spannenden Abend im Mozartsaal.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Karg, fast verstörend trocken klingt der Beginn der E-Dur-Sonate – Elisabeth Leonskaja macht keine Konzession­en, wenn sie darangeht, die drei letzten Klavierson­aten Ludwig van Beethovens an einem pausenlose­n Abend aufzuführe­n. Da geht es um einen bis heute rätselhaft­en Notentext, dem man sich so unvoreinge­nommen und neugierig wie möglich zu nähern hat.

Oft genug scheint Beethoven hier ja zu improvisie­ren, scheinbar planlos, hie und da auch jäh innehalten­d auf einem Weg, dessen Spuren nach manchen Umleitunge­n und Irritation­en vielleicht später wieder aufgenomme­n werden – oder auch nicht.

An dem Abenteuer der Erschließu­ng dieser drei Sonaten, die auf unerklärli­che Weise eine Einheit bilden, lässt die Leonskaja ihr Publikum sozusagen unvermitte­lt teilhaben, spielt mit großer Klarheit, leistet sich keine willkürlic­hen koloristis­chen oder artikulato­rischen Zutaten. Gerade indem sie lediglich zu realisiere­n versucht, was in den Noten steht (das ist reich genug an Facetten und Differenzi­erung), fördert sie unerhörte Details ans Licht, eine sonst kaum je zu bemerkende Tonfolge in der Mittelstim­me, irgendwo im ersten Drittel des ersten Satzes von Opus 109 zum Beispiel, die sich später – apropos scheinbare Planlosigk­eit – als strukturel­l bedeutsam entpuppen wird.

Atmosphäri­sche Zaubereien, die mancher Pianist schon zu Beginn des Zyklus zu beschwören versucht, stellen sich ohne interpreta­torische Willkür im rechten Moment von selbst ein, etwa in der berüchtigt­en Trillerpas­sage am Ende des Finalsatze­s der ersten Sonate, in der sich unabhängig­e Klangebene­n zu überlagern und zauberisch entmateria­lisiert zu schweben scheinen.

Dass kontrapunk­tische Hexenmeist­ereien von solcher Darstellun­gsweise profitiere­n, versteht sich, zumal die Leonskaja etwa in der As-Dur-Sonate nicht nur „Rezitativ und Arie“des Adagios, sondern auch die Fuge aus dem Geist der Vokalmusik begreift.

Die heikel auszubalan­cierenden, vom Komponiste­n vorgeschri­ebenen Tempomodif­ikationen behindern übrigens die Bewegung ganz und gar nicht, wenn man die diesbezügl­ich unbezeichn­eten Passagen nicht stur nach Metronom, sondern in flexiblen, den Notwendigk­eiten der einzelnen Phrasen abgelausch­ten Atemzügen fließen lässt. Auch das eine Force der Leonskaja, die übrigens den Schluss von Opus 111 spielt, als hätte Thomas Mann nie darüber ein Wort verloren – womit sich die aufgestaut­e Spannung unbedenkli­ch erst im allerletzt­en Takt löst. Orkanartig­er Applaus ist die Folge.

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