Was lässt Embryos so wohlorganisiert gedeihen?
Biologie. Ein Mensch/Huhn-Mischwesen deutet auf alte Signalstoffe, eine Seeanemone auf alte Mächte der Physik.
Wenn neues Leben keimt, dann ist erst eine einzige Zelle da – die befruchtete Eizelle –, sie differenziert sich in unterschiedlichste Typen und nimmt die für das jeweilige Lebewesen charakteristische Form an: Gelingt alles, sind etwa wir am Ende Menschen mit 3 x 1013 Zellen von 7000 Typen. Jede hat das gleiche Genom, und doch sind in jedem Typ spezifische Gene aktiv. Wer sorgt dafür? Ein „Organisator“, antwortete 1924 der deutsche Biologe Hans Spemann, er hatte gemeinsam mit seiner Studentin Hilde Mangold an Embryos von Kammmolchen etwas von dem Gewebe, um das herum der Kopf wuchs, auf die andere Körperseite transplantiert. Nun wuchs auch dort ein Kopf, es entwickelten sich zwei in der Mitte zusammengewachsene Molche.
Das Experiment wurde legendär, für die Entdeckung des „Organisator-Effekts“erhielt Spemann 1935 den Nobelpreis (Mangold war bei einem Unfall gestorben). Und das, obgleich er die zentrale Frage hatte offenlassen müssen: „Es kann nicht entschieden werden, auf welche Art das geschieht, und wann und auf welchem Weg“(Archiv für Mikroskopische Anatomie 100, S. 15). Stand Physik dahinter? Oder Chemie? Die Zunft setzte mehrheitlich auf Letztere und suchte nach Morphogenen: Signalmolekülen, deren unterschiedliche Konzentration das Geschehen orchestriert. Man fand auch etwa Wnt und Activin, man fand sie bei vielen Tieren.
An Menschen allerdings konnte man nicht gehen, aus ethischen Gründen dürfen Embryos nicht länger als bis zum 14. Tag in Labors gehalten werden, und der Organisa- tor macht sich erst ein wenig später ans Werk. Aber die Molekularbiologie kennt keine Grenzen, schon gar nicht zwischen Arten: Ali Brivanlou (Rockefeller University) hat aus embryonalen Stammzellen des Menschen in der Petrischale embryoähnliche Zellen gezogen und sie dann in Embryos von Hühnern transplantiert. Dort bildeten sie – ganz analog zu Spemann/Mangolds Molchen – neben dem Rückgrat des Huhns ein zweites, und Nerven auch, das Rückgrat bestand aus Zellen von Menschen, die Nerven aus denen von Hühnern (Nature 23. 5.): „Es ist atemberaubend“, schließt Brivanlou: „Der Organisator hat sich evolutionär über Hunderte Millionen Jahre erhalten.“
Aber ist das auch die ganze Wahrheit? Brivanlou hat nur auf Chemie geachtet, Signalmoleküle eben, es hat sich aber etwa an Axolotln gezeigt, dass Physik mitspielt, die Form der Zellen. Auf ganz Ähnliches sind nun Ekaterina Pukhlyakova und Ulrich Technau vom Departement für Molekulare Evolution und Entwicklung der Uni Wien gestoßen, an Embryos der Seeanemone Nemtostella vectensis: Dort spielen bei der Gastrulation, in der die Keimblätter gebildet werden, Myosine eine Schlüsselrolle, das sind Muskelproteine, die sich zusammenziehen können. Wird das chemisch blockiert, dann steht die Entwicklung still, aber die Blockade kann mechanisch gebrochen werden, mit Gewichten, die die Zellen belasten (Pnas 21. 5.)
Dadurch wird ein Signalstoff aktiviert, Catenin, er aktiviert Gene: „Wir vermuten, dass es zwischen der genetischen und der mechanischen Genregulation eine Feedback-Schleife gibt“, schließt Pukhlyakova.