Wie man mit Rilke in die Umkleidekabine geht
An
manchen Dingen kann man sich nicht sattlesen und satthören. Rilke und Elvis gehören dazu, und allein die beiden in einem Atemzug nennen zu können, macht froh. Lyrik reist gut, wie Musik, einzelne Zeilen, einzelne Töne fallen dann plötzlich aus dem Gepäck, wenn man es nicht erwartet. Jemand spricht von „Ghettoklassen“, und schon ist Elvis da und singt „and his mama cries“, und für den Rest des Tages bleibt „In the Ghetto“als Ohrwurm hängen. Zum Leidwesen der Umgebung, um ehrlich zu sein.
Noch schlimmer aber hat es Rilke erwischt, sein „Herbsttag“fällt einem im Bademodengeschäft ein, das hätte ihm wohl nicht so gefallen. „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“, spukt im Kopf herum, nachdem die Verkäuferin gesagt hat, dass im Mai nicht mehr alle Größen von diesem Bikini lieferbar sind, eigentlich sollte man schon froh sein, dass es überhaupt noch verschiedene Farben gibt. Es ist Frühsommer. Wer jetzt keinen Bikini hat, findet keinen mehr.
So ist das, Jahr für Jahr, aber die Erfahrung, dass Mode eben monatelang vor der entsprechenden Saison gekauft werden muss, macht es nicht besser. Ende Mai ist man doch ein völlig anderer Mensch als etwa im Februar, wo einen, verhüllt in Schwarz und Grau, das zitronengelbe Muster mit bunten Blumen darauf als Verheißung des Sommers gelockt hat. Nun, da er da ist, kann dieses Gelb sein Versprechen natürlich nicht halten.
Möglicherweise aber hat sich der Sommer ohnehin schon im Frühling erledigt, dann zahlt sich die zeitgerechte Investition in Herbstmode aus. So langfristig man bei Kleidung denken soll, so kurzfristig ist das Handeln im Alltag. Über Absagen im letzten Moment klagen nicht nur Wirte. Zusagen auf Einladungen werden wenn, dann nur auf beharrliches Nachfragen gegeben. Denn wer weiß, was sich noch tut bis dahin, es könnte sich etwas Spannenderes ergeben. Aber das Hotel für die Semesterferien, das ist bereits gebucht, sogar schon bis 2024.