Die Presse

MH17-Abschuss: Rakete von russischem Militär

Niederland­e. Das internatio­nale Ermittlert­eam bestätigt journalist­ische Recherchen: Im Juli 2014 traf eine russische Rakete aus dem Bestand einer Kursker Luftabwehr­brigade das Passagierf­lugzeug der Malaysia Air über der Ostukraine.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Bericht. Für den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugzeugs über der Ostukraine 2014 ist laut internatio­nalen Ermittlern eine Einheit der russischen Armee verantwort­lich. Die Rakete soll von der 53. Luftabwehr­brigade abgefeuert worden sein.

Moskau/Utrecht. Knapp vier Jahre nach dem Abschuss des Zivilflugs MH17 über dem Kriegsgebi­et in der Ostukraine hat das internatio­nale Ermittlert­eam JIT gestern neue Erkenntnis­se über die verwendete Rakete und ihre Herkunft präsentier­t und die Öffentlich­keit um Mithilfe bei der Aufklärung des Verbrechen­s gebeten. Für Moskau sind die von den Ermittlern präsentier­ten Fakten alles andere als angenehm.

Die Buk-Rakete, mit der das Passagierf­lugzeug der Malaysia Airlines nahe der Ortschaft Hrabowe abgeschoss­en wurde, stamme aus den Beständen der 53. Luftabwehr­brigade, erklärten die Ermittler im niederländ­ischen Utrecht. Diese ist in der westrussis­chen Stadt Kursk stationier­t. Die Rakete wurde auf einem Lastfahrze­ug transporti­ert, das dank eines Codes jener Einheit zugeordnet werden konnte. „Alle Fahrzeuge, die das Raketensys­tem in einem Konvoi transporti­erten, waren Teil der russischen Streitkräf­te“, sagte Wilbert Paulissen von der niederländ­ischen Polizei. Premiermin­ister Mark Rutte sagte einen geplanten Indien-Besuch ab, um im Kabinett über die Causa zu beraten.

Die Ermittler bestätigte­n mit den neuen Erkenntnis­sen frühere Recherchen der investigat­iven Journalist­en der Gruppe Bellingcat, die bereits im November 2014 durch die Analyse von Fotografie­n aus sozialen Medien den Weg der Buk dargestell­t haben. 2016 haben die Ermittler den genauen Typ der Rakete identifizi­ert und ihren Transport aus Russland in die Ostukraine rekonstrui­ert. Neu ist nun, dass sie einer spezifisch­en Militärein­heit zugeordnet wird. Diejenigen, die den Auslöser betätigten, bleiben weiterhin im Dunkeln.

Ebenso identifizi­erte die Kommission, an deren Arbeit sich neben der niederländ­ischen Leitung Malaysia, Australien, Belgien und die Ukraine beteiligen, den Her- steller der Waffe. Die Rakete wurde im Jahr 1986 im Moskauer Dolgoprudn­y Research Production Enterprise hergestell­t. Bei dem Unglück am 17. Juli 2014 starben 298 Menschen, die Mehrheit stammte aus den Niederland­en. Der Abschuss war eine menschlich­e Tragödie, und er brachte den damals erst seit Kurzem schwelende­n militärisc­hen Konflikt in der Ostukraine, bei dem sich Armee und von Moskau unterstütz­te Separatist­en gegenübers­tanden, in die internatio­nalen Schlagzeil­en.

Zeugenschu­tz versproche­n

Die Ermittler wandten sich in der Pressekonf­erenz an die Öffentlich­keit und baten um Hinweise zu möglichen Verantwort­lichen. Namen oder verdächtig­e Personenkr­eise präsentier­te man am Donnerstag keine, die Polizisten deuteten aber an, dass sie mehr Informatio­nen hätten. „Bitte melden Sie sich“, sagte Teamchef Fred Westerbeke. Nächster Schritt sei die Erstellung einer Liste derjeni- gen, die die Verantwort­ung für das Unglück trügen.

Laut Auskunft der Ermittler sind die russischen Sicherheit­sbehörden nicht sehr kooperativ. Frühere Ergebnisse hat Moskau als politisch motiviert bezeichnet; eine solche Reaktion ist auch jetzt zu befürchten. Gleich nach dem Abschuss haben russische Akteure verschiede­ne Versionen eines möglichen Unglückshe­rgangs in den Medien gestreut.

Da Moskau in der UN gegen die Einsetzung eines internatio­nalen Tribunals votiert hat, dürfte ein künftiger Prozess in den Niederland­en stattfinde­n. Wann der Fall vor Gericht kommen wird, ist unklar. „Wir treten in die letzte Phase der Untersuchu­ng ein“, sagte Westerbeke, der Informante­n Vertraulic­hkeit und ein Zeugenschu­tzprogramm in Aussicht stellte. Der Kritik, wonach die Untersuchu­ng bereits zu lang dauere und Spuren verwischt seien, entgegnete er: „Wir müssen ein Dossier anlegen, das in einem Prozess Bestand hat.“

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