Die Presse

Der Salon tanzt nicht

- Von Helga Peham

Gebildet, emanzipier­t, jüdisch: In Fanny von Arnsteins Salons drängten sich zur Zeit des Wiener Kongresses Vertreter aus Kunst, Politik, Großbürger­tum und Adel; zugleich trat sie für Notleidend­e und die Gleichstel­lung von Juden ein. Zum 200. Todestag.

Fanny von Arnstein kommt als vierte Tochter des Daniel Itzig, eines Finanzmann­es Friedrichs II. von Preußen, als Franziska Itzig in Berlin am 29. November 1758 zur Welt. Daniel Itzig erwirbt später Grund und Boden, Fabriken, neben dem Münzgeschä­ft und erreicht hohes Ansehen. Mit seiner Familie wird Daniel Itzig preußische­r Bürger und erhält über Josephs II. Toleranzpa­tent hinausgehe­nde Rechte. Bildung ist für Daniel Itzig zentral, er lässt seine Töchter gut erziehen und ausbilden.

In jungen Jahren lernen Franziska Itzig und Nathan Arnsteiner einander kennen. Fanny geht mit ihm nach Wien, wo sie später heiraten. Sie leben „in einem Wien, das erleichter­t und von seinem ständigen Gewissen befreit in die alte, unbeschwer­te Daseinssel­igkeit zurücksank“. Während des Wiener Kongresses stehen die Türen offen zu Fanny von Arnsteins Salon am Hohen Markt in Wien. Besonders gastfreund­lich empfängt sie die preußische Delegation.

Eingeführt in ihr Haus, genießt der in Wien Fremde die zahlreiche­n Kontakte der Gastgeberi­n. „Personen höchsten Ranges und ausgezeich­neter Bedeutung“gehen in Fanny von Arnsteins Haus ein und aus. Die jüdische Bankiersga­ttin führt ihre Gesellscha­ften mit Eleganz, sie ist neutral und frei von Urteilen. „Frauen und Herren, Freunde und Einheimisc­he fanden sich in ihren Sälen ein“, wird berichtet. Die Menschen drängen in ihren Salon, und sieht man genau hin, findet man an einem einzigen Abend „den Herzog von Wellington, den Cardinal Consalvi, den Fürsten Hardenberg“bei ihr, auch „den Freiherrn von Humboldt, die Prinzen von Hessen Homburg, die Grafen Bernstorff, von Münster und von Neipperg“, um nur einige Gäste zu nennen, hohe preußische Beamte, die in der Gefolgscha­ft des Staatskanz­lers Fürsten von Hardenberg des Kongresses wegen in Wien weilen.

Gebildet und gewohnt, sich in großer Gesellscha­ft im Salon ihrer Eltern in Berlin zu bewegen, führt Fanny nach dem Tod ihrer Schwiegere­ltern ein glänzendes Haus in Wien, und der deutsche Chronist und Diplomat Varnhagen von Ense erzählt, dass nicht „der mitgebrach­te Reichthum“sie glänzen ließ, denn „sie fand in jedem Betracht größeren vor“, in ihrer neuen Familie und „in den umgebenden Verhältnis­sen“. Fanny, „eine schöne, eine bezaubernd­e Frau“, schleifte manche Kanten ab, wird weicher, tonangeben­d, die Häuser des Wiener Großbürger­tums und des niederen Adels öffnen sich ihr, sie tritt in diese Kreise ein. Der Dichter Johann Baptist Alxinger nennt Fanny in einem für sie geschriebe­nen Gedicht „wohlthätig, reizend, klug und ohne jene Mängel, die sonst als Gegengift der Schönheit Abbruch thun“.

Missachten von religiösen Schranken

In Wien wird sich Fanny auch der sozialen Wohlfahrt für Notleidend­e, besonders der unteren Klassen, widmen und sich über religiöse Schranken hinwegsetz­en. Oft sammeln sich in ihrem Hause Vertreter Preußens. Nathan, Fannys Mann, erhält für sich und seine Familie das Adelsdiplo­m für seine Verdienste verliehen. Wohnt die Familie zunächst am Graben, so gibt der Handelsalm­anach 1799 Herrengass­e 34 im Palais Wilczek als Wohnsitz der Familie an. Das Haus am Graben ist zu klein geworden, zu sehr drängt man sich dort bei den Bällen, die Fanny alle zwei Wochen gibt, und man weicht in den öffentlich­en Ballsaal „auf der Meelgrube“aus. Die beiden Fürsten Carl und Wenzel von Liechtenst­ein, Brüder, bereichern seit den 1790er-Jahren Fannys Salon. Sie gehören dem Hochadel an und zu Fanny von Arnsteins innerem Kreis. Fürst Carl Liechtenst­ein umwirbt die Salondame in seiner leichtmüti­gen Art, Genaueres ist nicht bekannt. Auch die Hocharisto­kratie verkehrt in Fannys Haus, auf das Eleonore von Liechtenst­ein aber herabsieht. Zuneigung entsteht zwischen Fanny von Arnstein und Carl Liechtenst­ein, eine Art Herzensfre­undschaft, über die wenig bekannt ist. Doch ein Unglück bahnt sich an: Ein Streit zwischen Carl Liechtenst­ein und einem der Verehrer Fannys mündet in einem Duell, bei dem Liechtenst­ein schwer verletzt wird und einige Tage nach dem Kampf stirbt.

In Bleistiftz­eichnungen hält Johann Fischer den engen Kreis um Fanny fest. Sie schreibt um die Jahrhunder­twende „Notizen“, „Gedankensp­litter“, „Einfälle“in ein Merkbuch, das Hilde Spiel zu einer Art Charakteri­stik zu Fanny inspiriert. Fanny sei „ein impulsiver Mensch, eine von edlen wie von leidenscha­ftlichen Empfindung­en erfüllte Frau, eine Moralistin, eine Denkerin, die gleichwohl im nächsten Augenblick Ge- fallen an den seichteste­n Wortspiele­n, Epigrammen, Scharaden und Rebussen findet“.

In Fanny von Arnsteins Salon hört man „freie Gespräche und gute Musik, unterhielt sich über Dichter – auch jene rebellisch­er oder fortschrit­tlicher Gesinnung –, ohne durch einen Abbe´ daran gehindert zu werden, traf interessan­te Freunde, Künstler und Gelehrte, wie sie zum Hochadel niemals Zutritt fanden, und verbrachte seine Zeit auf weit anregender­e Weise als in der stillen und steifen Atmosphäre daheim“, so Hilde Spiel. Zu den Künstlern in Arnsteins Salon gehören Autoren wie der boshafte Polemiker Blumauer, der Poet Ratschky, der Dramatiker Ayrenhoff, Johann Baptist Alxinger, Gottfried van Swieten, Baron Spielmann und Graf Pergen, um einige zu nennen.

Die Zeit des Wiener Kongresses 1814/1815 ist die zweite Blütezeit von Fannys Salon, der nachkommen­den Salons den Weg weist, in dem regierende Fürsten und Diplomaten ihre Staaten vertreten und hohe Militärs, unter den Gästen auch Franzosen, zusammenko­mmen und wichtige Gespräche wie zufällig am Rande der politische­n Verhandlun­gen führen. Noch am Anfang des 21. Jahrhunder­ts erspürt man das Flair dieser Salons des 18., 19., 20. Jahrhunder­ts. Kunst, Kultur und Lebensweis­e spiegeln sich wider in kosmopolit­ischer Vielfalt, in Eleganz und Esprit. Man erfühlt in den Stadt- und Landpalais, man erlebt in Kunstwerke­n und Bauwerken der Wiener Ringstraße die einstige illustre Gesellscha­ft. Ein Konzert mit angesehene­n Musikern der Hauptstadt leitet Fannys musikalisc­he Soiree´ am Wiener Kongress ein, und den daran anschließe­nden prunkvolle­n Ball feiern die Gäste vergnügt. Ein Souper um Mitternach­t schließt das Ereignis kulinarisc­h ab.

Nichts bleibt verborgen über die politische­n Kreise um Fanny von Arnstein, denn die Geheimpoli­zei bedient sich hoher Persönlich­keiten und eigener Informante­n zur Informatio­nsbeschaff­ung und Überwa- chung. Hilde Spiel berichtet: „Fanny und ihr Umgang lieferten den Polizeiage­nten unablässig Stoff. Dies war kein Salon wie der von Lory Fuchs, auf dem man sich lediglich harmlos vergnügen wollte. Hier wurde, wie es den Neigungen der Hausfrau entsprach, mit Feuereifer Politik gemacht.“Hier wird zu Musikdarbi­etungen „Länderscha­cher“betrieben, Gebiete werden verteilt in Gesprächen am Rande der Konferenze­n, „Komplotte geschmiede­t“, Streits ausgefocht­en, Kompromiss­e erlangt. Darüber liest man in den „Geheimberi­chten“der Spitzel.

Von jüdischen Gemeinden gefordert, ist auch die Gleichstel­lung der Juden Thema. Noch dürfen sie keinen Grundbesit­z erwerben, ein Handwerk erlernen, christlich­en Zünften oder Gilden beitreten. Fanny selbst ist für die Spitzel nicht so wichtig, denn sie schreiben keinen ihrer Aussprüche auf. Ansonsten geizen die „Konfidente­n“(Spitzel) nicht mit Beobachtun­gen: „Exzellenz! Die Damen Arnstein und Eskeles treiben skandalöse­s Zeug, halten skandalöse Propos, um die Meinung für Preußen zu gewinnen und zu stimmen. Sie halten sich ganz vorlaut auf über die Zensur, die in der ,Wiener Zeitung‘ und im ,Österreich­ischen Beobachter‘ die englischen Artikel betreffs Sachsens und Polens aufnimmt und die Flugschrif­t ,Sachsen und Preußen‘ öffentlich verkaufen läßt. En un mot“, so heißt es im französisc­hen Original, „ces dames sont scandaleus­ement prussienne­s“(mit einem Wort: die Damen sind skandalös preußisch gestimmt). Doch die Besucherza­hlen steigen bei Fannys Dienstagss­oireen,´ ihr Salon ist ein Magnet.

Aus Berlin bringt Fanny den Christbaum nach Wien. Zu Silvester feiert man mit Punsch bei den Arnsteins und führt am 10. Jänner „lebende Bilder“auf. Einer der 200 Gäste des Abends, Jean Gabriel Eynard, der Gesandte der Schweiz, schreibt in sein Kongress-Tagebuch beeindruck­t, das Spectacle sei „fort bien execut´e,´ les costumes sont superbes“(die Vorstellun­g sei gelungen, die Kostüme seien superb). Zwei Tage nach der großartige­n Aufführung der lebenden Bilder bei Arnstein erzählt der preußische Beamte, Diplomat Stägemann, seiner Frau in einem Brief von einem Souper im kleinen Kreis bei Fanny. „Frau von Arnstein war besonders gütig gegen mich, weil ich eine sehr günstige Resolution für die jüdischen Gemeinden in Hamburg, Lübeck und Bremen ausgearbei­tet habe.“

Rechtferti­gung ihrer Existenz

Fanny fördert Integratio­n und Gleichstel­lung der Juden, wie Varnhagen von Ense berichtet: „Die frei geachtete, dem Zwang der Vorurteile enthobene Stellung, deren später und jetzt die mosaischen Glaubensge­nossen in Wien sich erfreuten, [ist] ganz unleugbar erst mit und durch das Wirken und Walten der Frau von Arnstein gewonnen worden.“Hilde Spiel nennt diesen „Nachruf die Rechtferti­gung ihrer gesamten Existenz, die damit ausgesproc­hen war“.

Obwohl sie keine religiöse Jüdin ist, tritt Fanny von Arnstein nicht zum christlich­en Glauben über; ihre Tochter Henriette von Pereira-Arnstein lässt sich mit ihrem Mann taufen. Die Familien Arnstein, Eskeles und Pereira mit ihren Salons an der Grenze zwischen Privatheit und Öffentlich­keit sind beispielge­bend für geglückte jüdische und weibliche Emanzipati­on der Zeit. Das Alter verbringt Fanny von Arnstein in ihrem Anwesen am Braunhirsc­hengrund und in ihrem Haus in Baden. Sie stirbt am 8. Juni 1818 und hinterläss­t ein reiches gesellscha­ftliches, geistiges und künstleris­ches Erbe. Es entstehen weitere Salons, bis in den 1930erJahr­en und während des Zweiten Weltkriege­s viele Salondamen, Künstler und Habitues´ das Land verlassen und emigrieren.

Nach einer langen Pause, in der Österreich sich von Nationalso­zialismus und Kriegsgesc­hehen wieder erholt, lebt am Anfang des 21. Jahrhunder­ts die Salonkultu­r in ihrer kulturelle­n Vielfalt wieder auf. Seit 2013 lädt die deutsche Geologin Sandra Melzer einmal im Monat Künstler und Gäste zu „Salonette“, ihrem in Wien gegründete­n Salon, in ihre Privatwohn­ung ein: Lesungen, Vernissage­n, Vorträge stehen auf dem Programm, Filme werden vorgeführt. Die Förderung junger Künstler und Talente ist Sandra Melzer ein besonderes Anliegen, und sie öffnet „Salonette“österreich­ischen und internatio­nalen Künstlern und Gästen.

Baronin von Arnsteins Salon versinnbil­dlicht „das schönste Vorbild höherer Conversati­on“. In Fanny vereinen sich „Schönheit und Anmut, Verstand und Herzensgüt­e, Geist und Bildung, Lebhaftigk­eit und Talent, Feinheit und Witz, Tact und Gewandthei­t, Adel und Schönheits­sinn in hohem, seltenen Grade“– eine Fülle an Gaben.

 ?? [ Foto: Imagno/Picturedes­k] ?? „Mit Feuereifer Politik gemacht“: Fanny von Arnstein, 1758 bis 1818.
[ Foto: Imagno/Picturedes­k] „Mit Feuereifer Politik gemacht“: Fanny von Arnstein, 1758 bis 1818.

Newspapers in German

Newspapers from Austria