Das historische Treffen der Unberechenbaren
Analyse. In Singapur kommen am Dienstag erstmals in der Geschichte Staatschefs der USA und Nordkoreas zusammen. Drei mögliche Szenarien.
Ich bin überzeugt, dass Kim Jong-un etwas Positives für sein Volk erreichen will“, zeigt sich Donald Trump vor Gesprächen mit Nordkoreas Machthaber optimistisch. Der US-Präsident und Nordkoreas Diktator trafen gestern in Singapur ein, wo sie sich am Dienstag treffen wollen. Egal, wie der Gipfel endet – großer Jubel wäre fehl am Platz. Selbst das bestmögliche Resultat garantiert nicht, dass Nordkorea seine Atomwaffen aufgibt. Freilich: Dass sich Staatschefs der USA und Nordkoreas erstmals in der Geschichte treffen, ist ein Meilenstein. Vor wenigen Monaten drohten beide einander mit einem Atomkrieg. Hier drei mögliche Gipfelergebnisse: Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Nordkorea verpflichtet, seine Atomwaffen abzugeben – nur um dann das Gegenteil zu tun. Schon 2005 erklärte sich Pjöngjang nach Verhandlungen mit den USA, China, Russland, Japan und Südkorea dazu bereit. Die Ziele waren aber viel zu vage definiert. Es folgte ein jahrelanger Kuhhandel, die USA durften den versprochenen Atomabbau gar nicht überprüfen. 2009 wurden die Gespräche eingestellt, Nordkorea testete wieder Atomwaffen, die UNO verhängte Sanktionen. 2010 versenkte Nordkorea ein südkoreanisches Kriegsschiff, knapp 50 Menschen starben.
Die Lehre daraus: Jede Vereinbarung müsste bis ins kleinste Detail niedergeschrieben werden und jeder noch so kleine Schritt beider Seiten vorab klar definiert sein. Es ist unwahrscheinlich, dass Trump und Kim einen derartigen Deal bei ihrem ersten Treffen schließen werden. Und selbst wenn: „Der harte Teil beginnt erst danach“, sagte Trump. Soll heißen: Auch wenn die Länder am Dienstag eine bahnbrechende Einigung präsentieren sollten, wird sich erst in den kommenden Monaten und Jahren zeigen, ob sich Nordkorea tatsächlich daran hält. Eine detaillierte Vereinbarung zur Denuklearisierung ist schon allein deshalb unwahrscheinlich, weil die USA nicht wissen, wie viele Waffen Nordkorea besitzt. Schätzungen reichen von zehn bis 20 Atomwaffen, dazu kommen spaltbares Material zur Herstellung weiterer Sprengköpfe sowie biologische Waffen. Trump wird sich auf sein Gespür verlassen müssen, um herauszufinden, ob es Kim mit der Denuklearisierung ernst meint. Er werde das „sehr schnell“einschätzen können, sagte Trump. Wenn die Chemie passt, könnten sie ein gemeinsames Statement veröffentlichen, wonach weitere Treffen stattfinden sollen. Dieses Szenario ist das wahrscheinlichste. Um es in Trumps Worten zu sagen: „Viel mehr als bloß eine Fotogelegenheit“– aber „kein Deal“.
Nach dem Treffen müssten sich Vertreter beider Länder an die Arbeit machen und die nächsten Schritte festlegen. Stolpersteine gibt es viele. Nordkorea müsste ausländischen Militärexperten Zugang gewähren, damit diese eine exakte Liste des Waffenarsenals erstellen. Unklar ist zudem, in welchem Ausmaß Pjöngjang Waffen aufgeben soll. Geht es nur um Atomwaffen oder allgemein um interkontinentale Flugkörper? Darf das Land weiterhin Uran zu friedlichen Zwecken anreichern? Was passiert mit den Chemie- und Biowaffen? Die Ermordung von Kims Halbbruder, Kim Jong-nam, in Kuala Lumpur mit dem Nervengas VX zeigte, wie fortgeschritten dieses Programm schon ist. Trump ist nach seinen eigenen Worten dazu bereit, „aufzustehen und zu gehen“, wenn er das Gefühl habe, Kim meine es nicht ernst mit dem Friedensprozess. Eine solche Eskalation ist aber unwahrscheinlich, da Trump ein erfolgreicher Gipfel auch innenpolitisch Pluspunkte bringen würde. Wer seinen bisherigen Zickzackkurs gegenüber Nordkorea verfolgt hat, weiß aber: Ausgeschlossen ist das nicht.
Bestenfalls würde diese Entwicklung den Friedensprozess um Monate zurückversetzen. Selbst wenn der Gipfel schiefgeht, könnten Kim und Trump trotzdem noch zueinanderfinden. Schließlich hatte der US-Präsident dieses Treffen schon einmal abgesagt, nachdem Nordkorea unter anderem Vizepräsident Mike Pence beschimpft hatte. Möglicherweise würde es dann aber zu Treffen auf Beamtenebene kommen.
Im schlimmsten Fall sähe sich die Welt bei einem Scheitern in Singapur mit einem potenziellen Atomkrieg konfrontiert. Der frühere US-Diplomat David Shear meinte jüngst im „Presse“-Interview, dass man den Gipfel nach hinten hätte verschieben sollen, um genau dieses Risiko zu vermeiden. „Dieser Termin ist gefährlicher als eine Verschiebung“, sagte Shear. Dafür ist es nun zu spät.