Tschaikowsky mit Herzblut – das manchmal zäh strömt
Musikverein. Jubelstürme für die Wiener Philharmoniker unter Mariss Jansons, die Bartok´ und Tschaikowsky ausführlich zelebrierten.
„Kein besonders gutes Konzert“sei das gewesen, erinnert sich Mariss Jansons mit dem ihm eigenen tonlosen Lachen an sein Debüt bei den Wiener Philharmonikern im April 1992 in einem aktuellen Video des Orchesters: „Katastrophe! Ich habe mich blamiert“, dachte er damals traurig und war sicher, nie wieder eingeladen zu werden.
Doch er wurde – mehr als hundert Mal bereits, auch zu drei Neujahrskonzerten. Vergangene Woche bekam der 75-Jährige sogar die Ehrenmitgliedschaft des Orchesters verliehen: Jansons und die Wiener, das ist längst eine Love Story, an der auch das Publikum seinen Anteil hat. Um den Anlass zu feiern, kehrten sie im letzten Abonnementkonzert der Saison zum Programm von 1992 zurück, zu Bartoks´ Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta sowie Tschaikowskys sechster Symphonie, der „Pathetique“.´
Wie das Konzert diesmal ausgefallen ist? Besser, darf man augenzwinkernd antworten. Jansons’ Liebe gilt besonders dem satten, sonoren Klang, dessen prächtige Schattierungen die Philharmoniker diesmal besonders in der Tiefe voll ausspielen konnten. Schon das Fagottsolo am Beginn der Symphonie schien alle Last der Welt zu tragen, die Kontrabässe legten sich nicht etwa fahl, sondern erdig darunter – und das setzte sich fort bis zum sauber intonierten Begräbnischoral der Posaunen und dem unregelmäßig nachzitternden Seufzen und Schluchzen aus Basstiefen am Ende des tristen Finales.
Scheint die Intensität des Klangs nicht mehr steigerbar, dann geht Jansons mittlerweile in die Breite wie nie zuvor. Wenn der Stirnsatz seinem niederschmetternden Höhepunkt zusteuert, wo über einem donnernden Orgelpunkt die Streicher voller Pathos wehklagen und das tiefe Blech drohend dazwischenfährt, dann geschieht das in einem riesigen Adagio – auch wenn Tschaikowsky das aggressiv-schneidige Allegro vivo, das für die ganze Durchführung gilt, nirgends ausdrücklich abbremst. Auch die Reprise des wehmütigen zweiten Themas zerfließt dann, ja sogar die Coda des eleganten Walzers im Fünfvierteltakt. Einem Mariss Jansons freilich nimmt man das als heiß sprudelndes Herzblut noch ab; bei weniger erfahrenen Dirigenten würde man meinen, die Grenze zur Sentimentalität sei überschritten.
Nicht bombastisch, aber sehr wohl mit gehörigem Glanz in allen Registern folgte der vermeintliche Triumphmarsch – wobei man gegen den danach gelegentlich (und auch diesmal) aufbrandenden Jubel einwenden muss, dass er ungefähr so feinfühlig wirkt, als würde man einem Menschen mit bipolarer Störung in dessen manischer Phase auf die Schulter klopfen und ihm zu seiner blendenden Laune gratulieren . . . Wenigstens blieb die Katastrophenstimmung des abschließenden Adagio lamentoso in diesem symphonischen Abschiedsbrief (Tschaikowsky dirigierte die Uraufführung wenige Tage vor seinem mutmaßlichen Freitod) der letzte beherrschende Eindruck.
Bei Bartok´ war zuvor gleichsam die reine Liebe an ihre Grenzen gestoßen: Wenn es um blanke rhythmische Präzision und Genauigkeit im Zusammenspiel geht, dann hilft sie nicht weiter, dann sind auch die philharmonischen Streicher nicht vor kleinen Fehltritten auf ihren verschlungenen Pfaden durch Bartoks´ dichten Synkopenwald gefeit. Jansons legte schon hier mehr Wert auf Klangentfaltung als auf Konturen, was in der einleitenden Fuge am eindringlichsten wirkte. Dass er das erste Allegro zu fast gemächlicher Nonchalance drosselte und im Allegro molto die Wiederkehr der Fuge völlig aus dem finalen Fluss herausfiel und gleichsam einen weiteren Adagiosatz bedeutete, musste man hinnehmen: Jubelstürme.