Die Euphorie ist verflogen, und das ist gut
Aktien. Die Anleger sind nervöser als vor einem Jahr. Das erhöht die Chancen, dass der Bullenmarkt noch eine Weile andauert. Die nächste Rezession kommt jedoch bestimmt. Sie könnte flacher verlaufen als die letzte, aber länger dauern.
Rückblickend kann man sagen: Die Minikorrektur an den Börsen im Februar war ein Segen für die Märkte. Die Anleger rechnen jetzt wieder damit, dass es an der Börse auch bergab gehen kann. Die Euphorie ist verflogen, und nichts ist für die Aktienmärkte gefährlicher als Euphorie.
Eine solche kommt oft auf, wenn es an den Handelsplätzen der Welt lange Zeit nur bergauf geht. Im Vorjahr betrug der maximale Verlust im US-amerikanischen Aktienindex S&P 500 nur 2,8 Prozent, das war der zweitniedrigste Wert seit neunzig Jahren, wie Berechnungen der Schoellerbank zeigen. In einem solchen Szenario besteht die Gefahr, dass Anleger sich allzu sicher fühlen und Geld in den Aktienmarkt fließt, das dort nicht hingehört.
Der Rückschlag von mehr als zehn Prozent im Februar hat die Anleger eines Besseren belehrt. Nun rechnen sie wieder mit stärkeren Kursrückgängen, der historisch hohe Anteil der Bullen (optimistisch gestimmte Anleger) ist wieder auf ein normales Niveau gesunken.
Das ist mit ein Grund, warum die Schoellerbank Aktien jetzt wieder positiver sieht als vor einem Jahr. Im März des Vorjahres hatte sie ihre Aktieneinschätzung auf „neutral“gesenkt. Allzu optimistisch kam den Bankern damals die Anlegerstimmung vor, vor allem in den USA schienen die Unternehmen überdurchschnittlich hoch bewertet zu sein.
Seit damals hat sich einiges geändert: Der Weltaktienindex in Euro ist seitdem nur wenig gestie- gen, die Gewinnaussichten der USFirmen haben sich aber – nicht zuletzt dank der Steuerreform – verbessert. Die Bewertung liege wieder im langjährigen Schnitt. „Wir sehen jetzt wieder vermehrt attraktive Titel“, sagt Schoellerbank-Chef Franz Witt-Dörring.
Deshalb habe man Aktien im heurigen Mai wieder „übergewichtet“. Das bedeutet, dass die Aktienquote bei Kunden, die grundsätzlich Quoten von bis zu 100 Prozent akzeptieren, von 60 auf 75 Prozent hochgefahren wird. Bei sehr defensiv ausgerichteten Kunden (die maximal ein Drittel ihres Vermögens in Aktien investieren wollen), steigt sie von 20 auf 25 Prozent.
Die Experten halten dabei vor allem Asien für attraktiv: Wirtschafts- und Gewinnwachstum seien dort am stärksten, die Aktien noch immer günstig bewertet. Das gelte für asiatische Schwellenländer, mit Abstrichen aber auch für Japan.
Generell setzen sie auf Qualitätsaktien mit soliden Bilanzen, starken Wettbewerbsvorteilen und stabiler und steigender Dividende. Attraktiv seien derzeit Konsumgüter-, Pharma- und Rohstoffaktien.
Vorerst sieht es also recht gut für Anleger aus. Bleibt die Frage, wie lange noch. Bei der Investmentgesellschaft Pimco rechnet man ebenfalls nicht mit einer unmittelbar bevorstehenden Rezession. In den nächsten drei bis fünf Jahren drohe der Weltwirtschaft jedoch ein unsanftes Erwachen: „Zehn Jahre nach der Finanzkrise könnten die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte in eine neue Phase mit möglicherweise radikalen Veränderungen eintreten. Die Annahme, dass die Zukunft der Phase nach der bislang letzten Finanzkrise ähneln wird, könnte für Investoren eine Reihe von unangenehmen Überraschungen bereithalten“, heißt es in einem Ausblick der Investmentgesellschaft.
Die nächste Rezession werde möglicherweise nicht so heftig sein wie die letzte, sie könnte aber länger dauern, meinte Joachim Fels, Managing Director und Global Economic Advisor in der PimcoFirmenzentrale in Newport Beach, zur „Presse“. „Während die letzte Rezession v-förmig verlaufen ist, könnte die nächste einem sehr fla- chen U ähneln“, sagt er. Zum einen drohen Gefahren von der Geld- und Fiskalpolitik, etwa in den USA, wo mitten in der Hochkonjunktur auch noch die Steuern gesenkt werden. Das birgt die Gefahr einer Überhitzung und eines Überschießens der Inflation, was die Notenbank dann zum Handeln zwänge. Auch die Zinserhöhungen dürften nicht spurlos an den Aktienmärkten vorbeigehen. „Normalerweise reagieren Hochzinsanleihen schneller auf Zinserhöhungen als Aktien. Sie sind also ein Vorlaufindikator“, erklärt Fels. Die Spreads von Hochzinsanleihen hätten bereits zu steigen begonnen, es gebe aber noch Potenzial nach oben.
Doch auch mögliche populistische Reaktionen gegen Kapital, Establishment und Freihandel könnten in Zukunft für Unsicherheit an den Märkten sorgen. Dem Technologiesektor könnte eine stärkere Regulierung zusetzen. In den vergangenen Jahren waren es vor allem die großen Technologiefirmen Apple, Amazon, Google, Facebook & Co., die den Höhenflug der Börsen vorangetrieben haben.
Eine stärkere Regulierung im Sinne des Datenschutzes würde nicht nur die Gewinne dieser Unternehmen schmelzen lassen, meint Fels. Viele der Tech-Giganten hätten auch hohe Finanzanlagen, ein Rückzug aus diesen hätte auch Auswirkungen auf den USAnleihemarkt.