Hoffen auf einen Aufbruch auf dem Westbalkan
Die Einigung im jahrzehntelangen Namensstreit zwischen Athen und Skopje auf die Bezeichnung Republik Nord-Mazedonien könnte eine Reihe von positiven Konsequenzen für die Region und für ganze Europa haben.
Sollte die jüngste Einigung zwischen den Regierungschefs von Griechenland und Mazedonien, Alexis Tsipras und Zoran Zaev, auf den Namen Republik Nord-Mazedonien tatsächlich umgesetzt werden, hätte dies nicht nur das Ende eines jahrzehntelangen Konflikts zwischen diesen beiden Ländern, sondern eine Reihe weiterer positiver Folgen für diesen Teil unseres Kontinents und ganz Europa zur Folge. Athen würde auch den Weg Nord-Mazedoniens zur Nato und in die EU nicht länger blockieren.
Im Übrigen wäre es auch ein Signal dafür, dass die EU – nicht zuletzt auch durch die Bemühungen des österreichischen EU-Kommissars Johannes Hahn – ihre Rolle als Friedensvermittler erfolgreich spielen kann. Dies trotz der enormen Schwierigkeiten innerhalb der eigenen Reihen.
Nicht zuletzt hat die am 5. Februar 2018 von der EU-Kommission vorgestellte Erweiterungsstrategie eine nicht zu unterschätzende Dynamik auf dem Westbalkan ausgelöst. Es bleibt zu hoffen, dass die Opposition in Mazedonien und Griechenland der politischen Vernunft gehorcht und nicht in den dumpfen Nationalismus verfällt, der immer wieder friedliche und gemeinsame Lösungen verhindert.
Die Bevölkerung ist mehrheitlich der alten Konflikte müde. Sie unterstützt sicher gern alles, was zu Lösungen führt und den Weg für die dringend notwendigen Reformen und wirtschaftlichen Verbesserungen freimacht. Wenn allerdings unverantwortliche Kräfte wieder die nationalistische Karte ziehen, ist der Ausgang von Referenden und parlamentarischen Abstimmungen ungewiss.
Die Konflikte um „Mazedonien“reichen weit zurück in die Geschichte. Es sei nur daran erinnert, dass die „Makedonische Frage“Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem aus strategischen Gründen zum Zankapfel Ost- und Südosteuropas wurde.
Spätestens ab dem IlindenAufstand der slawischsprachigen Bevölkerung in Makedonien und Thrakien im August 1903 gegen die osmanische Herrschaft begann die direkte Auseinandersetzung zwi- schen dem griechischen, serbischen und bulgarischen Nationalismus um territoriale Ansprüche auf Makedonien.
Der griechische Nationalismus strebte im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Universalitätsanspruch des Hellenentums die Vereinigung aller Teile der griechischen Welt an. Kämpfer des griechischen Geheimbunds Nationale Gesellschaft führten in Makedonien zwischen 1904 und 1908 einen blutigen Guerillakrieg gegen Bulgaren und Osmanen. Für die Griechen waren die Mazedonier „Ko-Nationale“, die durch einen „historischen Irrtum“eine slawische Sprache sprachen.
Die mehr als 500-jährige Herrschaft der Osmanen endete 1913 nach den Balkankriegen. Im Frieden von Bukarest wurde Mazedonien zwischen Serbien, Bulgarien und Griechenland aufgeteilt. Nach dem Ersten Weltkrieg blieb das Gebiet der heutigen Republik Mazedonien als Süd-Serbien Teil des serbischen Königreichs. Im Untergrund kämpfte die bulgarische Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation (Imro) gegen die Ser- ben. Gemeinsam mit der kroatischen Ustascha ermordete die Imro am 9. Oktober 1934 den jugoslawischen König Alexander I. in Marseille.
Im August 1944 wurde Mazedonien innerhalb Jugoslawiens als sechste Teilrepublik der Föderation geschaffen. Die Sozialistische Republik Mazedonien erklärte am 18. September 1991 ihre Unabhängigkeit, strich das „Sozialistisch“aus dem Staatsnamen. Der erste Staat, der den neuen Staat anerkannte, war Bulgarien. Athen hatte zwar keine Einwände gegen die
(* 1950 in Steyr), studierte Philosophie, Pädagogik und Geschichte an der Universität Salzburg. Seit 2014 Prof. für Neuere Geschichte an der Uni Salzburg. Von 1996 bis 2004 Landeshauptmann von Salzburg. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Westbalkan des Europäischen Ausschusses der Regionen. Sonderberater der Europäischen Kommission für den Westbalkan und die Ukraine. Unabhängigkeit, lehnte aber den Namen „Mazedonien“wegen der gleichnamigen griechischen Region Makedonien ab. Die Geschichte des antiken Makedonien sei Teil der griechischen antiken Geschichte, als es in der Region noch keine Slawen gab. Zudem sei ein großer Teil des heutigen Mazedonien nie Teil der historischen Region Makedonien gewesen.
Die heutige Republik Mazedonien wiederum verwies darauf, dass die Bezeichnung Makedonien mindestens seit dem 19. Jahrhundert für die ganze Region üblich sei und sich die slawischsprachigen Bewohner der Region seither immer als Makedonci bezeichnet hatten. International wurde der Staat daher vorläufig als Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (englische Kurzform Fyrom) anerkannt und so 1993 Mitglied der UNO. Die meisten Staaten verwenden jedoch offiziell den Begriff Republik Mazedonien.
Mehr als ein Vierteljahrhundert verliefen die Verhandlungen zur friedlichen Beilegung des leidigen Namensstreits unter Vermittlung der UNO ergebnislos.
Sollte die erzielte Einigung ratifiziert werden, könnte dies eine Reihe von Konsequenzen haben. Für Mazedonien ist damit die wesentliche Hürde für die Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen beseitigt. Dies bedeutet, dass wahrscheinlich die Verhandlungen auch mit Albanien aufgenommen werden. Beide Länder werden in der EU-Strategie im Doppelpack genannt. Allerdings muss Albanien erst zeigen, dass es ihm mit der Justizreform ernst ist und nicht nur gegen korrupte Justizbeamte der unteren Ebene, sondern auch gegen die obersten Richter Härte gezeigt wird.
Die Beilegung des Konflikts zwischen Mazedonien und Griechenland könnte auch den Verhandlungen zwischen Serbien und dem Kosovo wieder neue Schwungkraft geben. Immerhin hat es das kosovarische Parlament jüngst auch geschafft, das lang umstrittene Grenzübereinkommen mit Montenegro zu ratifizieren.
Die nachhaltige Lösung bilateraler Konflikte zwischen den Beitrittsländern des Westbalkans ist eine entscheidende Voraussetzung für die weitere Annäherung an die EU. Diese ist nämlich nicht bereit, ungelöste Konflikte in die Gemeinschaft hineintragen zu lassen.
Ob die mazedonisch-griechische Lösung auch einen positiven Impetus auf die Klärung der zahlreichen ungelösten Fragen unter den Nationalitäten Bosniens-Herzegowinas auslöst, bleibt abzuwarten. Wenn nicht, wird dieses Land in der europäischen Integrationsrangliste weit zurückfallen.
Es bleibt zu hoffen, dass die EU-Mitgliedstaaten, vor allem auch die Skeptiker und Bremser aus Frankreich, den Niederlanden und zum Teil auch Deutschland, bei ihrem Gipfel am 28. Juni die Fortschritte auf dem Westbalkan anerkennen und grünes Licht für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien und Albanien geben. Jedenfalls aber trägt diese jüngste erfreuliche Entwicklung in der Mazedonien-Frage zur Stärkung der friedlichen Entwicklung dieses komplizierten und instabilen Teils unseres Kontinents und damit generell zum Frieden in Europa bei.