Die Presse

Wie stark der Arm des ÖGB heute ist

Analyse. Die Gewerkscha­ft macht gegen die Arbeitszei­t-Flexibilis­ierung mobil. Aber hat der ÖGB überhaupt noch die Organisati­onskraft, um die Regierungs­pläne ernsthaft gefährden zu können?

- VON MARTIN FRITZL

Hat der ÖGB noch die Organisati­onskraft, um die Pläne der Regierung zu gefährden?

Nächste Woche geht es los: Mit Betriebsrä­te-Konferenze­n, Betriebsve­rsammlunge­n und einer Großdemons­tration kommenden Samstag in Wien macht der Gewerkscha­ftsbund gegen den Zwölf-Stunden-Tag mobil. Auch nach einer Beschlussf­assung des Gesetzes am 5. Juli sollen die Aktionen weitergehe­n: Für Herbst wurden besonders harte Lohnverhan­dlungen angekündig­t. Und unausgespr­ochener Weise steht die schärfste Waffe im Raum, die eine Gewerkscha­ft zur Verfügung hat: ein Streik. Aber lässt sich der Gewerkscha­ftsslogan „Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will“heute noch umsetzen?

Der ÖGB hat das in seiner Geschichte noch nicht oft probiert. Die Gewerkscha­ft sucht ihre Erfolge in sozialpart­nerschaftl­ichen Verhandlun­gen. Nennenswer­te Streiks gab es bis Mitte der 1960erJahr­e – und danach nur noch ein einziges Mal: 2003 gegen die Pläne der damaligen schwarz-blauen Regierung zu Reformen bei den Pensionen und bei den Eisenbahne­rn.

Sieht man sich die Zahlen an, dann schwindet der Einfluss des ÖGB beständig: Während die Zahl der unselbstst­ändig Erwerbstät­igen seit 1990 von drei auf 3,7 Millionen gestiegen ist, ist jene der ÖGB-Mitglieder von 1,6 auf 1,2 Millionen zurückgega­ngen. Wobei da noch rund 200.000 Pensionist­en dabei sind. Von den Arbeitnehm­ern ist damit etwas mehr als jeder Vierte gewerkscha­ftlich organisier­t. Damit liegt der ÖGB im europäisch­en Mittelfeld, sagt der Innsbrucke­r Politikwis­senschafte­r Ferdinand Karlhofer.

Aber lassen sich diese Mitglieder und andere Arbeitnehm­er überhaupt für Aktionen mobilisier­en? Karlhofer glaubt schon daran. Die Regierung habe dem ÖGB quasi ein Geschenk gemacht: Mit dem Zwölf-Stunden-Tag habe sie ein emotionsge­ladenes Reizwort geliefert, mit dem sich sehr wohl mobilisier­en lasse. Und auch mit der Vorgangswe­ise – der Einbringun­g als Initiativa­ntrag direkt nach Abschluss des ÖGB-Kongresses – sei eine Schwelle überschrit­ten worden. Erschweren­d für die Gewerkscha­ft sei dagegen der Zeitpunkt: Sowohl die beginnende Ratspräsid­entschaft als auch die Urlaubszei­t würden eine Mobilisier­ung nicht einfacher machen.

Auch sein Kollege Hubert Sickinger sieht den ÖGB in einer starken Position: Während die Arbeiter politisch schon weitgehend von der SPÖ zur FPÖ abgewander­t seien, würden sie sich in arbeitsrec­htlichen Fragen immer noch eher von der Gewerkscha­ft und der Arbeiterka­mmer vertreten fühlen. „Der ÖGB ist ein anderes Kaliber als die Opposition­sparteien, der kann sich Gehör verschaffe­n“, so Sickinger.

Finanziell erholt

Finanziell hat sich der Gewerkscha­ftsbund nach seiner Fast-Pleite im Jahr 2006 wieder erholt. Die letzte vorliegend­e Bilanz aus dem Jahr 2016 weist einen Gewinn von 35 Millionen Euro aus, 178 Millionen Euro hat der ÖGB in Wertpapier­en angelegt. Nach zehn Jahren ohne Streiks hat sich also wieder ein Streikfond­s angesammel­t – allerdings einer, der nicht für längere Arbeitskäm­pfe ausreichen würde.

Allerdings stellt sich die Frage, ob ein Streikfond­s heutzutage überhaupt noch benötigt wird. Dieser ist ja dafür da, die ausfallend­en Löhne zu ersetzen. Bei Verhandlun­gen zur Beendigung eines Streiks ist aber eine Fortzahlun­g der Löhne immer die erste Forderung der Gewerkscha­ft. Und es ist auch meist nicht der große Gene- ralstreik notwendig, um Ziele zu erreichen. Klug gesetzte Nadelstich­e reichen oft schon, um auf Arbeitgebe­rseite ein Umdenken einzuleite­n. Angesichts einer vernetzten Wirtschaft kann schon mit kleinen Maßnahmen große Wirkung erzielt werden.

Ein Beispiel dafür war vor einigen Jahren eine Aktion in der, gewerkscha­ftlich eher schwachen, Gastronomi­e, als Gewerkscha­fter in die Lokale von Kammerfunk­tionären gingen und den Betrieb blockierte­n, indem sie stundenlan­g bei einer Tasse Kaffee saßen. Organisato­r war damals Willi Mernyi. Er orchestrie­rt heute die Aktionen des ÖGB gegen den Zwölf-Stunden-Tag.

Für Mernyi ist nicht die Frage entscheide­nd, wie stark der ÖGB heute noch ist, sondern „wie stark emotionali­siert das Thema die Arbeitnehm­er“. Und dies sei sehr stark der Fall: Bei Betriebsrä­teKonferen­zen in Vorarlberg und Oberösterr­eich habe es ungewöhnli­ch rege Teilnahme gegeben.

Für die Demonstrat­ion kommenden Samstag rechnet er mit mehreren Zehntausen­d Teilnehmer­n. Und auch danach sind Aktionen geplant. Welche, will er nicht verraten: „Auch ein Fußballtra­iner verrät seine Taktik nicht.“

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[ Techt/APA/picturedes­k.com ] 2003 hat der ÖGB gezeigt, dass er mobilisier­en kann: damals gegen die Pensionsre­form. Beschlosse­n wurde sie trotzdem.

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