Wie stark der Arm des ÖGB heute ist
Analyse. Die Gewerkschaft macht gegen die Arbeitszeit-Flexibilisierung mobil. Aber hat der ÖGB überhaupt noch die Organisationskraft, um die Regierungspläne ernsthaft gefährden zu können?
Hat der ÖGB noch die Organisationskraft, um die Pläne der Regierung zu gefährden?
Nächste Woche geht es los: Mit Betriebsräte-Konferenzen, Betriebsversammlungen und einer Großdemonstration kommenden Samstag in Wien macht der Gewerkschaftsbund gegen den Zwölf-Stunden-Tag mobil. Auch nach einer Beschlussfassung des Gesetzes am 5. Juli sollen die Aktionen weitergehen: Für Herbst wurden besonders harte Lohnverhandlungen angekündigt. Und unausgesprochener Weise steht die schärfste Waffe im Raum, die eine Gewerkschaft zur Verfügung hat: ein Streik. Aber lässt sich der Gewerkschaftsslogan „Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will“heute noch umsetzen?
Der ÖGB hat das in seiner Geschichte noch nicht oft probiert. Die Gewerkschaft sucht ihre Erfolge in sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen. Nennenswerte Streiks gab es bis Mitte der 1960erJahre – und danach nur noch ein einziges Mal: 2003 gegen die Pläne der damaligen schwarz-blauen Regierung zu Reformen bei den Pensionen und bei den Eisenbahnern.
Sieht man sich die Zahlen an, dann schwindet der Einfluss des ÖGB beständig: Während die Zahl der unselbstständig Erwerbstätigen seit 1990 von drei auf 3,7 Millionen gestiegen ist, ist jene der ÖGB-Mitglieder von 1,6 auf 1,2 Millionen zurückgegangen. Wobei da noch rund 200.000 Pensionisten dabei sind. Von den Arbeitnehmern ist damit etwas mehr als jeder Vierte gewerkschaftlich organisiert. Damit liegt der ÖGB im europäischen Mittelfeld, sagt der Innsbrucker Politikwissenschafter Ferdinand Karlhofer.
Aber lassen sich diese Mitglieder und andere Arbeitnehmer überhaupt für Aktionen mobilisieren? Karlhofer glaubt schon daran. Die Regierung habe dem ÖGB quasi ein Geschenk gemacht: Mit dem Zwölf-Stunden-Tag habe sie ein emotionsgeladenes Reizwort geliefert, mit dem sich sehr wohl mobilisieren lasse. Und auch mit der Vorgangsweise – der Einbringung als Initiativantrag direkt nach Abschluss des ÖGB-Kongresses – sei eine Schwelle überschritten worden. Erschwerend für die Gewerkschaft sei dagegen der Zeitpunkt: Sowohl die beginnende Ratspräsidentschaft als auch die Urlaubszeit würden eine Mobilisierung nicht einfacher machen.
Auch sein Kollege Hubert Sickinger sieht den ÖGB in einer starken Position: Während die Arbeiter politisch schon weitgehend von der SPÖ zur FPÖ abgewandert seien, würden sie sich in arbeitsrechtlichen Fragen immer noch eher von der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer vertreten fühlen. „Der ÖGB ist ein anderes Kaliber als die Oppositionsparteien, der kann sich Gehör verschaffen“, so Sickinger.
Finanziell erholt
Finanziell hat sich der Gewerkschaftsbund nach seiner Fast-Pleite im Jahr 2006 wieder erholt. Die letzte vorliegende Bilanz aus dem Jahr 2016 weist einen Gewinn von 35 Millionen Euro aus, 178 Millionen Euro hat der ÖGB in Wertpapieren angelegt. Nach zehn Jahren ohne Streiks hat sich also wieder ein Streikfonds angesammelt – allerdings einer, der nicht für längere Arbeitskämpfe ausreichen würde.
Allerdings stellt sich die Frage, ob ein Streikfonds heutzutage überhaupt noch benötigt wird. Dieser ist ja dafür da, die ausfallenden Löhne zu ersetzen. Bei Verhandlungen zur Beendigung eines Streiks ist aber eine Fortzahlung der Löhne immer die erste Forderung der Gewerkschaft. Und es ist auch meist nicht der große Gene- ralstreik notwendig, um Ziele zu erreichen. Klug gesetzte Nadelstiche reichen oft schon, um auf Arbeitgeberseite ein Umdenken einzuleiten. Angesichts einer vernetzten Wirtschaft kann schon mit kleinen Maßnahmen große Wirkung erzielt werden.
Ein Beispiel dafür war vor einigen Jahren eine Aktion in der, gewerkschaftlich eher schwachen, Gastronomie, als Gewerkschafter in die Lokale von Kammerfunktionären gingen und den Betrieb blockierten, indem sie stundenlang bei einer Tasse Kaffee saßen. Organisator war damals Willi Mernyi. Er orchestriert heute die Aktionen des ÖGB gegen den Zwölf-Stunden-Tag.
Für Mernyi ist nicht die Frage entscheidend, wie stark der ÖGB heute noch ist, sondern „wie stark emotionalisiert das Thema die Arbeitnehmer“. Und dies sei sehr stark der Fall: Bei BetriebsräteKonferenzen in Vorarlberg und Oberösterreich habe es ungewöhnlich rege Teilnahme gegeben.
Für die Demonstration kommenden Samstag rechnet er mit mehreren Zehntausend Teilnehmern. Und auch danach sind Aktionen geplant. Welche, will er nicht verraten: „Auch ein Fußballtrainer verrät seine Taktik nicht.“