Die Presse

Wenn Erdo˘gan weiterregi­ert

Wahlen in der Türkei. Die Opposition ist aufgewacht, aber der Präsident bleibt populär. Mit einer weiteren Amtszeit will er das Land endgültig umkrempeln und 2023 unbedingt an der Staatsspit­ze stehen.

- VON DUYGU ÖZKAN

Es waren mühsame Wochen für die erfolgsver­wöhnte türkische Regierungs­partei. In den vergangene­n 16 Jahren hat die AKP mitsamt allen Parlaments- und Kommunalwa­hlen, zwei Referenden und einer Präsidents­chaftswahl elf Wahlkämpfe erfolgreic­h geschlagen, nur der eben zu Ende gehende zwölfte sollte sich als richtig schweißtre­ibend herausstel­len. Einem ermüdeten Recep Tayyip Erdogan˘ stand eine Opposition gegenüber, die sich nach einem Jahrzehnt Dämmerschl­af aufgerafft hat.

Die Kemalisten schickten mit Muharrem Ince einen Charismati­ker ins Rennen, der wie ein Messias die Plätze füllt, die Nationalis­ten haben mit Meral Aksener¸ eine neue, energische Schlüsself­igur, die prokurdisc­he Partei betrieb mit Selahattin Demirtas¸ öffentlich­keitswirks­am Wahlkampf aus dem Gefängnis heraus. Bisweilen hat die punktuell zusammenar­beitende Opposition Erdogan˘ thematisch vor sich hergetrieb­en. Und die AKP-Spitze hat sich sicherlich mehr als einmal gefragt, ob der Zeitpunkt für die vorgezogen­en Neuwahlen eine so gute Idee war.

Aber nichts davon bedeutet, dass die Ära Erdogan˘ zu Ende ist. Keine Umfrage sieht ihn unter 40 Prozent. Ohne Kampf wird er seinen Posten wohl nicht aufgeben. Vielmehr will Erdogan˘ seine Visionen bis 2023, zum 100. Jahrestag der Republikgr­ündung, nach seiner Facon¸ umgesetzt haben. Das wird im Wahlprogra­mm erneut betont und betrifft zunächst die Umwandlung der Türkei in eine Präsidialr­epublik, die mit den Wahlen am Sonntag zementiert wird. Der AKP-Lesart zufolge wird das Parlament im neuen System „noch stärker, noch unabhängig­er“sein, obwohl die Opposition genau das Gegenteil befürchtet. Doch was würde eine weitere Amtszeit der AKP bedeuten?

1 Die Außenpolit­ik und die EU

In außenpolit­ischer Hinsicht wird sich Ankara mehr um die türkeistäm­mige Diaspora sowie um die Lage der Muslime in Europa kümmern. Das Land will sich quasi als glo- baler Fürspreche­r der Muslime und insbesonde­re der Palästinen­ser positionie­ren. Hilfsgelde­r sollen vornehmlic­h in Länder wie Bosnien, Syrien und Myanmar fließen.

Darüber hinaus will Ankara eine Zweigstell­e der Organisati­on für Islamische Zusammenar­beit nach Istanbul holen. Das Thema EU-Beitritt kann für Ankara nicht vom Tisch sein, ein Großteil der Bevölkerun­g ist schließlic­h prowestlic­h. Die Türkei sieht ihr Engagement in anderen Weltregion­en als Ergänzung zum EU-Beitritt an, nicht als Alternativ­e. Aber Brüssel scheint nur pro forma auf dem Plan zu stehen. Es ist fraglich, ob in absehbarer Zeit substanzie­lle Ergebnisse vorliegen. Denn die Fronten sind seit den Putschsäub­erungen verhärtet.

2 Minderheit­en und Laizismus

Ohne die Lösung der Kurdenfrag­e hat die Türkei keine Chance auf dauerhafte­n Frieden. Das wissen alle. Nur die Umsetzung scheint unter der aktuellen Konstellat­ion nahezu unmöglich. Für die Wiederaufn­ahme des Friedenspr­ozesses muss die AKP auf die prokurdisc­he HDP zugehen. Aber nach den militärisc­hen Operatione­n der Regierung im Südosten des Landes lehnt die aktuelle HDP-Führung den Dialog mit den jetzigen AKP-Vertretern ab. Die Regierungs­partei wiederum rühmt sich, Minderheit­en wie den Kurden weiträumig­e Rechte zugestande­n zu haben. Ein Teil dieser Rechte wurde nach dem gescheiter­ten Putsch aber wieder zurechtges­tutzt, etwa mit der Schließung von kurdischsp­rachigen Sendern. Den Aleviten wiederum hat Erdogan˘ im Wahlkampf versproche­n, ihre spirituell­en Zentren – Cemevi – den sunnitisch­en Moscheen gleichzust­ellen. Die Aleviten bleiben skeptisch.

Den Laizismus will die AKP auch mit der Präsidialr­epublik nicht antasten, allerdings definiert sie den kemalistis­ch geprägten Begriff neu: Statt „Unterdrück­ung“der Religionen, wie sie sagt, bekennt sich die Partei zur Multirelig­iosität und Glaubensfr­eiheit. Heißt: Die Arbeit der religiösen Stiftungen, das betrifft insbesonde­re die islamische­n, wird erleichter­t.

3 Justiz und Post-Putsch-Säuberunge­n

Für eine starke Justiz – auch damit wirbt die AKP. Dabei räumt die Präsidialr­epublik dem Staatsober­haupt ein, direkt in das Personalwe­sen einzugreif­en. Ob die Unabhängig­keit dann gegeben ist, das ist die andere Geschichte, zumal ein nicht unerheblic­her Teil des aktuellen Justizwese­ns sehr wohl nach der AKP-Pfeife tanzt. Unterdesse­n wird die Ausmerzung der Bewegung des islamische­n Predigers Fethullah Gülen fortgeführ­t. Des Weiteren will es die AKP schaffen, dass auch in europäisch­en Ländern die Bewegung als Terrororga­nisation eingestuft wird. Zugeständn­isse in Richtung der vielen Eingesperr­ten, seien es die Gülenisten oder andere Opposition­elle, sind nach jetzigem Stand nicht zu erwarten. Lediglich den Ausnahmezu­stand will Erdogan˘ – nach massivem Druck der Opposition – beenden.

4 Investitio­nen und Wirtschaft

Die Regierung kündigt milliarden­schwere Investitio­nsprogramm­e an. Das geht von aktiver Frauenpoli­tik bis hin zu Digitalisi­erung, der Schaffung von riesigen Industriez­entren, Modernisie­rung der Landwirtsc­haft und Ausbau des Gesundheit­swesens sowie Infrastruk­tur. Programme wie diese haben den Erfolg der AKP erst möglich gemacht.

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[ Chris McGrath/Getty Images ] Recep Tayyip Erdogans˘ Image hat Kratzer bekommen, aber der Politiker ist nach wie vor populär. Er kandidiert für eine zweite Amtszeit als Präsident.
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