Inkarnation des Bösen
Interessenvertretung. Die Industriellenvereinigung erlebt unter Türkis-Blau ein machtpolitisches Revival. Und ist für Regierungskritiker zur meistgehassten Organisation geworden.
Die Industriellenvereinigung als meistgehasste Organisation.
Montagabend in Wien. Im Kursalon Hübner gibt’s den traditionellen Sommerempfang der Industriellenvereinigung. Mit eher nicht so traditioneller Begleitmusik: Bis etwa 22 Uhr wird die gediegene Veranstaltung von Hunderten Demonstranten lautstark gestört. Einige versuchen auch, in das Festgelände einzudringen. Das übliche Gezeter im Sommer 2018? Immerhin finden sich zwei Tage später auch etliche Demonstranten beim Sommerfest von Kanzler Sebastian Kurz ein. Trotzdem hat die Demo am Montag eine eigene Qualität. Den Pro- testierenden geht es nämlich um die Industriellenvereinigung als solche. Genauer gesagt: um ihren Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der Regierung – neuerdings bei der Einführung des Zwölf-StundenTags. Unschwer zu erkennen: Die IV ist gleichsam zum Feind von Arbeiterkammer und ÖGB geworden. Und das nicht erst, seitdem die Interessenvertretung vor den Zentralen der beiden für den Zwölf-Stunden-Tag plakatiert. Der ehemalige ÖGB-Präsident
Erich Foglar hat die Entwicklung jahrelang hautnah miterlebt, im Gespräch mit der „Presse“lautet sein Befund: „Die Industriellenvereinigung ist eine Interessengemeinschaft der Vermögenden. Und ihr Ziel des gesellschaftlichen Umbaus ist unter ihrem Präsidenten, Georg Kapsch, massiv betrieben worden.“
Das sind durchaus forsche Töne, die auch so etwas wie eine Zäsur bedeuten. Denn früher war die SPÖ durchaus gut mit der Industriellenvereinigung. Sehr gut sogar. „Sonnenkönig“Bruno Krei
sky hofierte die Industriellen nachgerade. 1970, als er die SPÖAlleinregierung formierte, schickte er umgehend seinen Handelsminister, Josef Staribacher, ins Haus der Industrie am Schwarzenbergplatz – als Geste der Wertschätzung. „Kreisky hatte starke Sympathien für die Industrie“, erzählte einst der frühere IV-Generalsekretär Herbert Krejci, „für ihn verkörperte sie die Modernität“.
Das war einmal. Für die Roten verkörpert die Industriellenvereinigung mittlerweile den bösen Neoliberalismus. Und sie gilt als jene Organisation, die das Ende der SPÖ-ÖVP-Koalition mit orchestriert hat. Etwa mithilfe von dis- kreten Gesprächen, die die IV-Generalsekretäre Christoph Neu
mayer und Peter Koren vor drei Jahren systematisch mit FPÖGranden führten.
Doch für den ehemaligen ÖGB-Chef haben die Weichenstellungen für einen Machtwechsel schon viel früher begonnen. Foglar: „Im Wahlkampf 2013 wurde massiv damit begonnen, die Situation in Österreich schlechter darzustellen, als sie ist.“Dazu habe die Industriellenvereinigung schon in den Jahren davor die Fördergelder für das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo um mehr als die Hälfte gekürzt. Und im Gegenzug das Konkurrenzinstitut Eco Austria gegründet. Ein Jahr später entstand das Institut Agenda Austria, das zu einem Gutteil von Industriellen finanziert wird.
Womit jedenfalls der Beweis erbracht wäre: Die Industriellenvereinigung beschäftigt den ÖGB schon sehr. So sehr, dass sogar ein mehrseitiges Papier angefertigt wurde, das durchaus Interessantes zutage fördert: Im türkis-blauen Regierungsprogramm sind in den Kapiteln Arbeitsmarkt, Steuern, Sozialversicherung, Finanzmarkt Passagen aus dem Industriellen-Forderungskatalog vom Sommer 2017 („Österreich kann mehr“) teilweise wortident übernommen worden. Foglars Resümee: „Die IV schafft an. Industrielle sind ja auch wichtige Financiers der ÖVP. Jetzt muss Sebastian Kurz liefern.“
Und wie sehen das unabhängige Beobachter? Politikberater
Thomas Hofer: „Die Industriellenvereinigung erlebt ein machtpolitisches Revival – ihre Anliegen hat sie bei der Regierung klar untergebracht.“Allerdings: „Das hat die Arbeiterkammer bei SPÖ-Regierungen auch.“Trotzdem sei der Einfluss der IV jetzt, unter TürkisBlau, größer: „Der Unterschied ist“, sagt Hofer, „dass mit ÖVP und FPÖ zwei Parteien eine Regierung bilden, zwischen denen es keinen großen Dissens gibt. Da ist die Schnittmenge einfach größer.“
Das war schon unter SchwarzBlau von Wolfgang Schüssel so. Universitätsprofessor und Sozialpartner-Experte Emmerich Talos´ erinnert sich: „Der damalige Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Lorenz Fritz, erklärte in einem Interview sinngemäß: ,Wir sind bestens bedient worden. Unsere Vorstellungen sind noch nie so klar im Regierungsprogramm eingeflossen wie jetzt.‘“
Also alles schon da gewesen? Nicht ganz, meint Talos:´ „Heute profitiert die Industriellenvereinigung auch noch davon, dass sie nicht Teil der Sozialpartnerschaft ist.“Was angesichts einer Regierung, die mit den Sozialpartnern nicht allzu viel am Hut hat, durchaus von Vorteil ist. „Die IV liegt auch da voll auf Regierungslinie und kann damit besser andocken. Sie kann sich als Organisation darstellen, die für Erneuerung ist.“
Das sei jener Faktor, der der Industriellenvereinigung im Jahr 2018 zu Macht und Bedeutung verhelfe. Dass sie eine schwarze Interessenvertretung sei und Mitglieder überdies die ÖVP finanziell unterstützen – das sei keineswegs neu und daher auch nicht ausschlaggebend. „Obwohl“, so Talos,´ „die Spende des Industriellen Stefan
Pierer war schon ungewöhnlich hoch.“Pierer hatte im Wahlkampf des vergangenen Jahres immerhin 436.563 Euro in Richtung Volkspartei überwiesen.
Die Industriellenvereinigung also als großer Gegenpol zu den Sozialpartnern. Das verschafft Macht. Den Rest besorgen die Sozialpartner selbst. Dort gab es bekanntlich einen Generationswechsel. Und seitdem fliegen zwischen dem neuen Wirtschaftskammer-Chef,
Harald Mahrer, und den neuen Präsidenten von Arbeiterkammer und ÖGB, Renate Anderl und
Wolfgang Katzian, die Fetzen. „Das spielt der IV natürlich auch in die Hände“, sagt Talos.´
Und wie sieht das die Industriellenvereinigung? Generalsekretär Neumayer beruft sich auf die Regierung, die den Anspruch habe, „auch dort zu gestalten, wo oft jahrzehntelang keine Einigung auf Sozialpartnerebene mit Arbeiterkammer und ÖGB möglich war“. Im Übrigen hätten AK und ÖGB „über Jahrzehnte Minister gestellt und damit direkt ihre Interessen vor allem über die SPÖ durchgesetzt“und „eine Reihe struktureller Veränderungen nicht möglich gemacht“. Die jetzige Politik habe jedenfalls nichts mit Vorschlägen der IV zu tun. Es sei „schlicht eine Frage des Erkennens von Notwendigkeiten und dem Aufbrechen von Reformverweigerung“.
Das klingt nicht so, als würde gerade hektisch nach der Friedenspfeife gesucht werden. Aber wenigstens ist die Zeit der Sommerempfänge bald vorbei.