Die Presse

Der Westen wächst weiter

Eine Studie zeigt, dass die Bevölkerun­g Ost- und Südosteuro­pas massiv schrumpft. In Westeuropa steigt sie: nicht nur durch Migration, sondern auch, weil die Geburtenra­te zunimmt.

- VON ALICE GRANCY

Die Bevölkerun­g in Westeuropa legt zu – nicht nur durch Migration.

Die Kluft in Europa vergrößert sich. Die vergleichs­weise reichen Regionen Westeuropa­s wachsen. Beinahe alle Staaten Südost- und Osteuropas hingegen verzeichne­n in den vergangene­n 27 Jahren massive Bevölkerun­gsrückgäng­e. Während etwa Irland in diesem Zeitraum 36 Prozent mehr Menschen zählte, verzeichne­t Bosnien und Herzegowin­a ein Minus von 22 Prozent. Das zeigt eine neue, eben vom Institut für Demografie der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften und dem Wiener Wittgenste­in Centre veröffentl­ichte Studie.

Auch die Bevölkerun­gszahlen von Bulgarien, Lettland, Litauen, Moldawien und dem Kosovo sind um mehr als 20 Prozent zurückgega­ngen. „Die meist durch Abwanderun­g verursacht­e Entwicklun­g ist vielen gar nicht bewusst, auch weil sie medial weniger sichtbar ist als die jüngsten großen Flücht- lingsström­e“, erklärt Studienlei­ter Toma´sˇ Sobotka. Aber auch das natürliche Bevölkerun­gswachstum, das sich aus der Bilanz von Geburten und Todesfälle­n ergibt, hat in diesen Ländern abgenommen. Dadurch dürfte eine andere Kluft, die sich einst durch Europa zog, nämlich die der Fruchtbark­eit, verschwind­en.

Familienpo­litik greift

Insbesonde­re in den deutschspr­achigen Ländern scheine die Familienpo­litik der Regierunge­n zu greifen, berichtet Sobotka. In den vergangene­n 15 Jahren sei die Fertilität­srate, eine Messzahl für die Fruchtbark­eit der Frauen, in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz langsam angestiege­n. In Österreich lag sie zuletzt nahe dem EU-Durchschni­tt. „Diese Länder wachsen also nicht nur durch Migration, sondern weil wieder mehr Kinder geboren werden“, sagt Sobotka. Dafür dürfte auch die gute ökonomisch­e Situation verantwort­lich sein, vermutet er: „Die Menschen haben wieder mehr Vertrauen in die Zukunft.“

Zugleich haben aber auch die Bildungska­rrieren von Frauen zwischen 1990 und 2017 einen deutlichen Aufwind erlebt. In der Altersgrup­pe der 25- bis 39-Jährigen haben, gemessen ab dem Bachelorni­veau, mittlerwei­le fast überall mehr Frauen einen Universitä­tsabschlus­s als Männer. Einzig Österreich und die Schweiz hinken noch etwas hinten nach.

Was bedeuten diese Entwicklun­gen, die allerorts auch eine gestiegene Lebenserwa­rtung zeigen, nun für den Arbeitsmar­kt? Während Prognosen in der EU einen Einbruch von 246 Millionen Erwerbstät­igen im Jahr 2015 auf 214 Millionen Erwerbstät­ige anno 2060 sehen, hält Sobotka auch ein anderes Szenario für möglich: Mit dem gestiegene­n Bildungsni­veau würden nun nämlich weit mehr Frauen auf den Arbeitsmar­kt drängen. Überhaupt: Würde sich ganz Europa ähnlich entwickeln wie Schweden, wo mehr Frauen, aber auch mehr Ältere arbeiten, könne die Zahl der Erwerbstät­igen auch 2060 noch bei rund 245 Millionen liegen. Dabei seien die Zuwanderun­gszahlen noch gar nicht berücksich­tigt, fügt der Forscher hinzu.

Migration begann weit früher

Spitzenrei­ter beim Wachstum durch Migration sind die Schweiz und Spanien, aber auch Österreich zählt zu den Ländern mit großen migrations­bedingten Zuwächsen: Diese trugen entscheide­nd zum Bevölkerun­gsplus von insgesamt 15 Prozent bei. Sie hätten allerdings bereits mit dem Gastarbeit­erabkommen mit der Türkei 1964 begonnen, erinnert Sobotka. Auch aus Jugoslawie­n und Spanien wurden Arbeiter angeworben. „Dazu kamen die Flüchtling­e zur Zeit der Balkankonf­likte in den frühen 1990er-Jahren und zuletzt Arbeitskrä­fte aus Polen, der Slowakei und Rumänien“, so der geborene Tscheche. Er kam 2004 selbst für die Forschung an das internatio­nal vernetzte Institut nach Wien.

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