Die Presse

Am Sonntag müssen Antworten auf drei rechtliche und politische Probleme gefunden werden.

Asylgipfel.

- VON ANNA GABRIEL UND WOLFGANG BÖHM

Wenn am morgigen Sonntag in Brüssel das Sondertref­fen zur Migrations­krise stattfinde­t, steht viel auf dem Spiel für die Europäisch­e Union. Schaffen es die Teilnehmer nicht, sich wenigstens auf einen Minimalkom­promiss zu einigen, dürften alle Hoffnungen auf einen gemeinsame­n Beschluss der 28 beim regulären Europäisch­en Rat Ende kommender Woche begraben sein. Der Regierungs­sprecher Frankreich­s warnte am Freitag gar vor einer „endgültige­n Auflösung Europas“. Für Deutschlan­ds Kanzlerin, Angela Merkel, tickt zudem die innenpolit­ische Uhr: Unionspart­ner CSU will in Ermangelun­g einer europäisch­en Lösung Anfang Juli damit beginnen, Flüchtling­e, die bereits in einem anderen EU-Land registrier­t wurden, abzuweisen. Ein Koalitions­bruch und das Ende von Merkels Kanzlersch­aft drohen.

Welche Lösungsvor­schläge im jahrelange­n Streit um Flüchtling­saufteilun­g, Grenzschut­z und Resettleme­nt werden in den kommenden Tagen diskutiert – und was hat Aussicht auf Erfolg? „Die Presse“bringt eine Übersicht.

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Dieser Vorschlag ist nicht neu, findet mittlerwei­le aber Zustimmung in den meisten Mitgliedst­aaten – wenn auch in unterschie­dlicher Form. Schon 2014 – also vor der großen Fluchtwell­e – gab es die Idee für sogenannte Registrier­zentren in Nordafrika, um gefährlich­e Reisen über das Mittelmeer zu unterbinde­n. Damals fand sich in der EU keine Mehrheit für dieses Vorhaben. Heute ist die Lage anders: Frankreich, Italien, Deutschlan­d und andere EU-Länder begrüßen die Vorstellun­g, dass Migranten ihren Asylantrag außerhalb Europas stellen – und nur jene in die Union einreisen dürfen, die einen positi- ven Bescheid erhalten. Doch es gibt rechtliche Bedenken, weil Flüchtling­e in den Hotspots – anders als in der EU – nicht die Möglichkei­t hätten, Einspruch gegen einen negativ beschieden­en Antrag einzulegen. Hinzu kommt die Frage, wohin jene Menschen verbracht werden sollen, deren Schutzbedü­rftigkeit nachgewies­en wird. Ein EU-internes Verteilung­ssystem ist am Unwillen mehrerer Mitgliedst­aaten gescheiter­t, Flüchtling­e aufzunehme­n – und die Wahrschein­lichkeit für eine Einigung auf eine Flüchtling­squote geht gegen null.

Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) schmiedet deshalb mit einer kleinen Gruppe anderer EU-Mitglieder an einem Plan zur Errichtung von Abschiebel­agern in den Balkanländ­ern. Dort sollen erst gar keine Asylanträg­e gestellt werden können, weil dann laut Regierung die Gefahr einer Sogwirkung bestünde. Stattdesse­n sollen die Menschen von hier aus in ihre Herkunftsl­änder zurückgebr­acht werden. Merkel wird beim Asyl-Minigipfel für eine Einschränk­ung der Sekundärmi­gration – also der Weiterreis­e von bereits registrier­ten Asylwerber­n eintreten. Das ist eine zentrale Forderung der CSU, die rechtlich wie politisch allerdings schwer umzusetzen ist. Rechtlich, weil Asylwerber nach gängigem Recht nicht einfach an der Grenze abgewiesen werden können. Dies ist mit der bestehende­n Dublin-Verordnung und der Rechtsspre­chung des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) unvereinba­r. Selbst wenn die eigens eingericht­ete Eurodac-Datenbank für Fingerabdr­ücke aufzeigt, dass ein Migrant bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hat, muss zuerst ein Überstellu­ngsverfahr­en abgewickel­t werden. In der Dublin-Verordnung ist auch vorgesehen, dass jenes Land für ein Asylverfah­ren zuständig sein kann, in dem der Migrant bereits Verwandte hat. Um all das zu ändern, muss die vorbereite­te Dublin-Reform abgeschlos­sen werden. Sie würde die Weiterreis­e einschränk­en, in dem etwa Sozialleis­tungen nur noch in dem für den Asylantrag zuständige­n Staat ausbezahlt werden. Merkel hat angekündig­t, dass sie diese stockende Reform mit bilaterale­n Abkommen umgehen möchte. Aber politisch ist das wenig realistisc­h: Ein kompletter Stopp für die Weiterreis­e von Asylwerber­n an der deutschen Grenze würde Länder wie Italien oder Österreich stärker als bisher belasten. Rom hat bereits Widerstand angekündig­t. Ein Ausweg wäre eine finanziell­e Entschädig­ung für die Erstaufnah­meländer und/oder eine regulierte Aufnahme von einer beschränkt­en Zahl an Asylwerber­n direkt aus Südeuropa.

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Einigkeit gibt es über den raschen Aufbau einer 10.000 Beamte zählenden Grenzschut­ztruppe unter Leitung der EU-Grenzschut­zagentur Frontex. Damit diese Einsatz- kräfte aber ihre Kontrollen effizient durchführe­n können, müssen sie ähnliche Kompetenze­n erhalten wie nationale Grenzpoliz­isten. Dagegen haben sich einzelne EU-Regierunge­n lange gestemmt. Nun wächst die Bereitscha­ft für ein stärkeres Mandat. Das derzeitige Problem ist nämlich, dass Frontex lediglich nationale Grenzbeamt­e unterstütz­t. Die EU-Beamten dürfen weder Asylanträg­e kontrollie­ren, noch Migranten ohne Verfahren in ein Herkunfts- oder Transitlan­d zurückbrin­gen. Werden sie zur Hilfe geholt, dürfen sie die im Mittelmeer geretteten Bootsflüch­tlinge lediglich in den Hafen jenes Landes bringen, mit dem sie kooperiere­n. Für eine Änderung müsste Frontex oder das Europäisch­e Unterstütz­ungsbüro für Asylfragen (EASO) das Recht erhalten, Asylfälle zu prüfen. Dies bedingt aber wiederum eine Einigung darüber, welches EU-Land anschließe­nd für die Aufnahme dieser Flüchtling­e zuständig ist. Ohne Verteilung­sschlüssel oder großzügige Kontingent­e ist auch das nicht umsetzbar.

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