„Das hat Entsetzen verursacht“
Analyse. Nach Polen droht nun auch Ungarn ein EU-Grundwerteverfahren. Die Orb´anPartei Fidesz wird ein Jahr vor der Wahl zum Problem für die Europäische Volkspartei.
Am kommenden Montag wird der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europaparlaments darüber abstimmen, den ersten Schritt für ein Verfahren gegen die ungarische Regierung wegen deren Verletzung der Grundwerte der Union zu setzen. Eine Mehrheit dafür ist ziemlich wahrscheinlich, und das liegt vor allem daran, dass die stärkste Fraktion, die Europäische Volkspartei (EVP), ihren Mandataren die Abstimmung frei gestellt hat.
Ein Klubzwang wäre schwer durchzusetzen gewesen. Denn in der EVP brodelt es wegen Ungarn schon seit Längerem gehörig. Elf Monate vor den Europawahlen im kommenden Mai steht die Parteienfamilie vor einer inneren Zerreißprobe. Denn die Beharrlichkeit, mit der die EVP-Spitzen ihr ungarisches Mitglied, die Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orban,´ verteidigen, wird zusehends zur Belastung. Orban´ wird zwar von der Führung der CSU sowie Bundeskanzler Sebastian Kurz ho- fiert und nahm es sich beim jüngsten EVP-Kongress in München heraus, offen mit einer Abspaltung zu drohen. Doch zugleich fordern die niederländischen Christdemokraten, die der Regierungskoalition angehören, den Ausschluss der Fidesz aus der EVP, sollte sie weiterhin rote Linien übertreten – allen voran die ausländerfeindlichen und nur fadenscheinig verhüllten antisemitischen Kampagnen wie jene gegen den Investor und Philantropen George Soros.
Der am Montag im EU-Parlament zur Abstimmung vorliegende Beschluss listet all diese roten Linien auf, welche Orban´ seit seiner Rückkehr an die Macht vor acht Jahren missachtet hat. Dass das selbst von Orbans´ Sprecher als „Stop-Soros“-Initiative benannte jüngste Gesetzespaket, welches unter anderem den rechtlichen Beistand für Asylwerber unter Strafe stellen würde, just am Weltflüchtlingstag beschlossen wurde, habe im Parlament „großes Entsetzen bei vielen verursacht“, sagte der SPÖ-Europamandatar Josef Wei- denholzer, der in diesem Ausschuss sitzt und auch dessen neuer Taskforce für Rechtsstaatlichkeit angehört. Man dürfe allerdings nicht den Fehler machen, zu sagen, „dass die Ungarn keine Europäer wären, dass sie nicht an den westlichen Werten interessiert sind“. Man dürfe den Ungarn gegenüber nicht „oberlehrerhaft“auftreten, sondern müsse den Dialog mit der Zivilgesellschaft suchen, so Weidenholzer.
So der Antrag des Ausschusses eine Mehrheit erhält, wird er im September dem Plenum vorgelegt. Dort ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, damit er den Regierungen übermittelt wird. Die sei „durchaus möglich“, meint Weidenholzer. Die EU-Regierungen stünden dann aber vor demselben Dilemma dieses Verfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrages, wie es sich ihnen schon bei Polen präsentierte: dass sie einen aus ihrer Mitte ächten müssten. Dafür fehlt die nötige Einstimmigkeit. Für Weidenholzer ist das kein Argument, es nicht zu versuchen: „Wir können doch nicht sagen, wir tun unsere Arbeit nicht, nur weil es schwierig ist.“