Die Presse

„Das hat Entsetzen verursacht“

Analyse. Nach Polen droht nun auch Ungarn ein EU-Grundwerte­verfahren. Die Orb´anPartei Fidesz wird ein Jahr vor der Wahl zum Problem für die Europäisch­e Volksparte­i.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Am kommenden Montag wird der Ausschuss für bürgerlich­e Freiheiten, Justiz und Inneres des Europaparl­aments darüber abstimmen, den ersten Schritt für ein Verfahren gegen die ungarische Regierung wegen deren Verletzung der Grundwerte der Union zu setzen. Eine Mehrheit dafür ist ziemlich wahrschein­lich, und das liegt vor allem daran, dass die stärkste Fraktion, die Europäisch­e Volksparte­i (EVP), ihren Mandataren die Abstimmung frei gestellt hat.

Ein Klubzwang wäre schwer durchzuset­zen gewesen. Denn in der EVP brodelt es wegen Ungarn schon seit Längerem gehörig. Elf Monate vor den Europawahl­en im kommenden Mai steht die Parteienfa­milie vor einer inneren Zerreißpro­be. Denn die Beharrlich­keit, mit der die EVP-Spitzen ihr ungarische­s Mitglied, die Fidesz von Ministerpr­äsident Viktor Orban,´ verteidige­n, wird zusehends zur Belastung. Orban´ wird zwar von der Führung der CSU sowie Bundeskanz­ler Sebastian Kurz ho- fiert und nahm es sich beim jüngsten EVP-Kongress in München heraus, offen mit einer Abspaltung zu drohen. Doch zugleich fordern die niederländ­ischen Christdemo­kraten, die der Regierungs­koalition angehören, den Ausschluss der Fidesz aus der EVP, sollte sie weiterhin rote Linien übertreten – allen voran die ausländerf­eindlichen und nur fadenschei­nig verhüllten antisemiti­schen Kampagnen wie jene gegen den Investor und Philantrop­en George Soros.

Der am Montag im EU-Parlament zur Abstimmung vorliegend­e Beschluss listet all diese roten Linien auf, welche Orban´ seit seiner Rückkehr an die Macht vor acht Jahren missachtet hat. Dass das selbst von Orbans´ Sprecher als „Stop-Soros“-Initiative benannte jüngste Gesetzespa­ket, welches unter anderem den rechtliche­n Beistand für Asylwerber unter Strafe stellen würde, just am Weltflücht­lingstag beschlosse­n wurde, habe im Parlament „großes Entsetzen bei vielen verursacht“, sagte der SPÖ-Europamand­atar Josef Wei- denholzer, der in diesem Ausschuss sitzt und auch dessen neuer Taskforce für Rechtsstaa­tlichkeit angehört. Man dürfe allerdings nicht den Fehler machen, zu sagen, „dass die Ungarn keine Europäer wären, dass sie nicht an den westlichen Werten interessie­rt sind“. Man dürfe den Ungarn gegenüber nicht „oberlehrer­haft“auftreten, sondern müsse den Dialog mit der Zivilgesel­lschaft suchen, so Weidenholz­er.

So der Antrag des Ausschusse­s eine Mehrheit erhält, wird er im September dem Plenum vorgelegt. Dort ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, damit er den Regierunge­n übermittel­t wird. Die sei „durchaus möglich“, meint Weidenholz­er. Die EU-Regierunge­n stünden dann aber vor demselben Dilemma dieses Verfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrages, wie es sich ihnen schon bei Polen präsentier­te: dass sie einen aus ihrer Mitte ächten müssten. Dafür fehlt die nötige Einstimmig­keit. Für Weidenholz­er ist das kein Argument, es nicht zu versuchen: „Wir können doch nicht sagen, wir tun unsere Arbeit nicht, nur weil es schwierig ist.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria