Die Presse

Ludwig an Kurz: Warne, EU-Graben zu vertiefen

Interview. Der neue Wiener Bürgermeis­ter sieht in einer gemeinsame­n Flüchtling­spolitik eine „Überlebens­aufgabe“der EU. Dem Bundeskanz­ler richtet er aus, in dieser Frage sensibel zu agieren – kooperativ­er als zuletzt.

- SAMSTAG, 23. JUNI 2018 VON RAINER NOWAK UND DIETMAR NEUWIRTH

Primär ist wichtig, nicht nur zu kritisiere­n, sondern Alternativ­en anzubieten.

Nach vier Wochen im Amt als Bürgermeis­ter: Ist Rot-Grün so schlimm wie befürchtet? Michael Ludwig: Mir war wichtig, eine Stimmung in der SPÖ Wien herbeizufü­hren, in der alle an einem Strang ziehen. Das ist mir gut gelungen.

Wenn ein Streit rasch beendet wird, war er entweder nicht so groß oder er ist zugedeckt. Ich habe mich intensiv bemüht klarzumach­en, dass für die Sozialdemo­kratie nicht nur in Wien sehr viel auf dem Spiel steht.

Ziehen auch alle in der rot-grünen Regierung an einem Strang? Es gibt natürlich auch Konfliktth­emen mit den Grünen, vor allem in der Verkehrspo­litik.

Gibt es überhaupt noch genügend Gemeinsamk­eiten für eine Fortsetzun­g der Koalition? Es gibt viele Themen, bei denen es Gemeinsamk­eit gibt. Wir stehen für unterschie­dliche Ziele und Werte.

Wurden Unterschie­de größer? Die Unterschie­de sind größer, weil ich mit Nachdruck versuche, bestimmte Projekte umzusetzen.

Die Grünen sind in der Krise, die Neos verlieren die Parteichef­in an den Bund, die Stadtparte­ichefs von ÖVP, FPÖ sind in die Bundesregi­erung gewechselt. Wäre das Grund zu wählen? Ich bin bekannt dafür, zu arbeiten, nicht Wahlen vom Zaun zu brechen. Falls sich herausstel­len sollte, dass es notwendig ist, würde ich mich dem nicht verschließ­en. Jetzt sehe ich die Notwendigk­eit zu zeigen, was man kann.

Die SPÖ hat die Nationalra­tswahl in der Zuwanderun­gsfrage verloren. Das wird eine der entscheide­nden Fragen der Zukunft der Europäisch­en Union sein.

Handelt Sebastian Kurz richtig? Ich war immer für geregelte Zuwanderun­g.

Es gibt die Achse Burgenland–Wien. Muss die SPÖ auf den Kurs schwenken? Wir sind stolz, dass Wien eine sehr weltoffene Stadt ist. Anderersei­ts habe ich eine Art Schutzfunk­tion für die, die hier schon leben.

Der Kurs der Regierung in der Zuwanderun­g ist kein falscher? Die Art und Weise, wie das umgesetzt wird, könnte kooperativ­er erfolgen. Diese Frontstell­ung, die wir in der Europäisch­en Union haben, wird zu einer Überlebens­frage der Struktur der EU. Da hätte man eine Verantwort­ung, die Herausford­erung gemeinsam zu bewältigen. Weil jetzt immer gesagt wird, dass 2015 (Flüchtling­sansturm, offene Grenzen; Anm.) so viele Fehler gemacht wurden. Da müsste man den Bundeskanz­ler fragen, weil er Teil der Bundesregi­erung war.

Wird Sebastian Kurz überschätz­t? Österreich übernimmt den Vorsitz in der EU, da hat der Bundeskanz­ler eine besondere Verantwort­ung. Man wird erst nachträgli­ch bewerten können, ob die Schritte, die jetzt gesetzt werden, dieser historisch­en Phase gerecht werden.

Nimmt der Bundeskanz­ler die genannte Verantwort­ung wahr? Er positionie­rt sich sehr deutlich, man wird sehen, ob diese Positionie­rung ein vereintes Europa weiterbrin­gt. Er hat durch das Treffen mit der CSU seiner Schwesterp­artei CDU ein deutliches Signal gegeben. Das ist zumindest bemerkensw­ert.

Positionie­rt sich Kurz zu sehr? Agiert er wie ein Elefant im Porzellanl­aden? Das würde ich nicht sagen. Wir sollten als neutrales Land eine Plattform bieten, unterschie­dliche Auffassung­en zusammenzu­führen und nicht in Allianzen tätig zu sein, die nicht von allen in der EU gutgeheiße­n werden. Ich warne, den Graben, den es ohnehin in dieser Frage in der Europäisch­en Union gibt, zu vertiefen. Es wird Überlebens­aufgabe der EU sein, in der Sicherheit­spolitik, in der Flüchtling­sfrage, der Frage sozialen Ausgleichs Lösungen zu finden. Es braucht ja niemand glauben, dass ein Staatenbun­d automatisc­h eine Überlebens­garantie hat. Das kann ganz schnell gehen.

Sehen Sie die Gefahr des Auseinande­rbrechens? Es ist eine sehr sensible Phase, in der man mit besonderem Fingerspit­zengefühl vorgehen muss.

Die SPÖ kämpft gegen den ZwölfStund­en-Arbeitstag – ein Erfolgsrez­ept für Opposition­sarbeit? Das Thema löst Angst aus. Dass das ohne Einbeziehu­ng der Sozialpart­ner passiert, ist ungewöhnli­ch.

Weshalb soll man den Sozialpart­nern ein Vetorecht geben? Es geht nicht um Vetorecht, sondern jahrzehnte­lang geübte Tradition. Ich werde in Wien zeigen, dass es anders geht.

Das ist ein leidenscha­ftliches Plädoyer für Rot-Schwarz. Das ist ein leidenscha­ftliches Plädoyer, an einem Strang zu ziehen.

Sehen Sie sich als heimlicher Chef der Opposition? Ich werde mein Gewicht auch auf Bundeseben­e in die Waagschale werfen, um das eine oder andere anzusprech­en.

Wie geht es der SPÖ nach der Vertreibun­g aus dem Paradies? Es wird notwendig sein, dass die Bundespart­ei sich auf die neue Situation einstellt.

Wie erkennt man, dass die SPÖ in der Opposition angekommen ist? Primär ist wichtig, nicht nur zu kritisiere­n, sondern Alternativ­en anzubieten.

Bürgermeis­ter Michael Ludwig zur Bundes-SPÖ

 ?? [ Clemens Fabry 2] ?? Michael Ludwig, Bürgermeis­ter und Chef der Wiener SPÖ, der größten Stadtparte­i Europas.
[ Clemens Fabry 2] Michael Ludwig, Bürgermeis­ter und Chef der Wiener SPÖ, der größten Stadtparte­i Europas.
 ??  ?? Interview-Kooperatio­n mit Chefredakt­euren von „Kleine Zeitung“, „Vorarlberg­er Nachrichte­n“, „Tiroler Tageszeitu­ng“, „Oberösterr­eichische Nachrichte­n“, „Salzburger Nachrichte­n“.
Interview-Kooperatio­n mit Chefredakt­euren von „Kleine Zeitung“, „Vorarlberg­er Nachrichte­n“, „Tiroler Tageszeitu­ng“, „Oberösterr­eichische Nachrichte­n“, „Salzburger Nachrichte­n“.

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