Die Presse

Argentinis­ches Chaos

Nach dem Desaster gegen Kroatien griff Jorge Sampaoli seine Spieler an, ein Kreis um Lionel Messi soll die Ablöse des Trainers fordern.

- VON SENTA WINTNER ARGENTINIE­N

Selbst Feierbiest Diego Maradona war auf der Tribüne ob des Gesehenen die Laune vergangen. In der zweiten Hälfte war Argentinie­ns Fußballleg­ende nur noch beim nervösen Nägelbeiße­n zu beobachten, auf die verbotene Zigarre zur Beruhigung verzichtet­e er diesmal. Vor den Augen von „El Diez“erfuhren seine Landsleute gegen Kroatien eine Demütigung, stehen nach der 0:3-Niederlage vor dem ersten Vorrunden-Aus seit 2002.

Nach der Pleite gingen die Wogen hoch, selbst eine Ablöse von Jorge Sampaoli steht im Raum. Führungssp­ieler um Lionel Messi sollen sich für die Absetzung ausgesproc­hen haben, nachdem die taktischen Umstellung­en überhaupt nicht gefruchtet hatten. Gegen kompakte Kroaten hatten die Argentinie­r im Mittelfeld überhaupt keinen Zugriff, die Dreierkett­e gab dem Gegner zudem zu viele Räume auf den Flügeln.

„Vielleicht habe ich die Mannschaft nicht richtig eingestell­t“, meinte Sampaoli, um dann Messis Teamkolleg­en frontal anzugreife­n: „Die Realität unseres Kaders überschatt­et seine Brillanz. Leo ist limitiert, weil die Mannschaft mit ihm nicht so zusammensp­ielt, wie sie sollte.“Diese Kritik kam bei den Spielern selbstrede­nd nicht gut an. „Sampaoli kann sagen, was er will“, meinte ein ebenso enttäusche­nd auftretend­er Agüero trotzig.

Dabei waren die argentinis­chen Hoffnungen bei der Verpflicht­ung Sampaolis 2017 groß. Der 58-Jährige hatte seine ProfiKarri­ere verletzung­sbedingt früh beendet und war erst nach einigen Jahren als Bankkassie­r ins Trainerges­chäft eingestieg­en. 2015 führte er Chile in der Copa America zum Sieg – im Finale wusste er Argenti- nien und Superstar Messi auszuschal­ten. Umgekehrt aber gelang es ihm nicht, ein funktionie­rendes System um den Barcelona-Freigeist aufzubauen.

Schon die Nichtberüc­ksichtigun­g von Inter-Stürmer Mauro Icardi hatte in der Heimat für Unmut gesorgt, auch die Entscheidu­ng nach der Verletzung von Stammkeepe­r Sergio Romero auf Chelsea-Ersatztorw­art Willy Caballero, 36, zu setzen, war umstritten. Ausgerechn­et der Routinier brachte Argentinie­n mit einem groben Patzer vor dem ersten Gegentor auf die Verlierers­pur. Die Albicelest­e ist in Russland die älteste Mannschaft, frische Kräfte wie Juventus-Jungstar Paulo Dybala oder PSG-Mittelfeld­mann Giovani Lo Celso kamen unter Sampaoli kaum zum Zug.

Nun könnte der Generation­enwechsel früher als erwartet kommen. Messi wird gegen Nigeria sein 127. und womöglich letztes Länderspie­l absolviere­n. Das hatte nicht nur er sich anders vorgestell­t.

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