Der Weltmeister muss sich neu beweisen
Gruppe F. Deutschland steht gegen Schweden bereits mit dem Rücken zur Wand, dem Team von Joachim Löw droht das erstmalige Aus in einer Vorrunde. Die Spieler predigen Kampfgeist und die Überzeugung, die Wende schaffen zu können.
Sotschi/Wien. Joachim Löw ist kein Trainer der Impulsentscheidungen. Und so wird er seine Mannschaft heute gegen Schweden maximal punktuell verändern, obgleich er die Ausgangslage und das Medienecho der letzten Tage vor der WM so wohl nicht erwartet hat. Seit der Auftaktniederlage gegen Mexiko werden Teamchef, Spieler, Taktik, ja selbst die Quartierwahl in Frage gestellt, denn dem regierenden Weltmeister droht eine Blamage historischen Ausmaßes. Sollte den Mexikanern gegen Südkorea ein Punktgewinn gelingen, würde eine deutsche Niederlage das Aus in der Vorrunde besiegeln.
Erst ein einziges Mal ist ein DFB-Team 1938 in der Auftaktrun- de – damals wurde mit dem Achtelfinale begonnen – gescheitert, zuletzt stand viermal in Folge zumindest das Halbfinale zu Buche. „Der Trainer ist sich des Ganzen bewusst“, betonte Mats Hummels. Dennoch strahle Löw keine „übertriebene Panik“aus. „Er weiß, worauf es ankommt, er weiß, dass er sich auch hoffentlich auf seine Spieler verlassen kann.“
Elf Krieger sollt ihr sein
Die Ausgangslage gegen Schweden ist eine ungewohnte für die deutsche Mannschaft. Die Partie wurde kurzerhand zur Charakterfrage erklärt, der oft zitierte Ruf als Turniermannschaft bemüht. „Das hat Deutschland immer stark gemacht, die Mentalität von elf Kriegern, die müssen wir wieder reinbekommen“, lautete die etwas martialisch anmutende Ansage von Sami Khedira. Zur nationalen Gemütsberuhigung durfte sogar DFB-Teampsychologe Hans-Dieter Hermann, seit 2004 im Amt und sonst kaum im Rampenlicht, auf der Verbandshomepage seine Einschätzung teilen: „Diese Mannschaft und dieser Trainer haben schon oft bewiesen, dass sie mit Druck umgehen können.“
Zumindest taktisch dürften die Schweden im Gegensatz zu Mexiko Löw und seine Assistenten nicht überraschen. Die Trümpfe der Mannschaft von Janne Andersson liegen klar in der Physis und der Defensive, allerdings steht sie nach dem Auftaktsieg gegen Südkorea auch unter deutlich weniger Handlungsdruck. „Die Kunst wird sein, von Anfang an Druck zu machen, aber nicht ungeduldig zu werden“, erklärte Hummels. Bei allen notwendigen Offensivbemühungen gilt es gleichzeitig die Balance zu wahren und die Abwehr nicht noch einmal derart zu entblößen. Von größtem Belang wird deshalb auch eine gewissenhaftere Positionstreue von Rechtsverteidiger Joshua Kimmich sein, denn Schweden bevorzugt über die linke Seite mit Leipzig-Profi Emil Forsberg, dem technisch versiertesten Schweden, anzugreifen.
Der Weltmeister muss sich allerdings auch offensiv gewaltig steigern. Aus fünf Länderspielen in diesem Jahr stehen nur vier Treffer zu Buche, gegen Mexiko bekam Timo Werner nur selten Bälle so serviert, wie er sie braucht. Gerade gegen die etwas hüftsteifen und in die Jahre gekommenen Abwehrhünen der Schweden könnte die Schnelligkeit des Leipzig-Stürmers ein entscheidender Trumpf sein. Dafür braucht es die zuletzt schwer vermissten Akzente von Taktgeber Toni Kroos. Marco Reus dürfte in die Startelf rücken, um für mehr Druck vom Flügel zu sorgen. Offensiv-Coach Miroslav Klose, selbst mit 16 Toren WM-Rekordschütze, gab seinen Nachfolgern das aus eigener Erfahrung erfolgversprechendste Rezept mit: „Immer die einfachen Sachen machen.“
Selbst Zlatan meckert nicht
Auf schwedischer Seite herrscht hingegen bedächtige Ruhe, selbst Großmaul Zlatan Ibrahimovic´ hat nach dem siegreichen Auftakt auf seine gewohnt schlagzeilenträchtige Wortmeldungen verzichtet. Nach zwei verpassten WM-Endrunden könnten die Skandinavier in Russland auf Anhieb wieder den Sprung in die K.-o.-Phase schaffen. Trotz des Punktevorteils ist man vor dem Kräftemessen mit dem Weltmeister gewarnt. „Wenn Deutschland gegen Schweden spielt, ist Deutschland der Favorit. Da spielt es keine Rolle, ob sie gegen Mexiko verloren und wir gegen Südkorea gewonnen haben“, betonte Mittelfeldspieler Viktor Claesson, und Leipzig-Profi Forsberg mahnte: „Wir werden gegen uns ein anderes Deutschland sehen, da bin ich mir sicher. Wir müssen vorbereitet sein: Die kommen mit voller Power.“
In der Vorbereitung auf das Topspiel verzichteten die schwedischen Spieler auf das in der Heimat traditionelle Mittsommerfest, viel lieber wollen sie am späten Samstagabend Sieg und Aufstieg ins Achtelfinale feiern.