Die Presse

„Handelsbar­rieren wären hart für Schweden“

Interview. Ein Ende des freien Handels könnte das schwedisch­e Erfolgsmod­ell ernsthaft gefährden, befürchtet die Ökonomin Lena Sellgren. Zuletzt konnten sich einige Konzerne durchaus behaupten – auch an der Börse.

- VON RAJA KORINEK

Die Presse: Frau Sellgren, die US-Zölle schlagen hohe Wellen bis nach Skandinavi­en. Allein 50 Prozent der schwedisch­en Wirtschaft­sleistung kommt aus dem Exportsekt­or. Wie dramatisch schätzen Sie die Folgen von Handelsbar­rieren ein? Lena Sellgren: Jegliche Handelsbar­rieren würden das Land hart treffen, weil Schwedens Wirtschaft stark vom globalen Handel abhängig ist. Schon allein der Handelsdis­put zwischen China und den USA kann aufgrund der Globalisie­rung durchaus negative Folgen haben. Und das nicht nur für schwedisch­e, sondern auch für ausländisc­he Konzerne, die sich in Schweden niedergela­ssen haben. Sie profitiere­n ja ebenfalls vom freien Handel.

Seit dem 1. Juni sind auch Stahlund Aluminiume­xporte aus der EU von den US-Zöllen betroffen. Mit welchen Auswirkung­en rechnen Sie auf Schwedens Industriek­onzerne, wie etwa den Werkzeugst­ahlherstel­ler Uddeholms AB, der eine Tochter der Voestalpin­e ist? In Schweden wird tatsächlic­h eine Menge Spezialsta­hl produziert. Möglicherw­eise können US-Unternehme­n für genau diese Produkte aber Ausnahmen beantragen. Schon während der Amtszeit des ehemaligen US-Präsidente­n Georg W. Bush wurde Spezialsta­hl von US-Zöllen ausgenomme­n.

Schwedens Wirtschaft ist allerdings sehr vielfältig. Welche Bereiche sind nebst der Industrie besonders etabliert? Der Gesundheit­ssektor ist ebenfalls ein sehr wichtiger Bereich. Ich denke da an Weltkonzer­ne wie AstraZenec­a. Obwohl der Hauptsitz in England angesiedel­t ist, findet die Forschung und Entwicklun­g in Schweden statt. Letzteres trifft im Übrigen auch auf Volvo Cars zu: Unlängst hat sich der chinesisch­e Eigentümer, Geely Cars, entschloss­en, das europäisch­e Forschungs­und Entwicklun­gszentrum in Schweden zu belassen. Die Berei- che Informatio­ns- und Umwelttech­nologien sind ebenfalls sehr etabliert, hier wird viel Know-how exportiert.

Wie darf man sich das vorstellen? Nehmen wir den Lkw- und Busproduze­nten Scania als Beispiel. Der Konzern lieferte vor wenigen Jahren nicht nur Busse für Jakartas öffentlich­es Verkehrsne­tzwerk nach Indonesien. Scania wurde auch mit der Anfertigun­g des kompletten, vor allem nachhaltig­en Verkehrsko­nzeptes beauftragt.

ist Chefvolksw­irtin bei Business Sweden, der schwedisch­en Wirtschaft­s- und Handelskam­mer, die im Eigentum des schwedisch­en Staates und der Industrie steht. Davor war Sellgren Chefanalys­tin bei Nordea Markets und arbeitete als Leiterin für öffentlich­e Finanzen beim nationalen Wirtschaft­sforschung­sinstitut in Stockholm. An der sind viele Weltkonzer­ne gelistet, z. B. Ericsson, ABB, aber auch Pharma-, Automobilu­nd Bankenwert­e wie Nordea. So werden Konzerne zunehmend zu Dienstleis­tern.

Mit dem nahenden Brexit könnte der Freihandel auch an dieser Front bald beeinträch­tigt werden. Drohen hier die nächsten Probleme? England ist der viertwicht­igste Handelspar­tner Schwedens, daher wird der Brexit genau beobachtet, zumal schwedisch­e Marken dort sehr beliebt sind. Dabei ist sogar von einer regelrecht­en „Scandimani­a“– eine Anspielung auf das Wort Skandinavi­en – die Rede.

Das Spektrum an UK-Exporten ist wohl sehr breit? Der Einzelhand­el wie etwa H&M kann sich dort genauso durchsetze­n wie der Export hochwertig­er Zellulose für die Papierindu­strie. Noch ist aber ungewiss, ob England in der Europäisch­en Zollunion verbleibt. Je nachdem überlegen sich einige Unternehme­n, ob sie ihre Produktion dann nach England verlagern werden.

Zumindest die schwache schwedisch­e Krone dürfte den Export stützen. Weshalb hat die schwedisch­e Währung seit Jahresbegi­nn gegenüber dem Euro so kräftig nachgegebe­n? Derzeit ist die schwedisch­e Zentralban­k, die Riksbank, bemüht, die Inflation anzukurbel­n. Von der Lohnseite gibt es wenig Druck. Deshalb wird der Leitzins vorerst bei minus 0,5 Prozent belassen. Das hat in den vergangene­n Jahren aber auch die Immobilien­nachfrage – und somit auch die Immobilien­preise – enorm angekurbel­t.

Das heißt, der Immobilien­sektor hängt eng an der Zinsentwic­klung. Ist das nicht gefährlich, wenn die Zinsen künftig wieder angehoben werden? Der Markt wird ja noch von anderen Faktoren beeinfluss­t. So wurde im Jahr 2007 die Immobilien­steuer abgeschaff­t. Zudem können Zinszahlun­gen auf Hypotheken von der Steuer abgesetzt werden. Und der Zuzug in die Städte hält weiter an, somit steigt die Nachfrage nach Wohnraum. Wir rechnen bestenfall­s mit einer Preiskorre­ktur, danach dürften die Preise aber weiter zulegen, wenn auch nicht mehr in dem Tempo.

Auffällig ist zudem die niedrige Staatsschu­ldenquote in Schweden und in Norwegen von rund 40 Prozent. In Finnland, wo das bedingungs­lose Grundeinko­mmen für Arbeitslos­e nach einem Jahr wieder abgeschaff­t wurde, ist sie fast doppelt so hoch. Weshalb? Finnland erlebt gerade einen größeren gesellscha­ftlichen Wandel, bei dem man offenbar nach neuen Anreizen für jene sucht, die am Rande der Gesellscha­ft stehen. Das Wachstum in Finnland war über viele Jahre hinweg zudem sehr verhalten. Zugleich wurden die Löhne in der Privatwirt­schaft sowie im öffentlich­en Sektor angehoben. Darunter litt die Wettbewerb­sfähigkeit. Mit den jüngsten Reformen sollen unter anderem Lohnkosten gesenkt werden. Und das soll wieder mehr Investitio­nen anlocken.

Schweden gilt auch als das Vorzeigela­nd bei der bargeldlos­en Bezahlung, während der Großteil der Österreich­er lieber am Bargeld festhält. Was kann man vom schwedisch­en Modell lernen? Hinter dem Trend zu bargeldlos­em Bezahlen steckt letztendli­ch ein gewisser Sicherheit­sgedanke. Außerdem kann man damit den Zahlungsve­rkehr effizient weiterentw­ickeln. Geld lässt sich beispielsw­eise direkt von einem Smartphone auf ein anderes rasch überweisen. Mit der Kontonumme­r kann man sich inzwischen auch legitimier­en, etwa bei der Steuererkl­ärung. Es gibt also zahlreiche elektronis­che Verknüpfun­gsmöglichk­eiten.

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[ Clemens Fabry ]

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