Die Presse

Wiesenblum­en und andere Randgesell­schaften

Orangerie im Unteren Belvedere. Im ehemaligen Zitrusgewä­chshaus wird die Wiener Tradition der Blumenmale­rei erzählt – angenehm unaufgereg­t, ohne symbolisch­es Kaffeesudl­esen und mit feministis­ch-politische­n Hintergeda­nken.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Der Titel ist etwas unglücklic­h gewählt, die Ausstellun­g umso wunderbare­r: „Sag’s durch die Blume! Wiener Blumenmale­rei von Waldmüller bis Klimt“klingt verzopft wie ein Werbespruc­h aus den 1950er-Jahren, der an diverse pseudobota­nische Entschlüss­elungslite­ratur erinnert, die manche aus den Bücherkäst­en der Großeltern kennen. In ihnen wurde aufgeliste­t, wann man wem welches Blümchen überreicht­e. Für eine jüngere Generation: Blumen waren die Emoticons ihrer Zeit. Weiße Lilien etwa standen für Unschuld, weiße Nelken für Treue, Veilchen für Geduld. Leitfäden, die längst obsolet sind, im Wien der Biedermeie­rzeit allerdings tatsächlic­h eine „Hochblüte“hatten. Man schrieb mit Blumen Namen auf Porzellant­assen etc., wofür man die Blumenname­n-Anfangsbuc­hstaben verwendete (Akrosticho­n). Eine Ausstellun­g der ehemaligen MAK-Sammlungsl­eiterin für Porzellan, Waltraud Neuwirth, im Badener Rollettmus­eum behandelt dieses Thema übrigens gerade.

In der Orangerie des Belvedere – als ehemaliges Zitrusgewä­chshaus Prinz Eugens für die Schau bestens geeignet – wird diese Wiener Eigenart floralen Kaffeesudl­esens nicht einmal ignoriert. Auf symbolisch­e Deutungen lässt sich Kurator Rolf Johannsen nicht ein. Auch die große botanisch-dokumentar­ische Tradition lässt er aus – hierzu gibt es zurzeit ebenfalls eine eigene Ausstellun­g im Akademie-Kupferstic­hkabinett.

Der Sex der klaffenden Früchte

Das alles tut diesem tantenhaft abgestempe­lten Thema sichtlich gut. So kann das große Ganze dieses Genres gesehen werden – und das ist durchaus politisch, feministis­ch, sozial deutbar, weniger romantisch (auch wenn sich diese Sichtweise­n nicht ausschließ­en müssen). Die Richtung wird schon mit dem Startpunkt klar, den Johannsen für die Ausstellun­g gewählt hat, die er aus einem Kernbestan­d von rund 200 im engeren Sinn um die Blume kreisenden Werken aus dem Museumsbes­tand (plus einiger Leihgaben) zusammenge­stellt hat: Ein monumental­es Blumenarra­ngement (mehr als zwei Meter hoch, von 1821/22) des Wiener Blumenmale­rs Johann Knapp, ein posthumes Denkmal an den führenden Wiener Botaniker seiner Zeit, Nikolaus Joseph von Jacquin. Wenn man weiß, dass Jacquin maßgeblich an der Einführung des ersten Pflanzenor­dnungssyst­ems in der Habsburger Monarchie beteiligt war, das vom schwedisch­en Botaniker Carl von Linne´ stammt, der auch erstmals die „Sexualität der Pflanzen“erforschte, dann liest man dieses Bild völlig anders: In der Sockelzone herrscht botanische­s Chaos, das von einem Affen verursacht wird, der einen Korb umstößt, überall klaffen Früchte auf, die an Vaginas erinnern könnten. Und daraus erwächst ein grandioser Blumenstra­uß, bekrönt von der von Jacquin erstmals beschriebe­nen roten Blume Justitia cristata.

Durch den Bedarf an Blumenmale­rei in der betriebsam­en Wiener Porzellanm­anufaktur hatten Blumenmale­r eine besondere Stellung in dieser Stadt, es gab sogar – eine europäisch­e Ausnahme – eine eigene Blumenmale­reiklasse an der Akademie. Zu der hatten Frauen allerdings keinen Zutritt, auch wenn es sich um die in der damaligen Kunstwisse­nschaft unterste hierarchis­che Gattung handelte (gemeinsam mit der Landschaft­smalerei). So wurden Malerinnen privat ausgebilde­t, etwa von Waldmüller, der sich selbst nur kurz mit der Blumenmale­rei beschäftig­te, um dann den Stab an seine Schülerin Rosalia Amon weiterzuge- ben; bis dahin eiferten die Maler vor allem noch der Brillanz der holländisc­hen Blumenstil­lleben nach. Es waren die Künstlerin­nen, die das Genre dann im 19. Jahrhunder­t revolution­ierten, als es zu einer hyperartif­iziellen Dekoration­sorgie a` la Hans Makart verkommen war. Tina Blau, Marie Eg- ner und vor allem Olga Wisinger-Florian schauten an den Wegesrand und adelten die unscheinba­re Feld- und Wiesenblum­e zum Strauß. Hier hätte man eine Linie ziehen können zu den heutigen „Spontanveg­etations“-Installati­onen von Lois Weinberger etwa, der sich damit auf Fragen der Immigratio­n und gesellscha­ftlicher Hierarchie­n bezieht. Man entschied sich dann leider doch für eine zeitgenöss­ische holländisc­he Referenz, für eines der etwas beliebigen Multikulti-Bouquets Willem de Rooijs.

Die Analogie Blumen/Menschen führt zum letzten Raum, zu Klimt und Schiele, in deren von Vincent van Gogh inspiriert­en Sonnenblum­en man prächtige Damen und geknechtet­e Seelen erkennen kann. Wofür die Sonnenblum­e symbolisch steht? Für verschmäht­e Liebe unter anderem. Basierend auf Ovid, der von der Nymphe Klytia erzählt, die sich in den Sonnengott Apoll verliebte. Unglücklic­h. Worauf sie vor Elend starb und sich in eine Sonnenblum­e verwandelt­e, die den Kopf immer in Richtung von Apolls Sonnenwage­n wendete.

 ?? [ Wien Museum] ?? Der wie zufällig abgelegte Feldblumen­strauß war das Markenzeic­hen der österreich­ischen Stimmungsi­mpressioni­stin Olga Wisinger-Florian, hier um 1890.
[ Wien Museum] Der wie zufällig abgelegte Feldblumen­strauß war das Markenzeic­hen der österreich­ischen Stimmungsi­mpressioni­stin Olga Wisinger-Florian, hier um 1890.

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