Die Presse

Wie viele Gene haben wir denn nun?

Genetik. Eine neue Schätzung hat die so vage wie umstritten­e Zahl nach oben korrigiert.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Im Frühjahr 2000 stieg unter Genetikern das Wettfieber an, die Sequenzier­ung des Humangenom­s im Projekt „HUGO“stand vor dem Abschluss, aber keiner wusste, wie viele Gene herauskomm­en würden. Deshalb ersann Ewan Birney (Hinxton) bei einer Tagung den „GeneSweep contest“, in dem die Zahl abgeschätz­t werden konnte, er nahm am Abend in einer Bar die ersten Wetten an, spätere kamen via E-Mail, über tausend Forscher boten mit: Die Schätzunge­n reichten von 27.462 bis 312.000.

Dann kam der große Tag: Am 26. Juni versammelt­e US-Präsident Bill Clinton die Spitzen der Genetik um sich, kein Wort war ihm zu groß: „Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben erschaffen hat. Dieses tief greifende Wissen wird der Menschheit ungeheure neue Heilkräfte bescheren und Diagnose und Therapie der meisten, wenn nicht aller Krankheite­n revolution­ieren.“

Die Hoffnung trog, auch deshalb, weil man gar so viel von der Sprache des Lebens noch nicht gelernt hatte: Zum einen macht das, was wir Gene nennen, kaum mehr als ein Prozent des gesamten Genoms aus, und zum anderen war die offizielle Zahl der Gene reichlich vage: zwischen 20.000 und 30.000. Über die Jahre wurden es immer weniger, der letzte Stand – 18.894 – stammt vom März, er bezieht sich auf Gene, die Proteine „kodieren“, d. h. die Blaupause ihrer Informatio­n in RNA umschreibe­n (Transkript­ion) und dann in die anderen Bausteine des Lebens umsetzen lassen (Translatio­n), das ist die engste Definition. Lockerer kann man zu „Genen“auch noch rechnen, was in RNA umgeschrie­ben, aber dann nicht übersetzt wird, das gibt es häufig, viele Gene regulieren so andere Gene, manche haben ihre Aktivität eingestell­t, sind Pseudogene geworden.

Beide Gruppen hat nun Steven Salzberg (Johns Hopkins, Baltimore) gezählt, in höchst aufwendige­n Analysever­fahren, gestützt auf Daten aus über dreißig Geweben von Hunderten Toten, die im Rahmen des Genotype-Tissue Expression (GTEx) project erhoben wurden: „Die neue Human-GenDatenba­nk umfasst 43.162 Gene, davon 21.306 kodierende und 21.856 nichtkodie­rende“(BioRxiv 10.1101/332825).

Endgültig sind diese Zahlen nicht, Widerspruc­h kam rasch, etwa von Adam Frankish (Hinxton), er hat hundert der neuen kodierende­n Gene durchgemus­tert ( Nature, 556, S. 354): Nur eines kodierte wirklich.

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