Eine Währung, älter als ihr Staat
D-Mark. Vor 70 Jahren bekamen die Deutschen ihre D-Mark. Plötzlich, ab dem 20. Juni 1948, waren die Schaufenster voll. Es war der Start in ein neues Leben, nun ging es aufwärts.
Es war eine amerikanische Erfindung, ein Meisterstück der Geheimhaltung und die erste Großaktion der CIA. Am 25. November 1947 kam der Frachter American Farmer in Bremerhaven an, an Bord 4800 Kisten, Gesamtgewicht 192 Tonnen. Der Inhalt: Banknoten für Deutschland, gedruckt in den USA. In den fingierten Frachtpapieren stand: Destination Barcelona. Es folgten weitere fünf Schiffsladungen, weitere 915 Tonnen. Einheiten der US-Army transportierten die Kisten in einem Sonderzug nach Frankfurt, dort landeten sie in einem Bunker, er gehörte einst Hitlers Reichsbank.
Auch ein Autobus mit Milchglasscheiben spielte eine Rolle: Mit ihm fuhr ein Team ausgewählter Finanzexperten unter der Leitung des US-Offiziers Edward A. Tenenbaum an einen geheimen Ort bei Kassel. Die Männer, die sich in kürzester Zeit von ihren Familien verabschiedeten und nur Wäsche und Zahnbürsten einpacken durften, sollten die nächsten Währungsschritte in den drei Westzonen des besetzten Deutschlands beraten. In strenger Klausur wurde nun alles vorbereitet. Am 8. Juni 1948 war das „Konklave“zu Ende. Weißer Rauch. Die Operation „Bird Dog“(„Spürhund“) nahm ihren Lauf.
Es war um Mitternacht in der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 1948, an einem Wochenende, als die GIs in Hunderten Kasernen Deutschlands mit Trillerpfeifen geweckt wurden. Es lief ohne Briten und Franzosen ab, ausnahmsweise durften die GIs auf deren Gebieten agieren, was viel hieß. Die Soldaten bildeten Reihen vor den Landesbanken, in deren Kellern die Geldkisten gestapelt waren, reichten die Fracht an die Armeetransporter weiter, Hunderte Konvois erreichten im Morgengrauen die Zielorte: die Verteilerstellen für Lebensmittelmarken, die nun umfunktioniert wurden für die Geldausgabe. Ein gewaltige logistische Leistung der Amerikaner, ähnlich der der Landung in der Normandie, war erfolgreich abgelaufen. Nun brauchte man anstelle von Soldaten zuverlässige buchhalterisch geschulte Bankbeamte und Behördenmitarbeiter: So kam die neue Deutsche Mark zu den Deutschen.
Sie waren bereits am Freitag zuvor abends nach Bankschluss über Rundfunk informiert worden. Die Zeitungen veröffentlichten einen einheitlichen Text: „Alles Altgeld mit Ausnahme von Kleingeld tritt am Montag außer Kraft. Die neue Währung, allein gültig vom 20. Juni an, heißt die Deutsche Mark.“(Edward Tenenbaum hatte den Begriff geprägt.) Sie sollte in zwei Tranchen ausge- zahlt werden, zunächst 40, dann 20 Mark für jeden Haushaltsvorstand.
Am Montag ging das Gedränge los, mit Rangeleien, Ohnmachtsanfällen, allem, was zu einer Masseneuphorie dazugehört. Die Warteschlangen standen im Dauerregen. Wem machte das etwas aus? Auch woher das Geld plötzlich kam, war kein Thema. Die Banknoten sahen merkwürdig aus, wie alte US-Aktien, doch man sah sie als ein Begrüßungsgeld in einem neuen Lebensabschnitt, eine zweite Befreiung, nach der von 1945. Freilich nur für die Westzone.
Mit dem „Altgeld“konnte man schon die längste Zeit nichts anfangen, die Nazis hatten die deutsche Währung ruiniert. Nun, 1948, wurde das finanzielle Erbe des Dritten Reichs liquidiert. Zur Bezahlung der Kriegsausgaben waren die Druckmaschinen der Reichsbank auf Hochtouren gelaufen, seit 1942 lag der Staatsbankrott in der Luft. Eine Hyperinflation wurde durch einen Preisund Lohnstopp zurückgestaut. Die Ersparnisse der Deutschen standen zwar noch im Sparbuch, waren aber durch den Rüstungswahn des Regimes an der Front verpulvert.
1945 war die Reichsmark nichts mehr wert. Es gab einen Überhang an Papiergeld, was die Preise, vor allem auf dem schwarzen Markt, hochtrieb: Der „kleine Mann“konnte sich nichts leisten. Die Versorgungsengpässe waren existenzbedrohend. Ein Laib Brot kostete so viel, wie ein Facharbeiter am Tag verdiente. Es hing also von einem Währungsschnitt ab, ob sich die Wirtschaft erholen würde. Die Westmächte konnten angesichts des sich anbahnenden Konflikts mit der Sowjetunion kein Interesse daran haben, Deutschland im Wirtschaftschaos versinken zu lassen. Das Land brauchte einen Anreiz zu produzieren. So wurden die Schulden des Deutschen Reichs gestrichen und zehn Prozent der Einlagen der Deutschen Banken in D-Mark umgetauscht, der Rest vernichtet. Kleine Sparer verloren im Unterschied zu Aktien- und Sachwertbesitzern fast alles. Eine Schieflage.
Es wirkte wie ein Wunder. Über Nacht waren die Auslagen der Schaufenster, die bis zum Sonntag noch gähnend leer gewesen waren, voll. Die Waren waren gehortet worden, nun war das Vertrauen in das neue Geld so groß, dass alles angeboten wurde, von der Butter bis zum Kochtopf. Plötzlich gab es Dinge zu kaufen, von denen man zuvor nur hatte träumen können. Ein Schlaraffenland. Man bekam wieder etwas zu essen, ohne Lebensmittelkarten, ohne Ersatzwährung wie Zigaretten auf dem Schwarzmarkt. Man war nun stolzer D-Mark-Besitzer. Das war der Schritt zum freien Staatsbürger.
Kein Ereignis der deutschen Nachkriegszeit hat sich tiefer in das kollektive Gedächtnis eingebrannt als der 20. Juni 1948. Keiner, der dabei war, hat diesen Tag jemals vergessen. Ist er nicht das eigentliche Gründungsdatum, noch bevor der Staat Bundesrepublik Deutschland existierte? Der Beginn jener Erfolgsgeschichte, die angesichts des selbst verschuldeten verbrecherischen Kriegs und der zerbombten Städte so schwer möglich schien? Der Satz „Wir haben alle mit 40 Mark angefangen“gehörte noch lange zu den geradezu mythischen Leitsätzen der deutschen Wirtschaftswundergeneration. Freilich: Ein wenig dauerte es noch bis zum sogenannten Wirtschaftswunder. Und natürlich waren die Startbedingungen nicht für alle gleich 1948, Besitzer von Sachwerten und Immobilien waren im Vorteil gegenüber den Bargeldbesitzern.
1949 tauchte der identitätsstiftende Begriff „Soziale Marktwirtschaft“auf, die Preise für Konsumgüter wurden freigegeben, eine damals umstrittene und von den Alliierten nicht gebilligte Leistung von Ludwig Erhard, dem „Vater des deutschen Wirtschaftswunders.“Erhard stand damit zunächst ziemlich einsam da. So viel Freiheit widersprach dem Zeitgeist. Man hielt das für ruinös, Deutschland noch nicht reif für so viel Markt, und vertraute angesichts des Gütermangels mehr einem System staatlicher Zwangsbewirtschaftung. Doch wie so oft wurde der Krieg der Vater aller Dinge, der Kalte Krieg, der Koreakrieg lösten eine Rüstungswelle aus und kurbelten die Industrialisierung an. Es begann zugleich der dynamische Siegeszug der deutschen Exportwirtschaft, der bis heute ungebrochen ist.
Die Teilung Deutschlands wurde durch die Währungsreform besiegelt. Die Sowjets sprachen von „imperialistischer Spaltungspolitik“und ordneten am 24. Juni die Blockade Westberlins an. Es dauerte bis 1990, bis die neue Währung auch auf Ostdeutschland ausgedehnt werden konnte. Man kann es den Deutschen nicht verdenken, dass sie bei der Einführung des Euro mit Skepsis reagierten und zum Teil wohl bis heute ihrer 2002 versunkenen D-Mark nachtrauern.