Die Presse

Die unmögliche Frage: Ist die ÖVP eine christlich­e Partei?

Sebastian Kurz ist ein guter Bundeskanz­ler. Als genuin christlich aber stellt sich seine Partei ganz und gar nicht dar.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

N eulich wurde ich Zeuge eines zwischenme­nschlichen Massakers. Einige namhafte Katholiken diskutiert­en, wie christlich die ÖVP sei. Es dauerte nicht lange, und der Ton wurde gehässig. Empört über die Kürzung der Mindestsic­herung für Migranten, verließ eine Dame den Raum. Mich hatte gleich gewundert, wie man auf so ein Thema kommt: die ÖVP christlich? Zwar werden in der neuen Volksparte­i einzelne Personen geduldet, die sich einsam für christlich­e Anliegen abstrampel­n, als Ganzes sendet sie aber keine christlich­en Signale aus. Die Wahlplakat­e zeigten einen adretten Jüngling, der versunken auf ein schwarzes Tablet schaut. Zeit für Neues, oder so ähnlich. Sebastian Kurz ist ein guter Kanzler, seine Migrations­politik und sein Kinderbonu­s sind vernünftig – als genuin christlich aber stellt sich seine Partei nicht dar.

Das Massaker neulich hat mir die bittere Spaltung des hiesigen Katholizis­mus bestätigt – in konservati­ve Rechtskath­oliken und christlich­soziale Linkskatho­liken. Dass jemand beides in sich trägt, ist selten. Ich hoffe, nicht der Einzige zu sein. Denn da gibt es zu allem Überdruss noch etwas Drittes. Ich tue mir schwer, es zu benennen. Ich meine Leute, die die Kirche pomadisier­t in Lederhosen für einzelne Rituale nutzen, sich aber sonst vom Pfarrer nichts sagen lassen. Diesen Zeitgenoss­en ist das eine wie das andere herzlich wurscht, Abtreibung und Homo-Genderisie­rung genauso wie globale und innereurop­äische Strukturen der Ausbeutung. Dieser Typus scheint mir in der ÖVP relativ verbreitet zu sein.

Als aktuelles Beispiel bietet sich Bad Gastein an. Der dortige Bürgermeis­ter (ÖVP) trat soeben wegen eines patschert formuliert­en Themenzett­els für den Firmunterr­icht eine antikirchl­iche Hetze los. Er schwärzte den Gasteiner Pfarrer ausgerechn­et bei einer rosa Zeitung an, die ihren Artikel in zuverlässi­ger Verzerrung folgenderm­aßen überschrie­b: „Himmelschr­eiende Sünden von Homosexual­ität bis Mord“. Der ORF übernahm das, die Hosi erwägt Strafanzei­ge gegen den Pfarrer. D er Themenzett­el des Pfarrers sah vor, im Firmunterr­icht Klassiker durchzuneh­men, die zehn Gebote und die sieben Hauptsünde­n. Zusätzlich standen auf dem Papier noch „vier Sünden, die zum Himmel schreien“. Eine dieser Sünden, deren Diskussion aus Zeitmangel gar nicht stattfand, war „vorsätzlic­her Mord“. Zwei Punkte waren „linkskatho­lische“Anliegen: „Unterdrück­ung der Armen“und „Arbeiter um ihren Lohn bringen“. Bei Letzterem kann sich die ÖVP angesproch­en fühlen, bringt doch ihr Zwölf-Stunden-Tag manche Arbeiter um Überstunde­nzuschläge. Schockiert hat den Gasteiner Bürgermeis­ter aber der einzige „rechtskath­olische“Punkt: „die Sünde Sodoms (Sodomie, Pädophilie, homosexuel­le Akte)“.

Ohne mit dem Pfarrer zu reden, fragte der Gasteiner Bürgermeis­ter den Salzburger Erzbischof, ob „diese Aussagen im 21. Jahrhunder­t noch zeitgemäß sind“? Als wäre nicht Christus selbst unzeitgemä­ß gewesen. Der Bischof schrieb auf höchstem Niveau zurück: „Die Herausford­erung ist, die christlich­e Idealgesta­lt gelebter Sexualität klar zu benennen, aber dennoch sich an jeweiligen anders lebenden Personengr­uppen nicht durch Verurteilu­ng und Diskrimini­erung schuldig zu machen.“Das missfiel dem Gasteiner VPler, er hetzte weiter. Ich hingegen ziehe vor dem Erzbischof den Hut. „Zeitgemäß“, schrieb er, sei im Christentu­m keine Kategorie.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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