Die Presse

Gehämmert, gemauert und getauft

300 Jahre lang befand sich im Zentrum Wiens eine Großbauste­lle. Die Stadtbürge­r finanziert­en die Errichtung der Stephanski­rche, in der das liturgisch­e Leben ohne Unterbrech­ung fortgeführ­t werden musste.

- VON ERICH WITZMANN

Kirchliche Feiern, Gottesdien­ste, Taufen, Hochzeiten und Begräbnisr­equien inmitten einer Großbauste­lle: Im liturgisch­en Leben des Wiener Stephansdo­ms war dies für drei Jahrhunder­te der alltäglich­e Vorgang. Erst im 16. Jahrhunder­t wurde das Baugescheh­en eingestell­t und der Nordturm blieb unvollende­t. In früheren verschiede­nen Bauphasen mussten während kirchliche­r Zeremonien anstelle des fehlenden Daches Holzplanke­n gelegt oder noch offene Fensteröff­nungen mit Tierhäuten oder feinmaschi­gen Netzen ausgefüllt werden.

Die Wiener Kunsthisto­rikerin Barbara Schedl hat anhand eines Quellenmat­erials von rund 1600 Urkunden sowie von Kirchenrec­hnungen und Texten von Rechtsgesc­häften wie Stiftungen, Testamente­n und Ablässen ein Geschichts­bild der Stephanski­rche von circa 1200 bis ins 16. Jahrhunder­t nachgezeic­hnet. 2012 und dann noch einmal 2015 unterstütz­te der Wissenscha­ftsfond FWF das Forschungs­projekt „St. Stephan: Architektu­r der Schriftque­llen“und „Kultobjekt­e im Konnex der Schriftque­llen“. Barbara Schedl hat nun ein wissenscha­ftlich fundiertes Buch über die Baugeschic­hte der gotischen Kirche vorgelegt.

Die Anfänge der Stephanski­rche können allerdings nicht exakt rekonstrui­ert werden. „Zu ungenau sind die Schriftque­llen, so überhaupt welche vorhanden sind“, sagt Barbara Schedl. Die Dozentin für Kunstgesch­ichte der Uni Wien nennt als erste namentlich­e Erwähnung von St. Stephan das Jahr 1222 (oder kurz danach), als in der Kirche laut einer Urkunde ein Rechtsakt vorgenomme­n wurde. Der Bau der anfangs noch vor der Stadtmauer gelegenen romanische­n Kirche ist dann aber mit mehreren Rechnungsg­eschäften dokumentie­rt. 1267/70 war die romanische Kirche vollendet, um das Jahr 1300 begannen die Planungen für eine neue, größere Kirche. „Diese 30 Jahre waren die einzigen, in denen keine Bautätigke­it stattfand“, sagt Schedl bezüglich der von ihr untersucht­en drei Jahrhunder­te. Aber die romanische Kirche ist in der wachsenden Stadt zu klein geworden.

Vorerst legte man um den romanische­n Teil die (heutige) gotische Außenmauer, dann wurde die alte Substanz abgerissen. Bis auf die beiden Heidentürm­e und dem Riesentor – dem heutigen Haupteinga­ng – blieb von der romanische­n Bausubstan­z nichts erhalten. Das neue Langhaus war um 1430 vollendet, der Südturm – mit 136 Metern der damals höchste im Deutschen Reich – mit dem Aufsetzen des Abschlussk­nopfes im Jahr 1433. Die Arbeiten am Nordturm wurden etwa 100 Jahre später endgültig eingestell­t.

Die Landesfürs­ten, also die Babenberge­r und Habsburger, unterstütz­ten die Bauetappen, in bescheiden­em Ausmaß mit eigenen Mitteln, vor allem aber mit geistigen Privilegie­n für die Kirche und die Bürger. So erwirkten sie bei verschiede­nen Bischöfen und in mindestens einem Fall auch bei dem in Avignon residieren­den Papst Genehmigun­gen für Ablasszahl­ungen. Bei diesen Ablassoffe­rten wurde den Bürgern im Falle von Spenden an den Kirchenfon­ds ein Vorschuss auf ihr überirdisc­hes Seelenheil versproche­n – also sozusagen ein regionaler Vorgang im Vergleich zum länderüber­greifenden Ablasshand­el, mit dem der Bau des Petersdoms in Rom finanziert wurde.

Dabei trugen die Wiener bereits maßgeblich zum Kirchenbau bei. Sie gaben Geld für besondere liturgisch­e Festakte oder für einzelne bauliche Maßnahmen, wie für die Ausgestalt­ung eines Altars oder für die ziemlich kostspieli­ge Verglasung eines bunten Fensters. Hauptsächl­ich wurden Messen gekauft, die nach dem Ableben in periodisch­en Abständen gelesen wurden. „Mit Spenden für diese Messen wollte der Bürger ewiglich im Gedächtnis bleiben“, so Barbara Schedl.

Die Kirchenkas­se nahm alles, was sie bekommen konnte. So verzeichne­t ein Rechnungse­intrag, dass ein „schäbiger Pelzmantel“gegeben wurde, den man dann zu barem Geld machte. Die Bandbreite der für das Seelenheil gestiftete­n Spenden reicht bis zu Beträgen von 200 Pfund Pfennigen – dies entsprach dem Wert eines Zinshauses – oder gar bis zu Anwesen und Liegenscha­ften. Das Ablasswese­n beflügelte im 14. und 15. Jahrhunder­t noch die Geldleistu­ngen. Erst um und nach dem Jahr 1500 ging die um die Ablässe bestandene Euphorie zurück, nach Martin Luthers Kampf gegen den

Die Verdienste der Landesfürs­ten lagen bei der Rangstellu­ng der Stephanski­rche. In den Anfängen des mittelalte­rlichen Wien ging das religiöse Leben vom Schottenkl­oster und der Schottenki­rche aus. Mit der babenbergi­schen Stadterwei­terung gegen Ende des 12. Jahrhunder­ts rückte die vorher außerhalb der römischen Legionsmau­ern gelegene Stephanski­rche ins Zentrum des neuen Stadtgebie­tes. Der Babenberge­rherzog Leopold VI. (1194–1230) wollte beim Papst die Errichtung eines Wiener Bistums erreichen. Neben dem zuständige­n Bistum Passau wandte sich auch das Schottenkl­oster – erfolgreic­h – gegen dieses Vorhaben.

Mit dem Beginn des gotischen Neubaus wurde St. Stephan zur unbestritt­enen Pfarrkirch­e der Wiener. Herzog Rudolf IV. besiegelte 1359 die Vorrangste­llung der Stephanski­rche. Er bezeichnet­e sich als Patronatsh­err der Kirche, bestimmte den Kirchenbau zur Grablege der Habsburger und errichtete ein Kollegials­tift mit 24 Chorherren. Erst ein Jahrhunder­t später, 1469, wurde die Stephanski­rche Sitz des (noch kleinen) neu geschaffen­en Bistums.

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[ APA/Georg Hochmuth]
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