„Wir kommen nicht nur mit der Verbotskeule“
Wir leben in einer Zeit, in der die Akzeptanz für Folter steigt, sagt Moritz Birk vom Boltzmann-Institut für Menschenrechte.
Es klingt fast ein bisschen nach weltfremder Utopie: Moritz Birk und sein Team vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte (BIM) wollen Folter mit Wissenschaft bekämpfen. Derzeit arbeitet Birk an dem global vernetzten Projekt „Atlas of Torture“(siehe Kasten unten). Die Vision ist, Forschungsergebnisse zu sammeln und zu verbreiten, um ihren Weg in die Praxis zu ebnen. Im Gespräch mit der „Presse“wirft Birk einen wissenschaftlichen Blick auf grausame Realitäten.
Die Presse: Was kann Forschung im Kampf gegen Folter tatsächlich beitragen? Moritz Birk: In den meisten Ländern gibt es Fälle von Folter und unmenschlicher Behandlung. Wir haben bei einer vergleichenden Studie, die die Situation in 16 Ländern über 30 Jahre lang erhoben hat, mitgewirkt. So konnten wir Beweise liefern, dass es Möglichkeiten gibt, Folter effektiv zu verhindern. Das Problem ist, dass vielen das Ausmaß nicht bewusst ist. Es herrscht der Eindruck vor, dass es sich bei Folter um ein isoliertes Problem handelt, das nur vereinzelt im Kampf gegen Terrorismus vorkommt. Aber Folter ist oft ein strukturelles Problem des Strafjustizsystems und weitverbreitet.
Welche Foltermethoden sind heutzutage gängig? Gibt es länderspezifische Unterschiede? Vermehrt werden ausgefeilte Methoden eingesetzt, durch die die Persönlichkeit zerstört werden soll, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber normalerweise haben wir es mit ganz banalen Methoden zu tun, die überall auf der Welt ähnlich sind – aus nachvollziehbaren Gründen: Auf einer Polizeistation in, sagen wir, Paraguay hat man schlichtweg keine Elektroschocker zur Verfügung. Da wird ein Eimer auf den Kopf gesetzt und immer wieder dagegengeschlagen. Der Fantasie sind leider keine Grenzen gesetzt – uns wurde von der ganzen Bandbreite von normalen Schlägen über das gezielte Traktieren der Geschlechtsteile bis hin zu in die Augen gestreutes Chili berichtet.
Wo können Staaten ansetzen, die gegen das routinemäßige Foltern im Kleinen ankämpfen wollen? Folter passiert vor allem in den ersten Momenten der Haft und des Verhörs. Unsere Forschung hat gezeigt, dass Verfahrensrechte besonders effizient dagegen helfen, also etwa ein rascher Zugang zu Anwälten und die Möglichkeit, Familie oder nahestehende Personen zu informieren. Wir haben aber auch herausgefunden, dass es nicht so sehr auf das rechtliche System ankommt, sondern darauf, dass die jeweiligen Gesetze auch in der Praxis umgesetzt werden. Das bedeutet, dass der Anwalt qualifiziert und unabhängig sein muss – auch wenn es sich um einen Pflichtverteidiger handelt. Außerdem sollte das erste anwaltliche Gespräch persönlich und nicht bloß übers Telefon stattfinden. So könnten Folterspuren sofort entdeckt und dokumentiert werden.
Verbessert sich die Situation nicht auch durch eine vermehrte Beobachtung durch unabhängige Stellen von außen? Grundsätzlich kommt es immer auf die einzelnen Ländern an. In der Türkei und auf den Philippinen gab es große Fortschritte, doch mit der Veränderung der politischen Umstände hat sich auch die Situation in Bezug auf Folter massiv verschlechtert. Generell sorgen verstärkte Überwachungsmechanismen aber dafür, dass Folter zurückgeht, ja. Man denke nur an die Arbeit des Europäischen Folterpräventionskomitees! Während unmenschliche Behandlungen in Gefängnissen nach wie vor auch in Europa ein weitverbreitetes Problem sind, ist Folter im engeren Sinn heute hier die Ausnahme – wie in Österreich der Fall Bakary J. ( Anm.: Der Gambier wurde 2006 von Polizisten in einer Lagerhalle brutal verprügelt und angefahren.) Es gibt eine klare Verbesserung. 1980 war es noch gängig, dass einem auf einer österreichischen Polizeistation ein Plastiksackerl über den Kopf gezogen wurde.
Wie schaut es mit subtilen Foltermethoden aus, die schwerer nachweisbar sind, weil sie zum Beispiel auf die Psyche der Opfer einwirken? Tatsächlich beobachten wir, dass als Reaktion auf Sensibilisierung dafür sowie als Reaktion auf externe Überwachungsmechanismen Folter anders eingesetzt wird – eben so, dass keine Spuren hinterlassen werden. Oder bestimmte Methoden werden einfach nicht als Folter definiert, wie Waterboarding ( Anm.: simuliertes Ertrinken) in den USA. Dabei war schon unter Präsident George W. Bush – das zeigen interne Berichte – klar, dass diese Foltermethode keinen nachrichtlichen Nutzen bringt.
Nichtsdestotrotz sprach sich Donald Trump für die Wiederein-
ist Wissenschaftler am Ludwig-BoltzmannInstitut für Menschenrechte in Wien. Er leitet das Forschungsteam „Menschenwürde und Öffentliche Sicherheit“, das derzeit die Onlineplattform „Atlas of Torture“entwickelt.
ist eine interaktive Website, auf der Informationen zu den Hauptursachen von Folter sowie zu bewährten Praktiken und Richtlinien für wirksame Folterprävention gesammelt werden. Sie soll den Kampf gegen Folter und Misshandlung effektiver machen und Initiativen vernetzen. Das LudwigBoltzmann-Institut sammelt noch bis 13. Juli 2018 finanzielle Unterstützung für das Projekt. führung von Waterboarding aus und behauptete, dass Folter funktioniere. Er setzt sich damit nicht nur über klar dagegensprechende Forschungsergebnisse und das eindeutige völkerrechtliche Verbot hinweg. Er gibt damit auch ein verheerendes Beispiel für andere Länder der Welt, in einer Zeit, in der wir eine allgemein steigende Akzeptanz von Folter beobachten.
Ist es nicht auch eine Gratwanderung, statt mit Menschenrechten gegen Folter mit deren Nutzlosigkeit zu argumentieren? Wir sind ganz klar eine Menschenrechtsorganisation, aber der Hinweis auf das Verbot von Folter allein bringt nichts. Wir übersetzen unsere Forschung in Beratung und bieten Handlungsalternativen an. In Schulungen machen wir deutlich, dass es investigative Techniken gibt, die leicht zu erlernen sind. Wir kommen nicht nur mit der Verbotskeule und auch nicht mit der Menschenrechtskeule. Wir zeigen, dass es um professionelle Polizeiarbeit geht, darum, dass Verhöre vor Gericht halten und ein gutes Verhältnis zur Zivilbevölkerung herrscht. Das ist letztlich auch die einzige Möglichkeit, die wir als externe Berater haben.