Die Presse

Maßnahmen gegen die „Rechten“

-

QDiese erblickten in den ungestümen Äußerungen der Intellektu­ellen den Beweis, dass die Reformer die Lage nicht mehr unter Kontrolle hätten. Um den Druck aus Moskau abzuwenden, bemühten sich Dubcekˇ und die Reformer, die Sowjets zu beschwicht­igen, und versprache­n Maßnahmen gegen die „Rechten“zu Hause. Sie setzten diese aber nur halbherzig um, um so nicht die eben erst gewonnene Popularitä­t und Unterstütz­ung zu verlieren, die sie wiederum im Kampf gegen die Altstalini­sten in der eigenen Partei zur Durchsetzu­ng ihrer Reformagen­da brauchten. Ein Doppelspie­l, das letztlich scheiterte, zu dem es aber kaum tragbare Alternativ­en gegeben hätte.

In den ersten Wochen nach der Okkupation verfestigt­e sich die Einheit zwischen den Parteirefo­rmern und dem Volk gegen den Außenfeind. Doch gerade im Herbst 1968 verspielte­n diese ihr politische­s Kapital. Die Absichten der Sowjets zur Installier­ung einer Kollaboran­tenregieru­ng war nach der Okkupation am entschloss­enen, zivilen Widerstand fast des ganzen Landes gescheiter­t. Auch im Herbst 1968 noch zeigten Hunderttau­sende ihre Bereitscha­ft zum Kampf. Doch die Reformer setzten unter starkem Druck aus Moskau nicht mehr auf Widerstand, sondern auf stückchenw­eises Zurückweic­hen.

Ihren Höhepunkt fand diese Selbstliqu­idierung ein Jahr darauf. In den Straßen Prags und Brünns versammelt­en sich Tausende Menschen, um anlässlich des ersten Jahrestage­s der Invasion zu demonstrie­ren – niedergekn­üppelt nicht von den Sowjets wie im Jahr zuvor, sondern von tschechosl­owakischen Einheiten, nachträgli­ch legitimier­t aufgrund eines eilig verabschie­deten Gesetzes, das die Namen jener trug, zu deren Unterstütz­ung die Kundgebung­en stattgefun­den hatten: Dubcekˇ (damals nur mehr Parlaments­präsident), Staatspräs­ident Svoboda, Ministerpr­äsident Cˇernik. Alle drei verschwand­en bald darauf in der politische­n Versenkung. Es folgte ein langer Winter. Die Tschechen aber, so der österreich­ische kommunisti­sche Intellektu­elle und Politiker Ernst Fischer, der selbst bald zum Opfer der Prager Ereignisse wurde, waren für einen Frühling lang das glücklichs­te Volk der Welt gewesen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria