Die Presse

Vom Brabbeln der Delfine

Yara Lees Debüt überzeugt durch Einfallsre­ichtum und ihre sprachlich­en Mittel.

- Von Monika Vasik Yara Lee Als ob man sich auf hoher See befände Roman. 196 S., geb., € 22 (Residenz Verlag, Wien)

Afamia Al-Dayaa ist ausgebilde­te Pianistin und studierte Sprachkuns­t an der Universitä­t für Angewandte Kunst in Wien. Nun legt sie unter dem Pseudonym Yara Lee ihr Romandebüt vor.

Zwei Handlungss­tränge durchziehe­n das Buch. Marla, eine Kunsthisto­rikerin, wächst als Waise in einem Kloster auf. Sie geht eine Beziehung mit dem Meeresbiol­ogen James ein, dessen Leidenscha­ft die Erforschun­g der Delfine ist. Marla begleitet ihn zu einem Delfinfors­chungsproj­ekt nach Mexiko, wo ein Anschlag einige Turbulenze­n nach sich zieht. Allein kehrt sie schließlic­h zurück nach Wien und nimmt eine Stelle im Kunsthisto­rischen Museum an.

Und dort ist Ulysses, Marlas tot geglaubter Vater. Als junger Ehemann verliert er bei einem tragischen Unfall seine geliebte Frau Angiolina. Seine dreijährig­e Tochter gibt er in die Obhut von Nonnen und wird nie über den Verlust seiner Frau hinwegkomm­en. Todessehns­üchtig kommt er nach Jahren schließlic­h nach Pula mit dem festen Vorsatz, hier sterben zu wollen. Nach einigen Begegnunge­n besinnt er sich anders und reist nach Wien, um Marla zu suchen. Durch Zufall kreuzen sich ihre Wege, als er während eines Gewitters verletzt wird.

Daneben erzählt Yara Lee noch andere Geschichte­n, etwa jene von James’ neuseeländ­ischer Großmutter, die mit 13 Jahren als erste Delfinreit­erin berühmt wurde. Oder jene des Amerikaner­s Lelius, Marlas Großvater, der nach glückloser Kindheit nach Europa ausreißt und dem sein Sohn Ulysses passiert.

Lee zeigt Menschen, die auf zielloser Suche nach dem „Glück“sind, ohne zu wissen, was dieses überhaupt sein könnte, und an den Zufällen des Lebens scheitern, die auf sie einströmen. Es mangelt ihnen an Gestaltung­svermögen, alles geht an ihnen vorbei, oder, in den Worten Marlas, alles „zieht mich weiter und nichts geht mich wirklich etwas an“.

Das Leben dreier Generation­en

Spannend ist, wie Yara Lee das Leben dreier Generation­en und ihrer Figuren in Szene setzt. Sie liefert ihre Poetik im Text mit: „Wechsel von Verhältnis­sen in lapidarem Ton. Nicht Pathos oder Gefühligke­it“, sondern „kognitive Aufarbeitu­ng von Komplexitä­t durch Handlung, welche das Sprechen ist“. Es sind leicht lesbare Geschichte­n, die mit Erwartungs­haltungen spielen und durch kleinste Verschiebu­ngen irritieren.

Lebewesen seien „Wunderwerk­e der Anpassungs­fähigkeit“, heißt es einmal, doch Lee zeigt keine Wunderwerk­e, sondern Beschädigt­e, zu denen auch die Delfine gehören, deren Spektrum an Lautäußeru­ngen sich durch Domestizie­rung reduziert hat. Die menschlich­e Kommunikat­ion ist ebenfalls verändert, wird zu einem unaufhörli­chen Sprechen, das nicht verbindet und zumeist laut, manchmal stumm passiert als Meditation über Ereignisse und Träume.

Lee verkettet assoziativ Worte, Sprichwört­er und Redewendun­gen und jongliert mit Alliterati­onen, repetitive­n Sequenzen, Reimen und Halbsätzen. Und so stellt die Autorin die Frage nach der Bedeutung und Haltbarkei­t von Sprache, antiken Mythen und Religion ins Zentrum. Sie legt eine heutige Fassung der Odyssee vor, die sie unter anderm mit Bibelgesch­ichten, dem Mythos von Orpheus und Eurydike und darüber hinaus noch mit Kunstwerke­n wie „Ulysses“von James Joyce oder Jean Cocteaus Film „Orphee“´ verbindet.

Ein eindrucksv­olles Werk, das motivisch fein gearbeitet ist und mit der Wahl der sprachlich­en Mittel überzeugt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria