Vom Brabbeln der Delfine
Yara Lees Debüt überzeugt durch Einfallsreichtum und ihre sprachlichen Mittel.
Afamia Al-Dayaa ist ausgebildete Pianistin und studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Nun legt sie unter dem Pseudonym Yara Lee ihr Romandebüt vor.
Zwei Handlungsstränge durchziehen das Buch. Marla, eine Kunsthistorikerin, wächst als Waise in einem Kloster auf. Sie geht eine Beziehung mit dem Meeresbiologen James ein, dessen Leidenschaft die Erforschung der Delfine ist. Marla begleitet ihn zu einem Delfinforschungsprojekt nach Mexiko, wo ein Anschlag einige Turbulenzen nach sich zieht. Allein kehrt sie schließlich zurück nach Wien und nimmt eine Stelle im Kunsthistorischen Museum an.
Und dort ist Ulysses, Marlas tot geglaubter Vater. Als junger Ehemann verliert er bei einem tragischen Unfall seine geliebte Frau Angiolina. Seine dreijährige Tochter gibt er in die Obhut von Nonnen und wird nie über den Verlust seiner Frau hinwegkommen. Todessehnsüchtig kommt er nach Jahren schließlich nach Pula mit dem festen Vorsatz, hier sterben zu wollen. Nach einigen Begegnungen besinnt er sich anders und reist nach Wien, um Marla zu suchen. Durch Zufall kreuzen sich ihre Wege, als er während eines Gewitters verletzt wird.
Daneben erzählt Yara Lee noch andere Geschichten, etwa jene von James’ neuseeländischer Großmutter, die mit 13 Jahren als erste Delfinreiterin berühmt wurde. Oder jene des Amerikaners Lelius, Marlas Großvater, der nach glückloser Kindheit nach Europa ausreißt und dem sein Sohn Ulysses passiert.
Lee zeigt Menschen, die auf zielloser Suche nach dem „Glück“sind, ohne zu wissen, was dieses überhaupt sein könnte, und an den Zufällen des Lebens scheitern, die auf sie einströmen. Es mangelt ihnen an Gestaltungsvermögen, alles geht an ihnen vorbei, oder, in den Worten Marlas, alles „zieht mich weiter und nichts geht mich wirklich etwas an“.
Das Leben dreier Generationen
Spannend ist, wie Yara Lee das Leben dreier Generationen und ihrer Figuren in Szene setzt. Sie liefert ihre Poetik im Text mit: „Wechsel von Verhältnissen in lapidarem Ton. Nicht Pathos oder Gefühligkeit“, sondern „kognitive Aufarbeitung von Komplexität durch Handlung, welche das Sprechen ist“. Es sind leicht lesbare Geschichten, die mit Erwartungshaltungen spielen und durch kleinste Verschiebungen irritieren.
Lebewesen seien „Wunderwerke der Anpassungsfähigkeit“, heißt es einmal, doch Lee zeigt keine Wunderwerke, sondern Beschädigte, zu denen auch die Delfine gehören, deren Spektrum an Lautäußerungen sich durch Domestizierung reduziert hat. Die menschliche Kommunikation ist ebenfalls verändert, wird zu einem unaufhörlichen Sprechen, das nicht verbindet und zumeist laut, manchmal stumm passiert als Meditation über Ereignisse und Träume.
Lee verkettet assoziativ Worte, Sprichwörter und Redewendungen und jongliert mit Alliterationen, repetitiven Sequenzen, Reimen und Halbsätzen. Und so stellt die Autorin die Frage nach der Bedeutung und Haltbarkeit von Sprache, antiken Mythen und Religion ins Zentrum. Sie legt eine heutige Fassung der Odyssee vor, die sie unter anderm mit Bibelgeschichten, dem Mythos von Orpheus und Eurydike und darüber hinaus noch mit Kunstwerken wie „Ulysses“von James Joyce oder Jean Cocteaus Film „Orphee“´ verbindet.
Ein eindrucksvolles Werk, das motivisch fein gearbeitet ist und mit der Wahl der sprachlichen Mittel überzeugt.