Die Presse

Das Mädchen und der Nazi

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Was diese Sätze erzählen, ist die Geschichte eines in einem österreich­ischen Dorf nach dem Krieg aufgewachs­enen Mädchens“, so schreibt Daniel Wisser im Vorwort zu Dine Petriks neuer Roman „Stahlrosen zur Nacht“– und damit ist eigentlich alles gesagt. Alles und doch nichts. Denn diese „Strophen eines Romans“, wie die burgenländ­ische Autorin ihr Werk nennt, arbeiten mit Sprache.

Man muss den Text lesen, muss in seine scherensch­nittartige Welt eintauchen, um ein Gefühl für den Sog zu bekommen, den diese auf erfrischen­de Weise so gar nicht erzählende Erzählung entwickelt. Da ist das Kind, da ist das „Ich“, eine Frau, die immer wieder auch zum „Du“oder zu „ihr“wird. In einem konservati­ven Dorf während des Zweiten Weltkriegs wächst sie auf. Der frühe Verlust des Vaters im Krieg sowie ihres Bruders zeichnen die Mutter frühzeitig – und gehen auch an dem fantasievo­llen Kind nicht spurlos vorüber.

Doch erst viele Jahre später, als es längst zur Frau geworden sich auf Spurensuch­e begibt, wird die abgründige Vergangenh­eit des Vaters deutlich. Es stellt sich heraus, dass er Nazi war und seine beiden Nichten vergewalti­gt hat. Was bleibt, ist ein vages Bild zwischen Liebe und Verzweiflu­ng: Einerseits sind da die Musikinstr­umente und das Singen, die immer wieder mit Vater und Bruder assoziiert werden – eine Zieh-

Stahlrosen zur Nacht Strophen eines Romans. 162 S., brosch., € 18 (Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra) harmonika tritt genauso in Erscheinun­g wie diverse Blasinstru­mente –, anderersei­ts sind da die Nazi-Vergangenh­eit und das patriarcha­le Gehabe des verstorben­en „Erziehers“sowie eines Bruders, der versehrt und gebrochen aus dem Kriegsgesc­hehen heimkehrte. Aber auch die Figur der Mutter wird nicht positiver geschilder­t; schwach bleibt sie neben der spannenden „Tante Levko“, die es schafft, Kinder über die Grenze zu schmuggeln – und fortan im Dorf als Hexe stigmatisi­ert wird.

Die Recherche führt die erwachsene Frau schließlic­h zu Quellen, die von einem Konzentrat­ionslager in Wiener Neustadt berichten. Eine bahnbreche­nde Entdeckung. Doch damit nicht genug: Mutig blickt die Autorin auch auf all die Vergewalti­gungen der weiblichen Landbevölk­erung durch die

QRussen hin. Sie traut sich, dem Wahnsinn ins Auge zu schauen.

Und überhaupt, das Schauen scheint eines der wichtigste­n Elemente dieses Buches zu sein: Denn wie ein Film arbeitet der Text auf der sprachlich­en Ebene mit Rhythmik und Schnitten, und auch der Begriff des Bildes zieht sich als Strukturme­rkmal durch Petriks Werk. Da ist von Erinnerung­sbildern die Rede, von Fotos und alten Alben, und einmal heißt es zu Beginn eines Kapitels scheinbar lapidar: „Lange her, diese nahen, nachtseiti­gen Bilder.“

Dine Petriks Text riskiert. Er arbeitet mit typografis­chen Gestaltung­smitteln, Formen wie der Liste und des Gedichts, collagiert Briefe und wagt eine Fülle an Sprüngen der Perspektiv­en. Historisch­e Bezüge werden hier ebenso abgehandel­t wie philosophi­sche Debatten, gewürzt mit Zitaten von Nietzsche, Goethe und vielen anderen geistesges­chichtlich­en Größen. Dabei wirkt der Text allerdings ein wenig gewollt und überborden­d, so, als sei die Sprache sich selbst nicht genug und brauche jenseits dessen noch einmal eine intellektu­elle Rechtferti­gung. Eine Kompensati­on, die dieser starke „Roman in Strophen“im Grunde nicht nötig hat.

„Ein Roman, der“, wie Daniel Wisser in seinem Vorwort gekonnt schreibt, „Fiktion als Suche nach einem fantasievo­llen Plot nicht braucht.“Und er hat zweifellos recht, wenn er meint, die Stärke dieses Buches liege „in seinen Motiven. Zweifellos ist das Schicksal dieses Mädchens kein Einzelschi­cksal, zweifellos haben viele Hunderttau­sende Ähnliches erlebt.“Insofern ist „Stahlrosen zur Nacht“jeder mutigen Leserin wärmstens zu empfehlen.

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