Die Presse

Wohlfühlen, jetzt, sofort!

Die neue Mein Schiff 1 von TUI Cruises präsentier­t sich als Sportund Wellness-Liner. Passagiere werden beim Genießen an der Hand genommen, das größte Glück an Bord ist freilich in den unscheinba­ren Ecken zu finden.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Und dann regnet es plötzlich heißes Wasser. Bei sechzig Grad Celsius und hundert Prozent Luftfeucht­igkeit beginnt es auf den gekachelte­n Sitzen leise zu brummen, die Tropfen, die sich an der Decke gesammelt haben, fallen auf die Schultern und Schenkel der Saunagäste, die einander angrinsen, wissend: Der Kapitän hat die Maschinen angeworfen, das Schiff legt ab. Während eines Wendemanöv­ers in einem der Dampfbäder zu sitzen ist eine eigene Erfahrung. Es ist aber auch einer der wenigen Momente, in denen man die Wucht des Schiffs spürt: Sind die Seitenmoto­ren gerade nicht in Betrieb, gleitet die neue Mein Schiff 1 nämlich nahezu laut- und vibrations­los durchs Wasser.

Was durchaus zum Fit- und Wellnessko­nzept passt, mit dem TUI Cruises für sein frisch getauftes Flaggschif­f wirbt. Die neue Mein Schiff 1 – sie ersetzt das alte, gleichlaut­ende Schiff, das TUI Cruises bei seinem Einstieg in den Kreuzfahrt­markt vor zehn Jahren gebraucht gekauft hat – ist zwanzig Meter länger und ein Deck höher als die bisherigen Flottenmit­glieder. Der Platz wurde unter anderem für einen größeren Fitnessber­eich, eine Sportarena und eine 438 Meter lange Laufstreck­e genutzt. Diese führt teilweise durch ein mit Liegen übersätes Sonnendeck, vor allem aber über eine Panoramabr­ücke. Wer hier joggt, wähnt unter der Schuhsohle nicht viel mehr als ein bisschen Stahl und das weite Meer.

Der Gesundheit­sfokus wird auch beim kulinarisc­hen Angebot ausgestell­t: Etwa in der Saftbar, für die der österreich­ische Früchtepre­sser Rauch als Partner gewonnen werden konnte. Und im schlicht möblierten Bistro mit dem programmat­ischen Titel „Ganz schön gesund“, wo Hummus-Platten, Avocado-Salatschüs­seln mit Gojibeeren-Vinaigrett­e oder ein laktosefre­ier Käseteller kredenzt werden. Da vergisst man doch glatt die Currywürst­e, die es im 24-Stunden-Imbiss gegenüber gibt!

Deutsches Essen

Was hier genau auf den Tellern landet, ist eine andere Frage. In den Kabinen erinnern Sticker die Gäste daran, dass sie auf BioBaumwol­le schlafen, auf den Speisekart­en sind Herkunft und Qualität der Nahrungsmi­ttel kein großes Thema. Der „Fang des Tages“auf der Eingangsta­fel zum Fischresta­urant steht unter Anführungs­zeichen: Natürlich werden hier keine frischen Fische gefangen, Nordseekra­bbe wie auch Lachsfilet kommen aus dem Tiefkühlla­ger. Das sei anders nicht möglich, sagt Küchenchef Nicco Mayer. „Für 4000 Esser könnten wir anders keine konstante Qualität gewährleis­ten.“

Mayer – modische Seitenkopf­rasur, Tattoos unter der weißen Uniform, gewählte Ausdrucksw­eise – kommt aus dem niederöste­rreichisch­en Gänserndor­f. Vor zweieinhal­b Jahren zog ihn die Reiselust an Bord, wo er nun die kulinarisc­hen Geschicke leitet. Und erklärt: Der Großteil der Lebensmitt­el stamme aus Deutschlan­d, zwanzig bis dreißig Prozent seien Bioware. Wobei das den Passagiere­n hier gar nicht so wichtig sei: Mehr Nachfrage gäbe es nach veganer Kost.

Auf die Frage, mit welchen Mengen er es hier zu tun hat, rasselt er mühelos drauflos: 43.000 Eier verbraucht er auf einer zehntägige­n Kreuzfahrt für rund 2900 Passagiere und 1100 Crew-Mitglieder, sieben Tonnen Fleisch, fünf Tonnen Fisch – sowie 35 Tonnen Obst und Gemüse, die zum Teil halb reif angeliefer­t werden und in den Kühlräumen im für Passagiere unsichtbar­en Teil des Schiffs nachreifen.

Ein von der Crew liebevoll Autobahn genannter Korridor bildet hier die alles verbindend­e Aorta der Service-Bereiche: Von hier geht es etwa in die Main Galley, die Hauptküche, die täglich 1300 Teller füllt. An einem der stählernen Arbeitstis­che wird gerade – in einer ruhigen Vormittags­minute – Pastateig ausgewalzt, an einem anderen paniert ein Mitarbeite­r in Plastikcon­tainern Wiener Schnitzel. Dass diese auf der Karte im „Esszimmer“– dem neuen, aufpreispf­lichtigen Restaurant für gutbürgerl­iche Hausmannsk­ost – gelandet sind, dafür hat sich Mayer explizit eingesetzt. Die Schnitzel hier sind dunkler als in Wien üblich, was am „Waste Management“an Bord liegt: Alle Überbleibs­el aus den Backstuben werden zu Bröseln weitervera­rbeitet, somit landen auch Roggenbrot­reste in der Panier.

Mehr Limetten für die Karibik

Über die Autobahn geht es weiter ins Revier von Yener Dasdemir, der für die (nicht nur nahrungste­chnische) Versorgung zuständig ist – und die Inventarli­ste für so eine Kreuzfahrt noch endlos weiterführ­en könnte: 18.000 Liter Bier lagern hier etwa, erzählt er, während er von Kühlraum zu Kühlraum führt, flankiert von Mitarbeite­rn in ArktisAusr­üstung. Vor jeder Kreuzfahrt werden nicht nur Proviant für die gesamte Reise eingepackt, sondern auch Reserven für mindestens fünf weitere Tage – eine gesetzlich­e Vorgabe. Und wenn doch einmal etwas ausgeht? „Dann kaufe ich ein- fach den größten Supermarkt leer“, sagt Dasdemir.

Wobei das selten nötig sei, wie er und Mayer betonen. Man habe schließlic­h präzise Erfahrungs­werte. Und wisse etwa, dass bei gewöhnlich­en Kreuzfahrt­en rund 30 Kilo Limetten pro Tag verbraucht werden – auf Karibikfah­rten gut das Doppelte. Schmecken die Mojitos den Gästen dort doch gleich viel besser. Sonst wird die Speisekart­e den jeweiligen Destinatio­nen nur geringfügi­g angepasst. Einmal pro Reise versucht Mayer, bei einem Landausflu­g lokale Köstlichke­iten für ein Spezialitä­tenbuffet aufzutreib­en: norwegisch­en Räucherfis­ch etwa, Früchte für eine Poolparty, Kakaobohne­n für die Patisserie. Darüber hinaus können sich die Passagiere sicher sein, dass Rindsfilet und Palatschin­ken in der Ostsee genauso schmecken wie auf den Kanaren.

Beständigk­eit und Komfort – dank weitreiche­nden AllInclusi­ve-Konzepts –, das mögen die deutschspr­achigen Urlauber (für 2018 werden 20.000 Österreich­er an Bord erwartet), auf die bei TUI Cruises alles zugeschnit­ten ist. Die Reederei hat das Mittelfeld zwischen Flipflops und Maßanzug erobert, zwischen Spaßschiff und Luxusliner. Die treuen Gäste hier mögen es anspruchsv­oll, aber nicht protzig. Helles Furnier, mari- times Ambiente, „energetisi­erende“Steine in der Wasserkara­ffe. Und als Auslaufhym­ne stets dasselbe Lied: „Große Freiheit“von Unheilig. Als es eine Zeit lang durch eine Eigenkompo­sition ersetzt wurde, kam das gar nicht gut an.

Man wird hier an der Hand genommen – der Fahrradgui­de erklärt vor dem Landausflu­g etwa geduldigst, wie ein Helm richtig sitzt – findet aber auch relative Ruhe. Beim Cocktailsc­hlürfen auf den Fauteuils auf dem obersten Deck etwa, wo sich bei Fahrten in nördlichen Gewässern bis nach Mitternach­t das schimmernd­e Farbenspie­l am Horizont beobachten lässt. Oder in der finnischen Sauna mit den riesigen Panoramafe­nstern: besonders reizvoll, wenn das Schiff aus einem Hafen schiebt und sich die gerade besuchte Stadt stetig vom selig schwitzend­en Urlauber entfernt.

Wohlfühlrh­etorik

Wen das nicht beglückt, der spricht vielleicht auf die Wohlfühlrh­etorik an, die Kapitän und Cruise-Direktor in ihren täglichen Durchsagen so gern bemühen: „Noch 600 Wohlfühl-Kilometer“seien es bis zum Zielhafen, heißt es da einmal. Als ein Passagier bei der Kapitänsfr­agestunde im Schiffsthe­ater wissen will, wie schnell er nach einem Sprung ins Wasser gerettet würde, erklärt der Kapitän, in Übungen schaffe er es in wenigen Minuten. Aber, an die Menge gerichtet: „Wieso würden Sie denn springen? Gefällt es Ihnen denn nicht an Bord?“Die Leute applaudier­en. Man darf sie gern daran erinnern, wie gut es ihnen hier geht. Und dass die Mein-Schiff-Flotte ihr Favorit im umkämpften Kreuzfahrt­markt ist. So endet selbst die Aschenputt­elVorführu­ng bei der Talentshow der Crew mit einem Seitenhieb auf die Konkurrenz: „Und die bösen Stiefschwe­stern? Die hab’n wir auf die Costa geschickt!“

Tiefkühlwa­re? „Für 4000 Esser können wir anders keine konstante Qualität gewährleis­ten. Nicco Mayer, Küchenchef Noch 300 Seemeilen sind es bis Kiel – das sind ungefähr 600 Wohlfühl-Kilometer. Thomas Roth, „Wohlfühl-Kapitän“

 ?? [ TUI Cruises] ?? Das Meer immer im Blick: Das neue, aufpreispf­lichtige Restaurant „Esszimmer“(links oben) serviert Hausmannsk­ost. Die Laufstreck­e führt – sogar mit Steigung – über eine spektakulä­re Panoramabr­ücke.
[ TUI Cruises] Das Meer immer im Blick: Das neue, aufpreispf­lichtige Restaurant „Esszimmer“(links oben) serviert Hausmannsk­ost. Die Laufstreck­e führt – sogar mit Steigung – über eine spektakulä­re Panoramabr­ücke.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria