Wohlfühlen, jetzt, sofort!
Die neue Mein Schiff 1 von TUI Cruises präsentiert sich als Sportund Wellness-Liner. Passagiere werden beim Genießen an der Hand genommen, das größte Glück an Bord ist freilich in den unscheinbaren Ecken zu finden.
Und dann regnet es plötzlich heißes Wasser. Bei sechzig Grad Celsius und hundert Prozent Luftfeuchtigkeit beginnt es auf den gekachelten Sitzen leise zu brummen, die Tropfen, die sich an der Decke gesammelt haben, fallen auf die Schultern und Schenkel der Saunagäste, die einander angrinsen, wissend: Der Kapitän hat die Maschinen angeworfen, das Schiff legt ab. Während eines Wendemanövers in einem der Dampfbäder zu sitzen ist eine eigene Erfahrung. Es ist aber auch einer der wenigen Momente, in denen man die Wucht des Schiffs spürt: Sind die Seitenmotoren gerade nicht in Betrieb, gleitet die neue Mein Schiff 1 nämlich nahezu laut- und vibrationslos durchs Wasser.
Was durchaus zum Fit- und Wellnesskonzept passt, mit dem TUI Cruises für sein frisch getauftes Flaggschiff wirbt. Die neue Mein Schiff 1 – sie ersetzt das alte, gleichlautende Schiff, das TUI Cruises bei seinem Einstieg in den Kreuzfahrtmarkt vor zehn Jahren gebraucht gekauft hat – ist zwanzig Meter länger und ein Deck höher als die bisherigen Flottenmitglieder. Der Platz wurde unter anderem für einen größeren Fitnessbereich, eine Sportarena und eine 438 Meter lange Laufstrecke genutzt. Diese führt teilweise durch ein mit Liegen übersätes Sonnendeck, vor allem aber über eine Panoramabrücke. Wer hier joggt, wähnt unter der Schuhsohle nicht viel mehr als ein bisschen Stahl und das weite Meer.
Der Gesundheitsfokus wird auch beim kulinarischen Angebot ausgestellt: Etwa in der Saftbar, für die der österreichische Früchtepresser Rauch als Partner gewonnen werden konnte. Und im schlicht möblierten Bistro mit dem programmatischen Titel „Ganz schön gesund“, wo Hummus-Platten, Avocado-Salatschüsseln mit Gojibeeren-Vinaigrette oder ein laktosefreier Käseteller kredenzt werden. Da vergisst man doch glatt die Currywürste, die es im 24-Stunden-Imbiss gegenüber gibt!
Deutsches Essen
Was hier genau auf den Tellern landet, ist eine andere Frage. In den Kabinen erinnern Sticker die Gäste daran, dass sie auf BioBaumwolle schlafen, auf den Speisekarten sind Herkunft und Qualität der Nahrungsmittel kein großes Thema. Der „Fang des Tages“auf der Eingangstafel zum Fischrestaurant steht unter Anführungszeichen: Natürlich werden hier keine frischen Fische gefangen, Nordseekrabbe wie auch Lachsfilet kommen aus dem Tiefkühllager. Das sei anders nicht möglich, sagt Küchenchef Nicco Mayer. „Für 4000 Esser könnten wir anders keine konstante Qualität gewährleisten.“
Mayer – modische Seitenkopfrasur, Tattoos unter der weißen Uniform, gewählte Ausdrucksweise – kommt aus dem niederösterreichischen Gänserndorf. Vor zweieinhalb Jahren zog ihn die Reiselust an Bord, wo er nun die kulinarischen Geschicke leitet. Und erklärt: Der Großteil der Lebensmittel stamme aus Deutschland, zwanzig bis dreißig Prozent seien Bioware. Wobei das den Passagieren hier gar nicht so wichtig sei: Mehr Nachfrage gäbe es nach veganer Kost.
Auf die Frage, mit welchen Mengen er es hier zu tun hat, rasselt er mühelos drauflos: 43.000 Eier verbraucht er auf einer zehntägigen Kreuzfahrt für rund 2900 Passagiere und 1100 Crew-Mitglieder, sieben Tonnen Fleisch, fünf Tonnen Fisch – sowie 35 Tonnen Obst und Gemüse, die zum Teil halb reif angeliefert werden und in den Kühlräumen im für Passagiere unsichtbaren Teil des Schiffs nachreifen.
Ein von der Crew liebevoll Autobahn genannter Korridor bildet hier die alles verbindende Aorta der Service-Bereiche: Von hier geht es etwa in die Main Galley, die Hauptküche, die täglich 1300 Teller füllt. An einem der stählernen Arbeitstische wird gerade – in einer ruhigen Vormittagsminute – Pastateig ausgewalzt, an einem anderen paniert ein Mitarbeiter in Plastikcontainern Wiener Schnitzel. Dass diese auf der Karte im „Esszimmer“– dem neuen, aufpreispflichtigen Restaurant für gutbürgerliche Hausmannskost – gelandet sind, dafür hat sich Mayer explizit eingesetzt. Die Schnitzel hier sind dunkler als in Wien üblich, was am „Waste Management“an Bord liegt: Alle Überbleibsel aus den Backstuben werden zu Bröseln weiterverarbeitet, somit landen auch Roggenbrotreste in der Panier.
Mehr Limetten für die Karibik
Über die Autobahn geht es weiter ins Revier von Yener Dasdemir, der für die (nicht nur nahrungstechnische) Versorgung zuständig ist – und die Inventarliste für so eine Kreuzfahrt noch endlos weiterführen könnte: 18.000 Liter Bier lagern hier etwa, erzählt er, während er von Kühlraum zu Kühlraum führt, flankiert von Mitarbeitern in ArktisAusrüstung. Vor jeder Kreuzfahrt werden nicht nur Proviant für die gesamte Reise eingepackt, sondern auch Reserven für mindestens fünf weitere Tage – eine gesetzliche Vorgabe. Und wenn doch einmal etwas ausgeht? „Dann kaufe ich ein- fach den größten Supermarkt leer“, sagt Dasdemir.
Wobei das selten nötig sei, wie er und Mayer betonen. Man habe schließlich präzise Erfahrungswerte. Und wisse etwa, dass bei gewöhnlichen Kreuzfahrten rund 30 Kilo Limetten pro Tag verbraucht werden – auf Karibikfahrten gut das Doppelte. Schmecken die Mojitos den Gästen dort doch gleich viel besser. Sonst wird die Speisekarte den jeweiligen Destinationen nur geringfügig angepasst. Einmal pro Reise versucht Mayer, bei einem Landausflug lokale Köstlichkeiten für ein Spezialitätenbuffet aufzutreiben: norwegischen Räucherfisch etwa, Früchte für eine Poolparty, Kakaobohnen für die Patisserie. Darüber hinaus können sich die Passagiere sicher sein, dass Rindsfilet und Palatschinken in der Ostsee genauso schmecken wie auf den Kanaren.
Beständigkeit und Komfort – dank weitreichenden AllInclusive-Konzepts –, das mögen die deutschsprachigen Urlauber (für 2018 werden 20.000 Österreicher an Bord erwartet), auf die bei TUI Cruises alles zugeschnitten ist. Die Reederei hat das Mittelfeld zwischen Flipflops und Maßanzug erobert, zwischen Spaßschiff und Luxusliner. Die treuen Gäste hier mögen es anspruchsvoll, aber nicht protzig. Helles Furnier, mari- times Ambiente, „energetisierende“Steine in der Wasserkaraffe. Und als Auslaufhymne stets dasselbe Lied: „Große Freiheit“von Unheilig. Als es eine Zeit lang durch eine Eigenkomposition ersetzt wurde, kam das gar nicht gut an.
Man wird hier an der Hand genommen – der Fahrradguide erklärt vor dem Landausflug etwa geduldigst, wie ein Helm richtig sitzt – findet aber auch relative Ruhe. Beim Cocktailschlürfen auf den Fauteuils auf dem obersten Deck etwa, wo sich bei Fahrten in nördlichen Gewässern bis nach Mitternacht das schimmernde Farbenspiel am Horizont beobachten lässt. Oder in der finnischen Sauna mit den riesigen Panoramafenstern: besonders reizvoll, wenn das Schiff aus einem Hafen schiebt und sich die gerade besuchte Stadt stetig vom selig schwitzenden Urlauber entfernt.
Wohlfühlrhetorik
Wen das nicht beglückt, der spricht vielleicht auf die Wohlfühlrhetorik an, die Kapitän und Cruise-Direktor in ihren täglichen Durchsagen so gern bemühen: „Noch 600 Wohlfühl-Kilometer“seien es bis zum Zielhafen, heißt es da einmal. Als ein Passagier bei der Kapitänsfragestunde im Schiffstheater wissen will, wie schnell er nach einem Sprung ins Wasser gerettet würde, erklärt der Kapitän, in Übungen schaffe er es in wenigen Minuten. Aber, an die Menge gerichtet: „Wieso würden Sie denn springen? Gefällt es Ihnen denn nicht an Bord?“Die Leute applaudieren. Man darf sie gern daran erinnern, wie gut es ihnen hier geht. Und dass die Mein-Schiff-Flotte ihr Favorit im umkämpften Kreuzfahrtmarkt ist. So endet selbst die AschenputtelVorführung bei der Talentshow der Crew mit einem Seitenhieb auf die Konkurrenz: „Und die bösen Stiefschwestern? Die hab’n wir auf die Costa geschickt!“
Tiefkühlware? „Für 4000 Esser können wir anders keine konstante Qualität gewährleisten. Nicco Mayer, Küchenchef Noch 300 Seemeilen sind es bis Kiel – das sind ungefähr 600 Wohlfühl-Kilometer. Thomas Roth, „Wohlfühl-Kapitän“