Die Union am Abgrund Der Asylstreit zwischen CSU-Innenminister Seehofer und CDU-Kanzlerin Merkel lähmt die Regierung.
Deutschland.
BErlin/WiEn. Der Machtkampf in Deutschlands konservativen Schwesterparteien Union spitzte sich am Montag dramatisch zu. Um 17 Uhr kamen die Spitzen von CDU und CSU in Berlin zu einem Krisentreffen zusammen, um den eskalierenden Asylstreit in letzter Minute beizulegen. Die Union stehe am Abgrund, sagte davor CDU-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Doch es stand noch mehr auf dem Spiel: der Fortbestand der Koalition von Kanzlerin Angela Merkel. Mit der SPD allein hat sie keine Mehrheit. Sie braucht die Bayern.
CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer beharrte bis zuletzt darauf, künftig Asylwerber, die schon in einem anderen EU-Mitgliedstaat einen Antrag gestellt haben, direkt an der Grenze abzuweisen. In der Nacht auf Montag erhöhte er in München bei einer Sitzung des CSU-Vorstands seinen Einsatz. Seehofer drohte mit einem Doppelrücktritt, wenn bis Mittwoch, bis zu seinem 69. Geburtstag, keine Einigung mit Merkel erzielt werden kann.
Die CDU-Chefin lehnte nationale Alleingänge an der deutschen Grenze bisher ab. Sie will stattdessen erreichen, dass Asylwerber, für die gemäß der Dublin-Verordnung andere EU-Länder zuständig sind, schneller dorthin zurückgeschoben werden. Beim EUGipfel holte sich Merkel eigenen Angaben zufolge die Zusage von 14 EU-Staaten, die Verfahren mittels bilateraler Verwaltungsvereinbarungen zu beschleunigen. Die von ihr genannten Regierungen Ungarns, Tschechiens und Polens stritten freilich ab, solche Abmachungen getroffen zu haben.
Kompromissangebot abgelehnt
Für Seehofer war Merkels aufwendiges Alternativprogramm nicht ausreichend. Die von Merkel avisierten Zusatzabkommen seien kein wirkungsgleicher Ersatz für Zurückweisungen an der Grenze, gab der Innenminister zu Protokoll. Aus seiner CSU hieß es, dass Seehofer der Kanzlerin am Samstag vergeblich Kompromissangebote unterbreitet habe. Demnach habe der Innenminister nicht mehr darauf bestanden, alle Asylwerber an der Einreise zu hindern, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert seien. Von sofortigen Zurückweisungen sollten demnach nur noch Personen betroffen sein, die schon anderswo in Europa ein Asylverfahren laufen haben. Zudem wollte Seehofer diesen Berichten zufolge auch Griechenland und Spanien von seiner harten Linie ausnehmen.
Die Bayern reisten am Montag mit einem siebenköpfigen Verhandlungsteam in die CDU-Zentrale nach Berlin. Seehofer hatte außer CSU-Generalsekretär Markus Blume auch Bayerns Ministerpräsident, Markus Söder, Verkehrsminister Andreas Scheuer, den Chef der CSU-Gruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, Digitalisierungsstaatsministerin Dorothee Bär sowie den früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im Schlepptau. Söder schien vor der entscheidenden Sitzung zurückzurudern. „Wir sind zu Kompromissen bereit, das muss man ja auch sein in der Politik“, sagte er. Ein Austritt aus der Regierung oder eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft sei für ihn keine Option. Seehofer habe die CSU mit seiner Rücktrittsdrohung „sehr überrascht“.
Hinter Seehofer die Sintflut
Ein Abgang Seehofers würde bei Söder ambivalente Gefühle auslösen. Einerseits hätte er einen Konkurrenten weniger und könnte den CSU-Vorsitz sofort an sich reißen. Andererseits stünden die Bayern als schwach da, wenn sie die Koalition in Berlin ohne Seehofer fortsetzten. Ein Koalitionsbruch und ein Ende der Union können jedoch kaum im Interesse der CSU sein. Eine klare Mehrheit der Deutschen, 69 Prozent, unterstützen einer Umfrage zufolge im Asylstreit die Position Merkels, darunter auch 49 Prozent der CSUAnhänger. Der harte Kurs, mit dem Söder im Oktober beim Urnengang in Bayern punkten will, zahlt sich bisher nicht aus. Dem „Trendbarometer“zufolge liegt die CSU im Freistaat bei der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl bei 34 Prozent, weit von der Absoluten entfernt, die Söder verteidigen will.
Außer der rechten Alternative für Deutschland strebt niemand Neuwahlen im Bund an. Schon gar nicht Merkel. Es wäre sehr fraglich, ob sie noch einmal anträte. Vielleicht spielten auch diese Überlegungen eine Rolle bei Seehofer: Wenn die Lage außer Kontrolle gerät, könnte er Merkel mit in den Abgrund reißen. Hinter ihm die Sintflut.