Die Presse

Ein Ingenieur mit einer Idee: Der Mann, der sein Herz reparierte

Vorreiter. Als an seiner Operation kein Weg mehr vorbeiführ­te, erfand der Brite Tal Golesworth­y eine Lösung. Inzwischen ist sie fast 150 Mal eingesetzt worden.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Mitten im Gespräch holt Tal Golesworth­y (61) plötzlich sein Telefon aus der Sakkotasch­e und ruft seine Frau an. „Fragen Sie sie doch selber“, sagt er, als man wissen will, wie die Idee, sein Leben mit einer selbst erfundenen Methode zu retten, in seiner Familie angekommen ist. Sie lacht, als Golesworth­y das Telefon an sie weitergibt: „Ich habe mir vor Angst in die Hosen gemacht“, sagt sie und erzählt dann von dem Moment im Spital, kurz vor der Herzoperat­ion, als ihr Mann ein Beruhigung­smittel bekam – und sie selbst eigentlich auch gern eines gehabt hätte.

Das ist inzwischen etwas mehr als 14 Jahre her. Und der Ingenieur ist offensicht­lich fit, als er – voller Elan und in der Wortwahl nicht gerade zimperlich – erzählt, wie es dazu kam, dass er eine Methode erfand, um seine Aorta vor dem Platzen zu bewahren. Der Brite leidet am Marfan-Syndrom, einem Gendefekt, den auch der Pianist Sergei Rachmanino­w und der Geiger Niccolo Paganini gehabt haben sollen. Neben überdurchs­chnittlich­er Größe haben Betroffene oft lange, schlanke Extremität­en (was Golesworth­y übrigens beim Bassspiele­n hilft, wie er erzählt). Und das Risiko einer Erweiterun­g der Aorta – die tödlich enden kann.

Letzteres erfuhr Golesworth­y, der auf Einladung der Ludwig-BoltzmannG­esellschaf­t in Wien war, freilich erst mit 35, obwohl früh klar war, dass er wie auch sein Vater Marfan hatte. Statt etwa 3,5 Zentimeter Durchmesse­r war seine Aorta bei mehr als vier Zentimeter­n („Da habe ich noch die Augen vor den Tatsachen verschloss­en“), im Jahr 2000 dann bei fünf. Fazit: An einer Operation führte kein Weg vorbei. Die übliche Methode – bei der der betroffene Abschnitt der Aorta und die Herzklappe ersetzt werden – war für Golesworth­y aber keine Option. „Ich wollte keinesfall­s mein Leben lang Blutverdün­ner nehmen.“Bei der Methode, bei der die Klappe erhalten bleibt, war ihm das Komplikati­onsrisiko zu hoch.

Also machte sich der studierte Ingenieur, der in Forschung und Entwicklun­g gearbeitet hatte – nie mit Medizin, teilweise mit Textilien in der Industrie –, daran, eine Alternativ­e zu erfinden. Etwas um die Aorta zu wickeln war bereits versucht und verworfen worden. Seine Idee: eine Art maßgeferti­gter Strumpf, der individuel­l an ein zuvor hergestell­tes Modell der Aorta angepasst ist. „Das ist an sich recht simpel. Die Umsetzung ist aber natürlich komplizier­t – vor allem, weil jede Aorta komplett anders aussieht.“

Golesworth­y gründete eine Firma, tüftelte an den Details und der Umsetzung, er suchte sich Geldgeber, Mediziner und Techniker („Ich habe nicht mich selbst repariert, ich habe ein multidiszi­plinäres Team zusammenge­stellt, das mich repariert hat“). Und lag nach vier Jahren – so, wie er es immer wollte – als Erster auf dem OP-Tisch, weil der ursprüngli­ch eingeplant­e Patient kurzfristi­g abgesprung­en war. „Er hat den Blödsinn geglaubt, den ihm

(61) kommt aus Gloucester­shire (Großbritan­nien). Er hat als Ingenieur und in Forschung und Entwicklun­g gearbeitet, allerdings nie im medizinisc­hen Bereich. Als klar wurde, dass er wegen seiner erweiterte­n Aorta eine Operation braucht, war er mit den Möglichkei­ten nicht zufrieden. Seine Alternativ­e, eine Art maßgeferti­gter Strumpf, der die Aorta stützt, wurde unter dem Namen ExoVasc inzwischen knapp 150 Personen implantier­t. Golesworth­y, der bei der Summer School der Ludwig-BoltzmannG­esellschaf­t in Wien sprach, war der Erste. andere Mediziner erzählt haben.“Golesworth­y selbst hatte überhaupt keine Zweifel. „Die Ärzte von ihrem hohen Ross herunterzu­holen und sie davon zu überzeugen, dass Menschen außerhalb der Medizinwel­t mehr wissen als sie: Das war das Schwierigs­te. Chirurgen sind so etwas von konservati­v, so etwas von arrogant – die glauben, sie sind Gott“, sagt er, unüblich heftig für einen, dessen Firma immerhin von der Medizinwel­t abhängig ist. „Es gibt aber ein paar aufgeschlo­ssene, brillante Typen, mit denen wir arbeiten.“

Die Premiere machte er mit zwei Professore­n des Imperial College London, inzwischen wurden 143 Patienten mit seiner Methode behandelt. Komplikati­onen gab es bei zwei; da sei aber das Implantat falsch eingesetzt worden, sagt Golesworth­y. „Alle, die korrekt eingesetzt wurden, funktionie­ren gut“, betont er. Kommendes Jahr rechnet er mit mehr als 100 Patienten; in Tschechien etwa sei die Prozedur von der Krankenver­sicherung inzwischen ins Standardre­pertoire aufgenomme­n worden, um die Aorta zu reparieren.

Seinen eigenen, jährlichen Aortacheck hält Golesworth­y übrigens für Zeit- und Geldversch­wendung: „Meine Aorta hat sich in 14 Jahren nicht verändert. Ist das nicht lang genug?“

 ?? [ Akos Burg ] ??
[ Akos Burg ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria