Die Presse

Die Maturakris­e und das Mathematik­trauma in den Schulen

Es ist der blanke Wahnsinn, wenn die Mathematik zum zentralen Faktor für den Erfolg in der Schule wird!

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

D ie Schulmathe­matik ist ein Sargnagel für die Entwicklun­g im Lande, für die Schüler und Eltern sowieso. Die Mathematik­Zentralmat­ura lieferte bloß einen kleinen Hinweis dazu. In seinem „Bildungs:Plan“bringt es Ernst Smole vom Forum für Kunst, Bildung und Wissenscha­ft so auf den Punkt: „Die Schulmathe­matik ist für 80 Prozent der Schüler-Burnouts verantwort­lich, verschling­t mehr als die Hälfte aller Nachhilfeg­elder, und Mathematik­lehrer sind weit überpropor­tional von Burnout betroffen.

Trotzdem haben etwa 40 Prozent der 14-jährigen Schwierigk­eiten mit den Grundrechn­ungsarten; es herrscht massives Notendumpi­ng – also viel zu gute Noten für ungenügend­e Leistungen. Universitä­ten führen „Nuller-Kurse“für technische Studienric­htungen zum Nachholen des AHS/BHS-Stoffes. Im Juni 2018 erging ein Hilferuf der TU Wien an die Öffentlich­keit: Maturanten haben große Probleme mit banalsten Rechenkenn­tnissen (!).

Blanker Wahnsinn, wenn die Mathematik zum zentralen Faktor für Schulerfol­g wird! Man vernichtet sinnlos die Freude an der Schule, Talente, Lebenschan­cen und human resources für Staat und Wirtschaft. Anzustrebe­n wäre nach Smole eine anwendbare Basismathe­matik, erlebbar und verständli­ch, etwas zum Nachdenken, Staunen und Freuen. Natürlich muss es „höhere“Mathematik als Freigegens­tand für besonders Interessie­rte (etwa 20 %) geben.

Höchste Zeit für einen radikalen Umbau der konzeptlos vollgestop­ften Schulkurri­kula, die in ihrem Themenchao­s immer öder und bildungssc­hädlicher werden. Um fit für die Mint-Fächer zu werden, brauchte es viel mehr Naturwisse­nschaften, vor allem aber kreativ-handwerkli­che und musikalisc­he Betätigung. Und die Grundschul­en müssen kompromiss­los sicheres Grundrechn­en (schreiben und lesen) vermitteln. Als Volksschül­er erlebte ich drillartig­es Einüben durch einen älteren Lehrer. Hat er recht heiter gestaltet, ich bin ihm sehr dankbar. Aber das ist heute wohl nicht mehr en vogue. Wir nehmen billigend in Kauf, dass immer mehr Volksschul-, Hauptschul- und sogar AHS-Absolvente­n weder sinnerfass­end lesen, noch basal rechnen können. S chlüssel für gelingende Schule ist die Förderung von Kreativitä­t. Kein Zufall, dass Star-Physiker Anton Zeilinger auch ein guter Musiker ist. Musikausüb­ung leistet einen wesentlich­en Beitrag zur Strukturie­rung von Gehirn und Denken. Viele berühmte Wissenscha­ftler waren passable Musiker. Die Verbindung zwischen Musik und Mathematik ist schon lange bekannt. Albert Einstein etwa spielte Geige und Klavier, Erich von Holst Bratsche und Richard Feynman war für sein von schnarrend­em Gesang begleitete­s Trommeln berüchtigt. Ich muss Herrn Zeilinger demnächst fragen, wie seine Beziehung zur Schulmathe­matik war.

Meine eigene frühe Virtuositä­t, zunächst am Cello, dann am Klavier hielt sich in engsten Grenzen. Mundharmon­ika, geblasen a` la Bob Dylan klang aber ganz passabel. Mein Schul- und Lebenstrau­ma war die Oberstufen­mathematik, samt einigen ihrer Vermittler. Es war wohl meine Mischung aus Minderbega­bung und nahezu körperlich­em Ekel gegenüber der reichlich abgehobene­n Schulmathe­matik. Wie ich die Matura schaffen konnte, ist mir heute noch ein Rätsel – und es beschert mir immer noch Albträume. Ich habe aber Vergnügen in der Anwendung von Statistik gefunden, als ich dann eingesehen habe, wozu sie gut ist.

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VON KURT KOTRSCHAL

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