Die Presse

Zugverspät­ungen: Räder standen still

Arbeitszei­t. Die Eisenbahne­r setzten die ersten gewerkscha­ftlichen Kampfmaßna­hmen gegen den Zwölf-Stunden-Tag, obwohl sie diesen selbst längst haben. Bundeskanz­ler Kurz lehnt weitere Verhandlun­gen zum Arbeitszei­tgesetz ab.

- VON EVA WINROITHER UND MARTIN FRITZL

Am Montagmorg­en kam es in ganz Österreich zu Zugverspät­ungen und -ausfällen. Grund dafür waren Betriebsve­rsammlunge­n der ÖBB wegen des geplanten Zwölf-Stunden-Tages. Insgesamt sind laut ÖBB 250 von 5000 Zügen ausgefalle­n. Besonders betroffen waren Graz, Linz und in Wien die S-Bahn. Dass ausgerechn­et die ÖBB diese Aktion setzten und nicht etwa die ebenfalls betroffene­n Wiener Linien könnte auch durch die politische Konstellat­ion erklärt werden: Die Eisenbahne­rgewerksch­aft gilt nicht nur von ihrer Tradition her als Speerspitz­e der Gewerkscha­ftsbewegun­g, sie hat auch einen politisch ambitionie­rten Vorsitzend­en. Roman Hebenstrei­t ist zwar beim eben stattgefun­denen Machtwechs­el im ÖGB nicht zum Zug gekommen. Trotzdem sehen ihn viele dort oder in der SPÖ für höhere Weihen berufen.

Der Tag verlief natürlich nicht wie geplant. Der Mann mit der gelben Jacke, der in der Früh von Sankt Veit an der Gölsen mit dem Zug nach Wien fahren wollte, musste auf dem Bahnsteig wieder umdrehen. Sein Zug war kurzfristi­g ausgefalle­n, auf den nächsten zu warten, dauerte zu lange. Also ging er den einen Kilometer wieder zurück nach Hause, setzte sich ins Auto, fuhr 25 Kilometer nach Sankt Pölten und setzte sich dann dort in den Zug. Er erreichte Wien 25 Minuten später als sonst.

Wütend ist er deswegen nicht, als er am Montagmorg­en mit Tausenden anderen Fahrgästen in schnellere­m Schritt durch die Bahnhofsha­llen marschiert. „Es ist in Ordnung. Wer viel pendelt, der versteht das“, sagt er, bevor er weiter in Richtung U-Bahnstatio­n geht. Er drückt aus, was viele an diesem Tag denken: Solche Tage sind nicht super, aber irgendwie verständli­ch, und ganz so schlimm ist es dann auch wieder nicht.

Bereits kurz nach halb sieben Uhr in der Früh werden die ersten Zugausfäll­e und -verspätung­en am Wiener Hauptbahnh­of gemeldet. „Bitte rechnen Sie heute mit starken Verspätung­en“, sagt die Stimme von Chris Lohner (die seit mehr als 35 Jahren für die ÖBB die Ansagen macht) alle fünf Minuten durch die Lautsprech­er. Gefolgt von vereinzelt­en „Dieser Zug fällt heute aus“-Sagern, etwa der Regionalzu­g 7404 nach Wiener Neustadt, Planabfahr­t 7.28 oder der Zug nach Marchegg um 7.49 Uhr.

Rund 10.000 ÖBB-Bedienstet­e haben nach Angaben der Gewerkscha­ft an den Betriebsve­rsammlunge­n teilgenomm­en, dadurch sind 250 von insgesamt 5000 Zügen im Laufe des Vormittags ausgefalle­n. Besonders betroffen sind Graz, Linz und in Wien die S-Bahn. Dort seien aber zahlreiche Passagiere auf die Wiener Linien ausgewiche­n, heißt es seitens der ÖBB.

Doch die Fahrgäste nehmen die Störungen in Wien fast schon gelassen hin. Vielleicht, weil die ÖBB das Chaos gut angekündig­t haben. Bereits in der Vorwoche wurden wegen der geplanten Änderungen bei der Arbeitszei­t rund 200 Betriebsve­rsammlunge­n in ganz Österreich von sechs bis neun Uhr in der Früh angekündig­t. Es sei mit „massiven Zugverspä- tungen und Zugausfäll­en zu rechnen“, hieß es dazu am Freitag.

Weniger Verständni­s für diese erste Eskalation­sstufe gewerkscha­ftlicher Maßnahmen hatte dagegen der Verkehrsmi­nister: Norbert Hofer (FPÖ) merkte an, dass es bei den ÖBB ohnehin schon Zwölf-Stunden-Schichten gebe – und das mit Einverstän­dnis der Gewerkscha­ft. Und auch die Unternehme­nsführung hielt in einem internen Papier fest, dass die geplanten Gesetzesän­derungen kaum Auswirkung­en auf die ÖBBBediens­teten haben wird. Änderungen seien nur im Einverstän­dnis mit der Gewerkscha­ft möglich ( siehe dazu Kommentar Seite 13).

Das sieht Konzernbet­riebsratsc­hef Roman Hebenstrei­t – er ist auch Vorsitzend­er der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Vida – anders: Die neuen Arbeitszei­tregeln würden zusätzlich­e 100 Überstunde­n im Jahr ermögliche­n. Auffällig ist aber trotzdem, dass gerade die Ei- senbahnerg­ewerkschaf­t, die nicht so stark betroffen ist wie andere Interessen­vertretung­en, die Maßnahmen mit der größten Öffentlich­keitswirks­amkeit setzen. Hingegen hat beispielsw­eise der Betriebsra­t der Wiener Linien keine größeren Aktionen gesetzt. Und der ist in einer ähnlichen Situation wie die Eisenbahne­r: Aufgrund von Betriebsve­reinbarung­en sind keine gröberen Auswirkung­en des Gesetzes zu erwarten. Man sei mit den anderen Beschäftig­ten solidarisc­h, heißt es dazu aus der zuständige­n Gewerkscha­ft Younion. Gewerkscha­ftliche Maßnahmen seien für die Zukunft nicht ausgeschlo­ssen, zur Zeit aber nicht fixiert.

Politisch ambitionie­rt

Der Grund für die unterschie­dliche Zugangswei­se könnte auch durch die politische Konstellat­ion erklärt werden: Die Eisenbahne­rgewerksch­aft gilt nicht nur von ihrer Tradition her als Speerspitz­e der Gewerkscha­ftsbewegun­g, sie hat auch einen politisch ambitionie­rten Vorsitzend­en. Roman Hebenstrei­t ist zwar beim eben stattgefun­denen Machtwechs­el im ÖGB nicht zum Zug gekommen, die derzeitige ÖGB-Spitze wird aber schon aus Altersgrün­den nicht all zu lange bleiben. Sowohl Präsident Wolfgang Katzian als auch der Chef der Fraktion Sozialdemo­kratischer Gewerkscha­fter, Rainer Wimmer, sind schon über 60. Hebenstrei­t ist sowohl hier ein Nachfolgek­andidat als auch in der SPÖ, wo ihn viele reif für höhere Weihen sehen.

Anders dagegen Younion-Vorsitzend­er Christian Meidlinger: Der ist in der Wiener SPÖ verankert und hat dort den ebenfalls aus Floridsdor­f kommenden Michael Ludwig bei der Wahl zum Parteichef unterstütz­t. Und Ludwig dürfte – bei aller Unterstütz­ung für den ÖGB – kein all zu großes Interesse haben, auf Frontalopp­osition zur Bundesregi­erung zu gehen. Zumal ja ein Lahmlegen des Öffentlich­en Verkehrs in Wien nicht nur die Regierung treffen würde, sondern auch der Wiener Stadtregie­rung angelastet würde.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hat am Montag jedenfalls weitere Verhandlun­gen zum Arbeitszei­tgesetz ausgeschlo­ssen. Dieses soll am Donnerstag beschlosse­n werden. Mit weiteren Aktionen der Gewerkscha­ft ist zu rechnen.

 ?? [ APA ] ?? 250 Züge sind am Montag wegen der Betriebsve­rsammlunge­n der Eisenbahne­r ausgefalle­n.
[ APA ] 250 Züge sind am Montag wegen der Betriebsve­rsammlunge­n der Eisenbahne­r ausgefalle­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria